67. Weißt du, wie schwer verletzt Sie ist?

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Marcos Sicht 

Ich wusste das Bo sauer auch mich war, denn ihr passte es überhaupt nicht, dass ich ihr einen Flug aus München organisiert hatte, doch so war es für alle am praktischsten und ich machte mir eh ständig Gedanken über sie. Pepes Auto stand noch bei mir und ihr Knie war noch so geschwollen, das ich erst in ein paar Tagen operiert werden könnte. Sollte ich Bo etwa solange alleine in München lassen? Bestimmt sogar nicht. Es war bereits dunkel als sie in Dortmund landeten. Ich holte sie ab, stand auf dem Rollfeld und wartete geduldig auf die beiden. Nach dem Spiel hatte ein luftiges Shirt übergezogen und trug dadrüber eine teure Lederjacke von Givenchy. Um meinen Hals baumelte ein schmaler Schal. Doch dafür hatte ich gar keinen Kopf, Bo kam auf Krücken aus dem Flieger. In der Münchener Klinik hatte Sie eine speziell angefertigte Schiene bekommen. Zwar musste Bo damit immer noch auf Krücken laufen, aber sie hatte nicht mehr so schreckliche Schmerzen. Ich hatte ihr einen Blumenstrauß besorgt, der etwas ramponiert auf dem Autodach lag. „Die sind für dich." Lächelte ich sie tapfer an. Bo war nicht nach Smalltalk oder sonst etwas. Sie schwieg einfach nur, als hätte sie sich gerne die Decke über den Kopf gezogen und wäre abgetaucht. Doch sie wusste auch wie unfair das mir gegenüber war. Ich half ihr ins Auto und fuhren zu mir. „Soll ich dich mit nach Köln nehmen?" Fragte Pepe die junge Frau. „Nein sie bliebt noch bei mir!" Bestimmte ich über ihren Kopf hinweg. „Ich muss ein paar Sachen haben!" Schmollte sie. „Du sollst keine Treppenlaufen und bei mir brauchst du das nicht!" Sie rollte mit den Augen. „Ja ich weiß!" Brummte sie schlecht gelaunt. „Also vielleicht kann dir diese Russin helfen?" Fragte sie Pepe. „Sie ist ausgeschieden und wenn du die Woche mit ihr trainierst, hast du vielleicht Ersatz für mich!" Sagte sie dem jungen Spanier. „Es gibt keinen Ersatz für dich. Dann tanze ich eben nicht mehr mit und sitze wie die anderen Juroren einfach am Pult." Bo lächelte ihn tapfer an. „Tanz ruhig!" Versicherte sie ihm und es hörte sich so an als hätten sie schon ein paar Mal drüber gesprochen. Im Spiegel konnte sie mich beobachten und unsere Blicke streiften sich. Sie sah mich an und in ihren Augen konnte ich den Kummer lesen, so dass ich mir automatisch noch mehr Sorgen machte. Auf ihrem Schoß lag der Blumenstrauß, den ich ihr mitgebracht hatte. Dieser roch herrlich und der Duft stieg mir ebenfalls in die Nase. Liebevoll lächelte ich sie an und legte meine Hand auf ihr gesundes Bein. Doch sie schaute gedankenverloren und schweigsam aus dem Fenster.

Als Pepe eine Stunde später sich auf dem Weg nach Köln machte, blieben Bo und ich alleine zurück. Wir waren beide reichlich erledigt. Der Tripp nach München und der wenige Schlaf der letzten Nacht, sowie mein Fußball-Spiel forderten langsam ihren Tribut. Bo humpelte mit Krücken gleich ins Schlafzimmer. „Willst du was Essen?" Fragte ich sie. „Hast du Eis?" Fragte sie mich frustriert und versuchte sich aufs Bett zu legen. „Ja habe ich." Lächelte ich und verschwand in der Küche. Als ich zurück ins Schlafzimmer kam legte sie sich ein Kissen unters Bein und schlüpfte aus ihrer Hose. Neben ein paar Chips, hatte ich ihr eine große Portion Mäusespeck und Erdnussbuttereis mitgebracht. Ich setzte mich zu ihr und reichte ihr einen großen Löffel. „Geht es dir gut?" Fragte ich sie ehrlich. Was sollte sie mir denn Antworten, was wollte ich von ihr hören? Bevor sie mir eine harmonische Antwort aufbinden konnte, kullerten ein paar Tränen über ihre Wangen. „Hey, hey Schatz!" Flüsterte ich ihr leise ins Ohr. Sie schüttelte trotzig den Kopf. Denn gut ging es ihr wirklich nicht und ich konnte es an ihr an der Nasenspitze ablesen. Liebevoll schlang ich meine Arme um ihre Schultern und hielt sie einfach nur fest. „Ist schon okay." Versicherte ich ihr. „Du weißt ja gar nicht wie sehr ich jedes Mal gelitten habe, wenn ich verletzt war. Irgendwann ist es auf einmal alles wieder gut!" Flüsterte ich ihr ins Ohr. Es dauerte eine ganze Weile, doch ich war unglaublich froh, als Bo endlich eingeschlafen war. Es war niederschmetternd sie so zu sehen. Als sie endlich eingeschlafen war, war ich noch mal aufgestanden und hatte das restliche Eis ins Kühlfach gelegt. Sie so zu sehen, war für mich einfach nur furchtbar. Wenn einer wusste wie schwierig es war, sich aus so einem Loch zu kämpfen dann war ich es. Immerhin hatte ich die Weltmeisterschaft verpasst, als Deutschland Weltmeister wurde und das alles weil ich eben wieder verletzt war. Das Scarlett das allerdings extra getan haben soll, machte mich fast wahnsinnig. Ich nahm mir wie von Sinnen meine Jacke und den Autoschlüssel und fuhr zu ihr nach Hagen. Nach unserer Trennung war sie zurück in ihre Heimatstadt gegangen. Es war nicht weit von Dortmund und in weniger als einer halben Stunde war ich da. Ich klingelte bei ihr, doch sie war nicht zuhause. Die Nachbarin sah mich. „Hallo Herr Reus." „Hallo Frau Schmid." „Scarlett ist nicht da, sie ist noch mal zum Reitstall." Ich nickte. „Sie haben mir sehr weitergeholfen." „Ich hoffe wir sehen uns nochmal!" Lächelte sie mich freundlich an. „Bestimmt!" Log ich sie an und machte mich auf den Weg zum Auto. Den dämlichen Weg zum Reitstall kannte ich in- und auswendig. So oft hatte ich Scarlett dort besucht. Nicht nur, dass ich ihr Pferd gekauft hatte, ich war auch noch so dämlich gewesen und hatte ihr ein zweites gekauft. Ich war so unglaublich sauer auf sie. All das was einmal für sie empfunden hatte, war wie weggeblasen. Selbst ihre Hunde, die mir wirklich viel bedeutet hatten, waren mir ein Dorn im Auge. Nach ein paar Minuten kam ich am Stall an, stieg aus, knallte die Autotür und ging schnellen Schrittes hinüber zur Reithalle. Ich sah Scarlett auf ihrem Hengst reiten. „Steig ab!" Brüllte ich sie von der Bande aus an. „Marco!" Sagte sie erschrocken. „Steig ab oder ich zerre dich darunter." Das ich sie anschrie war mir in diesem Moment vollkommen egal, dabei zeigte ich auf ihre Freundinnen. „Ich kann dir die Standpauke aber auch gerne hier halten!" Brüllte ich sie weiter an. Ich war außer mir vor Wut. Sie stieg von ihrem Pferd und drückte einen ihrer Freundinnen das Tier in die Hand. Reumütig kam sie auf mich zu. Ich packte sie am Handgelenk und zerrte sie aus der Halle. Das Elvis ihre französische Bulldogge auf mich zu gerannt kam. „Was soll das?" Fragte sie mich, während ich versuchte Elvis zu ignorieren. „Warum tauschst du hier auf?" Fragte sie mich. „Ich stelle dir eine einzige Frage und ich hoffe, ich hoffe wirklich das du mich jetzt nicht anlügst." Sie sah mich mit großen Augen an. „Hast du Bo ein Bein gestellt oder nicht?" Fauchte ich sie barsch an. Sie zuckte zusammen und ich sah das sie ihre Antwort verzögerte. Ein Zeichen für mich, dass sie mich anlügen würde. „Es ist nicht so wie du denkst!" „Weißt du wie schwer verletzt sie ist?" Fragte ich sie und merkte wie meine Wut ins Unermessliche stieg. Sie zuckte mit den Schultern. „Ihr komplettes Knie ist im Arsch, Kreuzband, Innenband, Außenband. Bo kann monatelang nicht tanzen, wenn sie überhaupt je wieder tanzen kann." Ich hätte ihr am liebsten eine verpasst und zwar mitten ins Gesicht. Sie gab sich nicht Mühe es zu leugnen oder Rechtfertigte sich nicht einmal. „Ich habe sie nicht gesehen, sie war auf einmal da und ist über mein Bein gefallen!" Sagte Scarlett kleinlaut. „Fuck!" Platzte es aus mir hinaus. „Ist das dein Ernst?" Brüllte ich und redete mich dabei von Sekunde zu Sekunde mehr in Rage. Ich hatte mich kaum noch unter Kontrolle. „Ich sag dir jetzt genau ein einziges Mal etwas und ich hoffe das du mich nie wieder dazu zwingst es noch einmal zu wiederholen." Sagte ich zu ihr und biss mir vor lauter Wut auf die Unterlippe. „Kommst du meiner Freundin noch ein einziges Mal in ihre Nähe, dann hast du ein Problem. Ich gebe dir eine letzte Chance, weil wir uns irgendwann mal geliebt haben. Aber diese Zeit ist endgültig vorbei." Sagte ich ihr mitten ins Gesicht und schaute ihr eindringlich in die Augen. „Kommst du ihr noch einmal in die Quere oder lese ich irgendwas in einem Magazine: Schwöre ich dir, dass ich dir alles weggenehme. Dein Scheiß-Instagram, die Spielerfrauen und Model-Agentur, deine Gäule und deine Hunde die ich eigenhändig in Rumänien aussetzen werde..." Ich wusste das ich mich um Kopf und Kragen redete, aber ich war so unglaublich wütend auf sie. Scarlett fing an zu weinen. Ich hatte nicht einmal mehr Mitleid mit ihr. Es war vorbei, sie kam mir vor wie eine Fremde. Das wir uns mal geliebt hatten, war so weit weg wie noch nie. „Halt dich von Bo fern, halt dich von mir fern. Hast du mich verstanden?" Fragte ich sie ein letztes Mal. Sie nickte nur kleinlaut. Ich drehte mich um und wollte gehen. Ihr Schluchzen tat mir schon weh, aber ich war froh, dass die Trennung scheinbar für mich endgültig vorbei war. Danach fuhr ich irgendwie erleichtert nachhause. Auf leisen Sohlen schlich ich ins Schlafzimmer. Bo lag schlafend im Bett und ich war erleichtert, dass sie scheinbar nichts mitbekommen hatte. Ich beugte mich kurz über sie und küsste ihre Schläfe. Sagen musste ich es ihr nicht, aber mir wurde viel klarer das ich mich mit Haut und Haar in Majorlein verliebt hatte. Die junge Frau regte sich nicht einmal. Sie schlief tief und fest. Es war ein beruhigendes Gefühl, dass Sie sich bei mir wohlfühlte und das sie in diesem Moment nicht mitbekam wie unglaublich aufgewühlt ich war. Wenn man das verletzte was ich liebte, dann konnte ich für nichts garantieren und das wurde mir mehr und mehr klar. Ich war über beide Ohren verknallt...

Dance // Marco ReusWo Geschichten leben. Entdecke jetzt