Kontrolle

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Louis sah mir nicht in die Augen.
Nervös knetete er seine Finger ineinander und starrte gebannt auf seine ausgelatschten Vans.
„Ähm...also...wie....wie soll ich nur anfangen?".
Augenverdrehend schaute ich zu ihm.
„Wie wäre es am Anfang und mit der Wahrheit?".
„Ja."
Louis nickte, mehr zu sich selbst und dann drehte er sich zu mir. Ganz langsam und vorsichtig hob er seinen Blick und sah mir in die Augen.

„Okay. Das bin ich dir schuldig."

Wo er Recht hatte, hatte er Recht.

„Also...damals...als meine Mum-", Louis brach ab und schüttelte traurig seinen Kopf.
„Naja...ich hatte danach so etwas wie...nennen wir es einen emotionalen Zusammenbruch. Mir ging es wirklich schlecht und ich konnte mit diesem Verlust einfach nicht umgehen. Ich entwickelte eine Art Zwangsstörung. Musste alles kontrollieren. Angefangen bei den Lichtschaltern, dem Herd, einfach alles musste ich kontrollieren. War das Licht auch wirklich aus? Der Herd, den ich seit einer Woche nicht benutzt hatte? Ich musste alle Schalter drei Mal prüfen, bevor ich wirklich das Haus verlassen konnte. Dann begann ich das Verhalten auszubreiten. Ich übertrug meinen Zwang auf meine Geschwister. Ich kontrollierte alles was sie taten. Jeden Schritt, was sie aßen, wie lange sie schliefen, einfach alles. Sogar ihre Nachrichten im Handy habe ich kontrolliert. Ich habe ihnen Sicherheitsmänner organisiert, die sie zur Schule bringen und auf sie aufpassen sollten , wenn ich es nicht konnte. Bei Freddie war es genau so. Ich beobachtete mit Adleraugen wie Briana mit ihm umging. Kontrollierte die Lebensmittel die er aß, was er sich im Fernsehen ansah und natürlich bekamen sie auch einen Bodyguard."
Louis hielt kurz inne und holte Luft.
„Mein Verhalten war wirklich krank, doch ich hatte solch starke Verlustängste, dass ich einfach alles um mich herum kontrollieren musste. Ich musste sicher sein, dass den Menschen die mir nahe waren nichts widerfahren konnte. Ich wollte nicht noch einen Menschen verlieren. Das konnte ich nicht und vermutlich würde mich das umbringen. Es hat mich schon fast umgebracht und erneut würde das nicht gut enden. Haz, ich...ich war wirklich am Ende. Ich konnte nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, nahm...naja...ich nahm Drogen. Irgendwie musste ich ja wach bleiben und da kam mir dieses Zeug wirklich gelegen."

Geschockt riss ich meine Augen auf.
Er hatte Drogen genommen?
Was zum -

„Jedenfalls hatte ich eines Tages meinen Tiefpunkt erreicht.
Ich kam von der Show bei X-Faktor. Die, wo ich gemeinsam mit Steve meinen Song performt hatte. Ich war emotional so am Ende, dass ich mir die volle Dröhnung gab.
Ich fuhr zu Briana und...eigentlich weiß ich nicht mehr was passiert war. Ich kann nur sagen was sie mir erzählt hat."
Erneut senkte Louis seinen Kopf beschämt und drehte ihn weg.
„Ich....ich-", doch er brach ab.
Ein Beben ging durch seinen Körper und dann kamen die Tränen.
Augenblicklich rutschte ich näher an ihn und zog ihn in meine Arme.
Ich war zwar immer noch sauer auf ihn, doch das was er gerade erzählte schockte mich so sehr, dass er mir leid tat.
Louis brauchte einen Moment, blieb in meinen Armen liegen, redete aber weiter.

„Briana sagte mir, dass ich vollkommen außer Kontrolle war. Ich hatte rumgeschrien, sie als schlechte Mutter beschimpft und wollte Freddie mitnehmen. Ich hatte ihn schon in mein Auto gesetzt und wollte los fahren, als sie mich gemeinsam mit ihrem Vater aus dem Auto zog. Ich...verdammt ich wäre voll im Drogenrausch mit meinem kleinen Sohn im Wagen los gefahren. Ich...ich wollte so sehr das es allen gut ging, dass ich nicht mehr ich selbst war und beinnahe meinen Sohn umgebracht hätte."

Wieder wurden die Tränen mehr und beruhigend streichelte ich über seinen Rücken.
„Du hättest ihn nicht umgebracht".
Louis schniefte und schüttelte seinen Kopf.
„In meinem Zustand war es ein Wunder, dass ich überhaupt bei Briana angekommen war. Jedenfalls haben ihr Vater und sie mich dann in die Badewanne gezerrt und eiskaltes Wasser auf mich laufen lassen. Sie haben die halbe Nacht im Badezimmer gesessen, solange, bis ich wieder durch war. Und als sie mir erzählte was ich vor hatte, habe ich mir endlich Hilfe geholt."

Louis drückte sich von meiner Brust und sah mich mit verweinten Augen an.
„Ich war vollkommen außer Kontrolle, aber meine Therapeutin hat mir geholfen. Sie ist eine klasse Frau und ich schaffte es von den Drogen weg zu kommen. Ohne Entzug. Der Schock mit Freddie hatte mir vermutlich die Augen geöffnet."

Nachdenklich nickte ich.

„Als dann das Comeback im Raum stand, ging es mir so gut, dass ich meine Therapie beendete. Die Gedanken...die Gedanken daran endlich wieder mit dir zusammen zu sein...das...das reichte aus um meine Sicht auf die Dinge wieder vollkommen klar zu machen."

Skeptisch zog ich meine Augenbrauen hoch.

„Dann wurde aus dir und mir ein wir. Wir liebten uns und meine Gefühle für dich waren so stark, dass meine Zwänge wieder kamen. Ungewollt staute sich bei mir die Wut an. Ich wollte nicht wieder so ein kranker Vollidiot werden. Meine Eifersucht die dazu kam kehrte mich an meine Grenzen und ich tat Dinge, sagte Dinge die ich wirklich niemals so meinte. Doch irgendwie kam eines zum anderen. Ich war nicht mehr ich selbst und als ich dann die kranke Idee mit Gigi immer weiter in meinem Kopf zusammen spann, da glaubte ich den Mist wirklich."

„Und was hat sich jetzt geändert? Wieso kommst du auf einmal an und willst mir das erzählen?".

Ich verstand nur Bahnhof.

„Niall".
Erneut hob ich fragend meine Augenbrauen.

„Er hat mir die Hölle heiß gemacht. Mich angeschrieen und mir erstmal vor Augen geführt, wie sehr ich dich verletzt hatte. Mein Verhalten war mir nicht klar. Ich wollte mich einfach nur selbst schützen und kapierte nicht, dass ich den Verlust diesmal selbst verschuldet hatte. Niall schrie mich an, versuchte mir meinen dummen Fehler vor Augen zu führen und...naja...als er dann weg war habe ich nachgedacht. Ich habe meine Therapeutin angerufen und Gott sei dank gleich am nächste Tag einen Termin bekommen. Sie hat mir übrigens auch die Hölle heiß gemacht. Ich habe mich zwei Tage eingeschlossen, bis ich mich getraut hatte endlich her zu kommen. Doch als ich dann Gigi sah, sah ich wieder rot. Ich hatte die Kontrolle verloren und kapierte erst was ich gesagt hatte, als ich unten hörte wie du dieses Zimmer zerlegst."

Mein Blick war monoton auf Louis gerichtet.
Das was er mir gerade alles erzählt hatte, musste ich erstmal verdauen.

Er hatte Drogen genommen.
Er hatte eine Zwangsstörung.
Er hatte starke Verlustängste.
Traurig senkte ich den Blick, als erneut ein Schluchzer aus seinem Mund kam und ehe ich mich versah, drückte er sich in meine Arme.

„Es tut mir so leid, Haz. Wirklich...ich...ich weiß nicht mehr wer ich bin. In einem Moment bin ich so wütend, im anderen tut mir alles so leid. In einem Moment hasse ich dich, im anderen fällt mir wieder ein wie sehr ich dich liebe...ich...ich weiß einfach nicht mehr weiter."

Ein Herzschlag entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt