48. Wo soll ich denn sein?

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Marcos Sicht

Ich saß zuhause und schaute hinaus in den Garten. Bos Schaukel pendelte von links nach rechts. Es war gerade einmal vierundzwanzig Stunden her, dass ich sie gesehen hatte, aber ich konnte an nichts verdammt anders denken, wie an die hübsche Holländerin. Ich wollte bei ihr sein, stattdessen hing ich hier allein herum und dabei wollte ich nur in ihrer Nähe sein. Unentwegt schwirrte der Kuss vor meinem inneren Augen herum und jetzt gerade wollte ich sie noch mal küssen, morgen wollte ich es auch. Oh es war wie verhext. Ich starrte auf mein Handy, als eine Nachricht auf dem Display auftauchte: „Bin gerade zuhause angekommen." Ich wollte ihr nicht sofort antworten, doch diesmal war es mir egal. „Alles okay bei dir?" Fragte ich sie schnell. „Ja geht so, ich muss den Handwerker kommen lassen. Der Eingangsbereich stand unter Wasser." Schrieb sie und ich machte mir noch im selben Augenblick Sorgen. Ich wählte ihre Nummer und rief sie an. „Hey!" Begrüßte sie mich direkt. Im Hintergrund war es laut und ich hörte aufgeregte Stimmen. „Alles okay bei dir?" Fragte ich sie. „Das Haus meiner Eltern steht im Eingangsbereich unter Wasser. Ich war so lange nicht da, es sieht schlimm aus!" Gab sie zu. Sofort machte ich mir Sorgen. „Hast du Hilfe?" Fragte ich sie. „Ja ein paar Freunde sind gekommen, aber ich muss Handwerker beschäftigen und das..." Sie schien voller Sorgen und redete und redete. Ich stand auf und schaute besorgt und gedankenverloren aus dem Fenster. „Brauchst du etwas?" Fragte ich Bo, denn etwas anderes konnte ich von Dortmund aus nicht tun. „Keine Ahnung, ich weiß nicht wie ich das schaffen soll!" Sagte sie frustriert. „Beruhige dich, wir finden schon gemeinsam eine Lösung!" Versuchte ich sie zu besänftigen. Ich lief hin und her, doch ich wollte einfach nur bei ihr sein. Ich wollte sie in den Arm nehmen und sie trösten. „Ich habe keine Ahnung wie teuer das alles wird!" Sagte sie kleinlaut. Ich wusste das Geld ihr sehr unangenehm war und man sie schnell kränken konnte. „Mach dir nicht so viele Sorgen, wir kriegen das gelöst." Versprach ich ihr. „Tut mir leid, ich muss auflegen. Ich rufe dich später noch mal an!" Sie legte auf und ich hätte noch im selben Moment die Decke hochgehen können. Ich wollte bei ihr sein. Ich musste bei ihr sein. Es waren nur etwas über zwei Stunden Fahrt. Ich beeilte mich, packte ein paar Sachen zusammen und warf sie in eine Reisetasche. Schließlich schnappte ich mir den Autoschlüssel des Mercedes und fuhr in Richtung Amsterdam. Es war irre einfach zu fahren, vor allen Dingen weil ich schon die Geldstrafe gekriegt hatte dafür das ich geschwänzt hatte, aber ich wollte es so. Ich meldete mich außerdem telefonisch krank, so das ich das Training und Spiel übermorgen verpassen würde. Mir war es egal, ob ich erneut Ärger kriegen würde. Ich würde in ein paar Wochen dreizig werden. Das Fußballleben war endlich und es gab Dinge im Leben, die mir mittlerweile einfach wichtiger waren und mehr bedeuteten. Trotz der kurzen Zeit gehörte Bo bereits jetzt dazu. Ihre Eltern waren Tod und sie war allein auf sich gestellt. Wenn ein Mensch Unterstützung brauchen würde, dann sie. Bo schaffte es auf jeden Fall meinen Helferkomplex und Beschützer-Instinkt zu wecken wie keine andere Frau jemals zuvor. Ich hatte mein Handy an die Anlage angeschlossen, doch ich wartete im Moment vergeblich auf einen Rückruf von Bo. Ich biss auf meiner Lippe herum, kaute Kautabak und machte laute Musik an. Ich fuhr schnell, viel zu schnell und da es mittlerweile recht spät war, kam ich ohne weiteres durch und brauchte nicht ganz zwei Stunden. In Holland gab es das Tempolimit, ansonsten wäre ich deutlich schneller bei ihr gewesen. Da Bos Haus mitten in Amsterdam lag, konnte ich mich kaum verfahren. Ich stellte meinen Wagen in ein Parkhaus und nahm meine Reisetasche. Ich hatte Bos Adresse noch vom letzten Mal im Kopf. Mittlerweile war es kurz nach elf und ich nahm mein Handy, um sie anzurufen. „Oh man ich habe vergessen zurückzurufen!" Begrüßte sie mich. „Nicht schlimm!" Sagte ich und lief die Gracht hinunter. Auf einmal erinnerte ich mich daran wie ich mit Bo hier lang gelaufen war und kannte mich auf einmal wieder aus. Ganz automatisch fand ich den Weg zu ihr. Ich kam an einem Café vorbei, wo zur späten Tageszeit noch reges treiben herrschte. „Wo bist du?" Fragte sie mich. „Wo soll ich denn sein?" Tat ich unschuldig. „Bei dir ist ziemlich laut im Hintergrund." „Ja hier ist so ein Café!" „Wo zum Teufel bist du denn?" Lachte sie. Ich schaute mich um. „Wenn du zwei Minuten wartest, kannst du mir die Tür aufmachen!" Sagte ich zu ihr. Auf der anderen Seite wurde es still. „Alles okay?" Fragte ich sie, doch sie schwieg immer noch. „Bo?" Frage ich noch einmal. „Tut mir leid, ich..." In ihrer Stimme hörte ich das sie gerührt war. Sie hatte mich gebraucht und ich war hier. Ich bog um die Ecke und fand die schmale Gasse zu ihrem Haus. Bo stand im Türrahmen. Sie sah müde aus, sie trug einen viel zu großen Hoodie mit großer Kapuze auf dem Harvard stand. Ihre Shorts waren so kurz das diese unter dem Pullover verschwanden. Sie war barfuß und wirkte noch kleiner wie sonst. Sie sagte nichts, ging aber sofort auf mich zu und nahm mich in den fest Arm. Ich konnte nicht einmal die Tasche abstellen. „Hey!" Sagte ich leise ins Ohr und streichelte ihr sanft über den Rücken. „Du hättest nicht kommen müssen!" Sagte sie zu mir, doch ihre Stimme verriet etwas anders. Ich schaute in ihre riesigen honigbraunen Augen, dabei schlug mein Herz bis zum Hals und das Kribbeln in meiner Magengegend verrieten meine Gefühle. Mein innerer Gott jaulte schon auf, dass ich sie die ganze Zeit so verdrängt hatte. „Das kannst du mir überlassen, ob ich zu dir komme oder nicht!" Sagte ich bestimmend zu ihr und schenkte ihr schließlich ein verschmitztes Lächeln. „Es ist schlimm drinnen!" Sagte sie und zeigte ins Haus. „Willst du ins Hotel?" Fragte ich sie. Sie kämpfte sich ein Lächeln auf die Lippen, als machte sie sich über mich lustig. Einen Augenblick blieb die Zeit zwischen uns stehen, ich mich zu ihr beugte und sanft ihre Lippen zur Begrüßung küsste. „Ich bin hier, okay?" Sagte ich leise und fuhr fort. Liebevoll streichelte ich ihr über den Rücken und fuhr fort: „Weil du mich brauchst. Du musst mich nicht nach Hilfe fragen, ich bin hier." Hauchte ich ihr leise ins Ohr. Sie hatte mich immer noch im Arm und schmiegte ihren Kopf gegen meine Brust. Sie entblösste ihren Nacken, ehe sie mich schließlich los ließ. „Lass uns rein gehen." Sagte sie und ich folgte ihr. Tatsächlich sah man, dass das Wasser einen halben Meter hoch im Eingangsbereich gestanden hatte. Die ersten Treppenstufen waren voller Schlamm und das Holz war bis oben hin aufgeweicht. Die Treppe musste bestimmt saniert werden und in dem schmalen Haus würde das ordentlich kosten. Es roch nach abgestanden Wasser im Flur. „Wo kam das Wasser her?" Fragte ich sie. „Scheinbar irgendwas mit dem Rückstauding." Sagte sie und ich folgte ihr durchs Wohnzimmer. Es wirkte leerer wie beim letzten Mal. Bo ging weiter und stand nun vor einer kleinen Wendeltreppe. Beim letzten Mal war diese mir gar nicht aufgefallen. Sie ging hinauf und ich tat es ihr gleich. Nun waren wir auf dem Dach und wir standen mitten in einem gläsernen Wintergarten. Man hatte einen fantastischen Ausblick, auch wenn ich im Moment am liebsten die junge Frau anstarrte. Ich war froh, dass ich zu ihr gefahren war. Sie war mir zu wichtig dafür das sie hier alleine durch musste. Immer noch wollte ich sie beschützen und für sie da sein. Umso wichtiger war mir das ich bei ihr war. Jetzt in diesem Augenblick, hier in Amsterdam, hier bei ihr. Ich wollte nicht das sie alleine dadurch musste. Ich war hier um auf sie aufzupassen. Mir war klar, wie sehr ich sie mochte und mir war klar das ich mich vermutlich wie ein dämlicher Trottel benahm. Der Unterschied zu meinem vorherigen Leben war aber immens. Ich hatte das Gefühl, das Bo die erste Frau in meinem Leben war, die es wirklich wert war, all das zu tun. Bo lächelte mich an und strich sich durchs feste blonde Haar. Gerade schaffte ich es noch nicht einmal wegzusehen. Ihre großen braunen Augen, ihr langes blondes Haar, ihre volle Lippen und ihr niedliches Kinn vernebelten mir vollkommen die Sinne. Ich schenkte ihr ein verlegenes Lächeln und mir wurde bewusst, das ich mich wie ein verliebter Volltrottel benahm. Doch das war mir das aller erste Mal in meinem Leben vollkommen egal. Jetzt gerade in diesem Augenblick war ich nur eins, ich war glücklich und mir fiel auf, wie lange ich es nicht gewesen war. 

Dance // Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt