Kleiner Finger.

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Völlig übermüdet kam ich am nächsten Tag in der Konzerthalle an.
Die halbe Nacht wollte mein dummes Hirn einfach keine Ruhe geben, bis ich es irgendwann mit einer Schlaftablette zum Schweigen brachte. Dementsprechend war ich nun leider auch viel zu spät dran und platzte gerade zum Soundcheck herein.

„Na sieh mal an wer uns da noch beehrt", begrüßte mich Niall grinsend und klopfte auf meine Schulter.
„Sag jetzt bitte nicht, du hast dich auch betrunken". Liam verdrehte die Augen und deutete auf Louis, der sich krampfhaft am Mikrofonständer festhielt und alles andere als fit aussah. Seine Augenringe sprachen Bände.
Also hatte mein Gefühl sich doch nicht getäuscht und Louis war wirklich betrunken, als er mir die Nachrichten schrieb.
„Da werde ich ne Menge Schminke brauchen".
Die Stimme kannte ich.
Freudestrahlend drehte ich mich um und riss Lou in meine Arme.
„Na, na, nicht so stürmisch Kleiner", kicherte unsere Maskenbildnerin, als ich sie einmal durch die Luft wirbelte.
Empört ließ ich sie runter und sah sie beleidigt an.
„Kleiner? Ich bin mittlerweile einige Köpfe größer als du meine Liebe".

Der Soundcheck verlief gut, trotz einiger Patzer und auch Lou konnte die Schatten der letzten Nacht perfekt abdecken.
Louis redete nicht ein Wort, suchte aber wieder auffällig oft meine Nähe. Zufällig stand er immer genau dort, wo ich mich befand und das machte mich allmählich wütend.
So konnte mein Plan, ihn zu verdrängen, eindeutig nicht funktionieren. Fing doch jedes Mal mein Bauch an zu kribbeln, wenn er neben mir stand.
Verfluchte Schmetterlinge.
Vielleicht sollte ich Insektengift trinken...wobei...vermutlich doch nicht so eine tollte Idee. Die Schmetterlinge wären dann tot, ich vermutlich aber auch.

Die Halle bebte, die Fans rasteten aus und es erinnerte alles wieder an damals.
Das Glücksgefühl auf der Bühne mit den Jungs... es war ein einziger Rausch.

„Yeah man, war das geil, oder war das geil?".
Niall sprang wie ein Affe durch die Garderobe, voller Adrenalin und beruhigte sich nicht mehr. Schmunzelnd beobachtete ich ihn dabei, als ich eine kalte Hand auf meiner Schulter spürte.
„Liebeskummer steht dir nicht".
Grinsend drehte ich mich um, nur um im nächsten Moment meine Schwester in die Arme zu ziehen und ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Erstmal - hallo" kicherte ich und drückte sie noch enger an mich.
Als ich sie wieder frei gab, strahlte sie mich an und tätschelte meine Wange.
„Schön dich zu sehen kleiner Bruder".
„Da ist er!".
Unwillkürlich wurde ich erneut in eine Umarmung gezogen, diesmal von meiner Mutter, die zudem tausend Küsse auf meinem Gesicht verteilte.
„Mum...Mum!!!! Bitte, hör auf". Lachend schob ich sie von mir und grinste.
„Ich hab euch ja auch vermisst, aber übertreiben wir es mal nicht".
Meine Mum lachte verlegen und ließ ihren Blick schweifen. Mit einem Mal fasste sie sich ans Herz.
„Mein armer Kleiner...".
Sie ließ mich stehen und rannte auf Louis zu, riss ihn in ihre Arme und mehr als ein Schluchzen konnte ich nicht mehr vernehmen.
Louis war für sie immer wie ein zweiter Sohn gewesen. Nach dem Tod seiner Mutter, hatte es meiner Mutter das Herz gebrochen, doch alle Versuche Louis zu kontaktieren scheiterten.

Bedrückt sah ich auf den Boden, als meine Schwester meine Hand nahm und mich aus der Garderobe führte.
„Dann leg mal los".
Fragend sah ich sie an, als ich mich auf einen Lautsprecher setzte.
Womit sollte ich loslegen?
„Liebeskummer", half sie mir auf die Sprünge und setzte sich neben mich.
„Woher-„.
„Harry Schatz, ich bin deine große Schwester. Wir haben das gleiche Blut und wenn du unglücklich bist, kribbelt mein kleiner Finger... also, liegt es an Louis, oder liegt es an Louis?"
„Es liegt nicht - „
„Oh bitte nicht. Sag mir jetzt nicht du hast dich in Niall verliebt. Versteh mich nicht falsch, ich mag ihn und ich finde es klasse, dass ihr so viel Zeit miteinander verbringt, aber ihr passt einfach nicht zusammen. Optisch ist das schon ein ziemlich komisches Bild und ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich auf Männer steht. Vielleicht ist es nur eine Phase bei ihm - Harry, pass auf dich auf. Überstürz nicht gleich-„
Lachend drückte ich meiner Schwester die Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf.
„Das hat nichts mit Niall zu tun und ich kann dir zu hundert Prozent versichern, dass er nicht auf Männer steht."
Wir kam sie nur immer wieder auf solch idiotische Ideen?
Niall und ich.
Gott nein danke.
Meine Schwester atmete erleichtert aus.
„Da bin ich froh, aber dann wohl doch Louis, mh? Beginnt das ganze Drama wieder von vorne... gut. Ich habe mich darauf eingestellt und für jegliches Szenario einen Ratschlag. Vom trösten bis zum Antrag hab ich alles im Kopf durchgespielt. Womit kann ich meinem kleinen Bruder helfen?"

Ein Herzschlag entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt