Einen Herzschlag entfernt.

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Erst fühlte ich tiefste Trauer und Verzweiflung und im nächsten Moment nahm ich mein halbes Schlafzimmer auseinander.
Die Kissen flogen durch die Gegend, gefolgt von der restlichen Bettwäsche. Bilder riss ich von den Wänden, feuerte sie durch die Gegend, gefolgt von allem was mir in die Hände kam.
Mein Spiegel ging zu Bruch, Schuhe die herumlagen wurden durch die Gegend getreten, einfach alles was mir in die Quere kam, flog durch den Raum.
Ich ließ meiner Wut freien Lauf und dabei war mir egal, dass diese Skulptur auf meinem Nachttisch mehrere Tausend Dollar gekostet hatte.

„Harry!"

Ich hörte meinen Namen nur schemenhaft, zu sehr war ich damit beschäftigt den Inhalt meiner Kommode im Zimmer zu verteilen.
Immer wieder kam aus meiner Kehle ein seltsamer Laut.
Ein Schrei.
Ein frustrierter und hilfloser Schrei.
„Harry! Haz!"

Erst als mich jemand an den Schultern packte und mich schüttelte, kam ich wieder zu mir. Entgeistert schaute ich in Nialls Augen, die mich geschockt ansahen.
Ich brauchte einen Moment um wieder ich selbst zu sein.
Ich war wie in einem Rausch.
Mein Herz raste - ja ich konnte quasi das Blut durch meine Adern fließen hören.
Hastig atmete ich ein und aus, bekam kaum Luft.
Mein Brustkorb schmerzte und allgemein schien alles irgendwie verschwommen.
Und dann merkte ich sie.
Die Tränen.

„Hazza".
Niall zog mich in seine Arme, drückte mich so fest, dass ich einen erneuten Schluchzer nicht unterdrücken konnte.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich mich wieder beruhigt hatte.
Niall hatte mich auf mein Bett gesetzt, mich im Arm gehalten und gewartet, bis ich endlich wieder ruhig wurde.
„Verdammt".
Ich sah mich in meinem Schlafzimmer um und konnte nicht fassen, dass ich es so zugerichtet hatte.

„Alles wieder okay?".
Zögerlich nickte ich und sah zu meinem besten Freund, der die Stirn vor Sorge in Falten gezogen hatte.
„Ich habe dich unten gehört - Wir alle haben das unten gehört".
Mein Ausraster war wohl doch stärker als ich gedacht hatte.
Wobei, wenn man sich mein Zimmer ansah, war es eigentlich klar.
Sowas blieb eben nicht unbemerkt.

„Du hast Louis ganz schön die Meinung gesagt, was?".
Traurig seufzte ich und faltete meine Hände ineinander.
„Ich kann einfach nicht mehr."
„Das verstehe ich, Haz, aber...naja...er hat halt seine Gründe".
Wütend schnaubte ich auf und schüttelte meinen Kopf.
„Gründe hin oder her, sein Benehmen vorhin ging unter die Gürtellinie".
Und wenn ich ehrlich war, wollte ich diese dummen Gründe gar nicht mehr wissen.
Alles was ich im Moment wollte war Louis zu vergessen.
Ich wollte ihn nicht mehr lieben.

Wenn ich gewusst hätte, wie sehr diese Liebe weh tat, dann hätte ich mich noch mehr gegen das Comeback gewehrt. Mich nicht noch einmal auf Louis eingelassen.
Ihm nicht erneut mein ohnehin schon kaputtes Herz geschenkt.

„Er-".
„Sei mir nicht böse, Niall, aber ich möchte alleine sein".

****

Niall akzeptierte meine Aussage und verschwand aus meinem Schlafzimmer.
Frustriert sah ich mich erneut um.
Aufräumen tat ich das heute sicherlich nicht mehr.

Ich fuhr mir einmal über das Gesicht, schaute auf meine Uhr und ging kurzer Hand ins Badezimmer.
Ich musste jetzt runter kommen. Entspannen.
Und das konnte ich nur mit einem heißen Bad.
Mir doch egal das es mittlerweile drei Uhr in der Früh war.
Auch war mir egal, dass sich noch immer Menschen in meinem Haus befanden.
Sollten sie doch alle bleiben wo der Pfeffer wächst.

Den Raum hatte ich abgedunkelt, lediglich ein paar Kerzen warfen ein wenig Licht in das Dunkle.
Seufzend ließ ich mich in das heiße Wasser gleiten und schloss meine Augen.

Ruhe.

Meine geliebte Ruhe.

Ich versuchte meine Gedanken auszuschalten.
Versuchte den komplett irren Abend zu vergessen.
Versuchte die Menschen in meinem Haus auszublenden.
Mein Körper fuhr herunter und ich merkte, wie ich immer weiter abdriftete.
Das heiße Wasser und der aufsteigende Wasserdampf entspannten mich.
Mein Körper wurde entspannter, fühlte sich schwerelos im Wasser an und beinnahe wäre ich eingeschlafen.

Beinnahe, denn die Badezimmertür wurde geöffnet.

Ich ließ meine Augen dennoch geschlossen.
Ich wollte Ruhe, dass sollten diese gehirnamputierten Idioten endlich verstehen.

„Hey".

Sofort riss ich meine Augen auf und merkte, wie mein Herz kurz aussetzte.

„Ich...ich glaube ich muss mich entschuldigen".

Louis' Stimme sorgte dafür, dass ich in dem heißen Wasser eine Gänsehaut bekam und ich war mehr als froh darüber, dass ich so viel Badeschaum in die Wanne gekippt hatte, dass man meinen Körper nicht sehen konnte.

„Ich-", Louis brach ab und legte seine Hand in seinen Nacken.
„Ich habe ein wenig überreagiert."
Was er nicht sagte.
Ein wenig war meiner Meinung nach noch untertrieben.

Louis überlegte einen Moment, kam dann näher an die Badewanne heran und setzte sich auf den Rand.
Eigentlich wollte ich ihn rausschmeißen, doch mein Körper reagierte nicht mehr und war wie gelähmt.

„Ist ganz schön viel zu Bruch gegangen in deinem Schlafzimmer."

Ernsthaft?
Wollte er jetzt Smaltalk halten?

„Jedenfalls...vielleicht hast du dich gefragt, warum ich überhaupt hier aufgetaucht bin".

Ich wollte nicken, doch wie gesagt - mein Körper reagierte nicht.
Ich konnte nur wie ein kranker Irrer in Louis' Augen starrten und mich fragen, warum er auf einmal anscheinend die Stimmung gewechselt hatte.

„Ich...ich wollte dir erklären...aber...Gigi stand da und-", erneut brach Louis ab und lachte einmal auf.
„Gott, ich kann einfach keinen vernünftigen Satz herausbringen, wenn du in der Badewanne liegst."
Kopfschüttelnd stand er auf und ging auf die Tür zu. Bevor er jedoch durch diese hindurch ging, hielt er inne. Den Blick allerdings stur gegen die Holztür gerichtet.

„Ich werde dir alles erklären, Harold. Aber bitte...zieh dich dafür an. Ich warte in deinem Schlafzimmer."

****

Zehn Minuten brauchte mein Körper um Louis' Worte zu verarbeiten.
Zehn Minuten lag ich in der Badewanne und fragte ich, wie Louis in einem Moment solch hasserfüllte Worte sagen konnte und im nächsten wie ein treudoofer Hund angekrochen kam.

Ich stieg aus der Badewanne, zog mir eine Jogginghose und einen Pullover über den ich vorher mit herein genommen hatte und trat dann zögerlich in mein Schlafzimmer.
Vorsichtig, um nicht auf Glasscherben zu treten, bahnte ich mir einen Weg zu meinem Bett, auf dem Louis bereits saß und mich ansah.
Mit viel Abstand setzte ich mich neben ihn und sah ihn wartend an.

„Harold, vorweg solltest du eines wissen. Auch wenn das hier zu Ende ist, ich vermutlich an allem Schuld bin und dir dein Herz erneut gebrochen habe...ich...ich möchte das du weißt, dass wenn...-", Louis seufzte einmal traurig auf und sah mir direkt in die Augen.
„Wenn wir vielleicht keinen Kontakt mehr haben, du nicht mehr mit mir reden willst...ich...ich will das du weißt, dass ich immer nur einen Herzschlag von dir entfernt bin. Ich werde immer für dich da sein. Immer, egal wann und wo. Egal wie sehr du mich hasst, ich...ich werde da sein".

Sprachlos schaute ich meinen Gegenüber an.
Hatte er eine Psychose?
Litt er vielleicht an einer gespaltenen Persönlichkeit?

Ich - ja, ich war definitiv maßlos überfordert.
Mal wieder.

Ein Herzschlag entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt