Boo

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Louis' Körper gefror und sofort merkte ich, was ich falsch gemacht hatte.
Sanft schob ich Louis ein Stück von mir, meine Hände auf seinen Schultern und sah ihn entschuldigend an.
„Ich-".
„Du hast mich Boo genannt".
Schuldig nickte ich, nahm meine Hände nicht von seinen Schultern  und sah ihm in die Augen.
„Louis, dass-".
„So hast du mich das letzte Mal genannt, als-", Louis brach ab und senkte seinen Blick.
„Es tut mir leid, Louis", flüsterte ich leise und zog ihn zurück in meine Arme.
Und kaum hatten sich meine Arme um seinen Rücken gelegt, ging ein erneutes Beben durch Louis' Körper und wenig später merkte ich, wie die Tränen mein Shirt durchtränkten.

Ich hatte Louis früher ständig Boo genannt.
Immer wenn es ihm schlecht ging, ich ihn aufmuntern wollte, oder wenn er einfach etwas Beruhigendes brauchte.
Als ich das erste Mal bei Louis zu Hause war, in Doncaster bei seiner Familie, nannte seine Mutter ihn immer bei diesen Namen. Es war ihr Spitzname und anfangs hatte ich Louis damit aufgezogen, bis mir die Bedeutung klar wurde.
Dieser Name bedeutete ihm unendlich viel und so kam es, dass ich es mir aneignete ihn ebenfalls Boo zu nennen. Immer wenn er es eben brauchte.
Und es half.
Ich konnte Louis einige Male trösten, nur indem ich ihm bei diesem Spitznamen nannte.
Und eben, in diesem Moment, war es automatisch.
Louis ging es schlecht, er brauchte eine starke Schulter und ich wollte ihm einfach zeigen, dass ich für ihn da war.
Was ich damit ausgelöst hatte, war mir nicht bewusst.

„Sie fehlt mir so", weinte der Braunhaarige an meine Schulter und auch ich musste die Tränen unterdrücken.
Louis' Mutter fehlte mir ebenfalls.
Sie war eine wundervolle Frau, nett, liebenswürdig und immer für einen da.
Das ich mich nie richtig von ihr verabschiedet hatte und Louis in diesen schweren Wochen damals nicht zur Seite stand, verzieh ich mir niemals.
Ich hätte einfach die Zähne zusammen beißen  und zu ihm fahren sollen.
Doch mein Mut hatte damals nur für einen Anruf gereicht.
Sofort als mich die Meldung von Jays Tod getroffen hatte, hatte ich mein Handy genommen und Louis angerufen.
Ich hatte lediglich „Es tut mir leid, Boo", gesagt und sofort wieder aufgelegt.
Ich konnte damals einfach nicht damit umgehen.
Konnte ich heute noch nicht und ich hoffte, dass Louis mir das irgendwann verzeihen würde.

Sanft schob ich Louis von mir und stand auf.
„Wo willst du hin?", etwas panisches lag auf seinem Gesicht und abwehrend hob ich meine Hände.
„Ich mache uns nur einen Tee".
Erleichtert atmete Louis auf und ich ging in Richtung Küche. Doch ehe ich durch die Tür gehen konnte, rief Louis meinen Namen.
„Ich vergesse den Honig nicht", versicherte ich ihm, ohne das er die Frage stellen konnte und bemerkte, dass sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen schlich.

Ich kannte mich in Louis' Küche nicht aus.
Wir waren eigentlich immer in meinem Haus, doch da Louis nunmal Louis war, war diese Küche exakt gleich eingerichtet wie die in seiner Wohnung in London. Und in der kannte ich mich nur zu gut aus.

Bewaffnet mit zwei Tassen dampfenden Tee und einem Glas Honig ging ich wenig später zurück in das Wohnzimmer, wo Louis sich in der Zwischenzeit eine Wolldecke um die Schultern gelegt hatte. Dankend nahm er eine Tasse des Tees an sich, tauchte einen Löffel mit Honig hinein und rührte solange darin rum, bis sich auch der letzte Tropfen des gelben Sirups in der heißen Flüssigkeit aufgelöst hatte.

Schweigend tranken wir unseren Tee, schauten abwesend auf den Fernseher, bis Louis diese angenehme Stille durchbrach.
„Haz, ich weiß es ist viel verlangt, aber...kannst du vielleicht heute Nacht hier bleiben?".
Sofort nickte ich.
Ich hatte gar nicht vorgehabt Louis heute alleine zu lassen.
Er war emotional einfach viel zu aufgewühlt und zu labil. Zudem wusste ich nicht, ob er vielleicht nicht doch noch irgendwo etwas von den Drogen herumliegen hatte. Das Risiko, dass er noch etwas Kokain besaß und es nehmen würde, war in meinen Augen einfach viel zu groß.
„Danke".
Louis lächelte sanft und widmete sich wieder seinem Tee.
Schon wieder schlich sich ein dümmliches Lächeln auf meine Lippen und ich musste mich ermahnen, dass Louis mein Ex-Freund war. Louis, der mich verletzt hatte. Der unsere Beziehung beendet hatte und auch musste ich mich ermahnen, dass ich erst wollte, dass Louis gesund wurde bevor ich hier irgendwie weiter gehen würde.
Ihn vielleicht doch nochmal an mein Herz lassen würde.

****

Nachdem wir einen Film geschaut hatten, gingen wir hoch in Louis' Schlafzimmer. Ich hätte auf dem Sofa oder im Gästezimmer schlafen können, doch ich wollte ihn lieber keine Sekunde aus den Augen lassen. Denn auch wenn er jetzt augenscheinlich den Anschein machte das es ihm wieder gut ging, so wusste ich, dass dieses nicht der Fall war.
Wir legten uns in sein großes Bett, eine Menge Abstand zwischen uns und Louis löschte das Licht.
„Schlaf gut und...danke", kam es leise von der anderen Seite des Bettes.
„Versuch zu schlafen", kam es genau so leise von mir und damit war Stille.

Ich versuchte einzuschlafen, doch immer und immer wieder wälzte Louis sich im Bett hin und her, atmete einige Male laut auf und raubte mir somit den Schlaf.
So konnte ich beim besten Willen nicht einschlafen.
Seufzend richtete ich mich auf, versuchte in der Dunkelheit die Konturen von Louis ausfindig zu machen und rückte dann weiter in die Mitte des Bettes.
„Louis".
„Tut...tut mir leid. Ich kann einfach nicht schlafen".
Seufzend legte ich mich wieder in die Kissen, tastete blind nach Louis Arm und zog ihn dann an mich. Ich merkte wie Louis sich irritiert aufsetzte und mich vermutlich ansah.
„Du musst endlich schlafen, also komm schon her".
Zögerlich legte sich Louis neben mich.
„Louis". Mahnend verdrehte ich meine Augen und schon merkte ich, wie er seinen Kopf auf meine Brust legte.
Zufrieden nickte ich und legte einen Arm um den schmalen Oberkörper meines Ex-Freundes.
Das sein Herz raste, versuchte ich zu ignorieren. Ebenso wie ich zu ignorieren versuchte, dass mein armes Herz mir auch fast aus der Brust sprang.

Ein Herzschlag entferntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt