Kapitel 43: Deswegen

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Ich bin eine Gefahr...

Nach langem Rennen lasse ich mich auf eine Bank fallen, da ich langsam das Gefühl habe, zu ersticken.
Außer Puste ziehe ich mir meine Schuhe an, da ich meine Füße auf dem rauen Asphalt wahrscheinlich schon komplett wund gelaufen habe.

‚Was denkst du Prinzessin?'
Ach, meine Gedanken kannst du also noch nicht lesen?
‚Konnte ich nie und werde ich nie.
Immer hin.
‚Ich wusste nicht, dass du dich von ihm so einschüchtern lässt.'
Tue ich aber.
‚Merk ich...'

Durch meine brennende Kehle kann ich nicht wirklich atmen, weshalb sich jeder meiner Atemzüge wie das eines Monsters anhört.
Ich muss irgendwo hin...
„Weißt du, wann dein Problem vorbei wäre?"
Nein.
„Wenn du das Problem verschwinden lässt."
Du meinst...
„Interpretiere es wie du möchtest."

Vorsichtig schüttle ich den Kopf und fahre mir durch die klammen Haare.
„Alles klar?" fragt plötzlich eine Stimme hinter mir, die mich nicht mal erschrecken lässt.
„Ja." antworte ich stumpf und lege meinen Kopf in meine Hände.
„Sieht nicht so aus." fährt die Person fort und setzt sich neben mich, was ich keinen Blickes würdige.
„Warum quatschen einen in dieser Stadt mitten in der Nacht irgendwelche Menschen an? In Köln würde man eher vor jemanden wegrennen." frage ich nach, woraufhin ein relativ tiefes Lachen ertönt.
„Naja, in der Breite bin ich wahrscheinlich das Doppelte von dir. Du solltest eher Schiss haben so mit mir zu reden." lacht er belustigt, jedoch in keinster Weise bösartig.
Nun sehe ich doch zu dem Jungen, dessen blaue Augen freundlich zu mir funkeln.
„Ha Mensch, bist ja nicht mal hässlich!" grinst er und lehnt sich zu mir vor.
„Geschmacksache." antworte ich nur und versinke mein Gesicht wieder in meinen Händen.
„Sicherlich." kommt es auch von ihm und ich merke, wie er sich wieder nach hinten fallen lässt.

„Warum bist du hier mitten im Dunkeln?" harkt er nach.
„Weil ich ne Waffe bin." hauche ich leicht verzweifelt, was ihn nur lachen lässt.
„Bitte nicht so selbstverliebt." kommt es während des Lachens über seine Kehle, was mich etwas ansteckt.
„Ich wollte, glaube ich, meine Freundin schlagen... Keine Ahnung..." sage ich nun ehrlich, worauf ich ein Brummen höre.
„Lass mich raten, sie hat dich erwischt, als du dich im Spiegel mit Selbsthass gemustert hast? Oder sie hat gesehen, dass du zögerlich ans Essen bist? Plötzlich hat sie nach deinen Eltern gerufen oder sowas?" analysiert er meine Aussage, was mich hellhörig werden lässt und ich mich aufrecht hinsetze und ihn intensiv mustere.
Er bemerkt meinen Blick, weshalb er nur schwach lächelt und seinen Ärmel nach oben zieht, wo man einige Schnitte am Handgelenk erkennen kann.
„Ich hab es selber durch." meint er und sieht mich prüfend an.

„Wie heißt du?" fragt er ablenkend nach, als ich meine Gedanken wieder verliere.
„Layla. Du?" stelle ich eine Gegenfrage.
„Sven." kommt es von ihm, was ich nur mit einem knappen Nicken beantworte.
„Du solltest Heim, sie machen sich sicher Sorgen." ermutigt er mich, doch ich schüttle den Kopf.
„Also sicher machen sie sich Sorgen... Aber ich kann nicht..." flüstere ich, während ich mit meiner Hand im Mondschein spiele.
„Dir wird keiner Böse sein. Aber lass dir helfen. Es wird dir besser gehen. Magersucht ist nicht unbesiegbar. Du wirst immer darauf achten, aber immer weniger. Glaub mir." macht er weiter, was mich belustigt aufschrauben lässt.
„Wieso soll ich dir vertrauen?" frage ich, was ihn nur mit den Schultern zucken lässt.
„Hast du eine andere Option?" lächelt er prüfend, weshalb ich nachdenklich zu dem leeren Spielplatz sehe.
„Ich verabschiede mich auf jeden Fall, sonst rufen meine Eltern wieder die Bullen. Man sieht sich." verabschiedet er sich, steht auf und verschwindet nach wenigen Sekunden hinter einem Haus.

Nach einem langen Atemzug stehe ich dann auch auf und starte meinen Weg Nachhause.
Leise Summe ich eine Melodie, die ich selbst nicht zuordnen kann, bis ich nach 30 Minuten endlich ankomme.
Wie weit bin ich denn gerannt...
Kurzerhand suche ich nach meinen Schlüsseln, bis mir wieder einfällt, wie ich das Haus verlassen habe.
Daran habe ich dann wohl nicht gedacht.
Somit betätige ich die Klingel, die man auch sofort durchs Haus schallen hört.
Nicht mal fünf Sekunden vergehen, als mein Bruder mir wutentbrannt die Tür öffnet und mich am Pullover ins Haus zerrt.

„Was dachtest du dir dabei?" fragt er beunruhigend entspannt, was mich einen Schritt nach hinten weichen lässt.
„Das ist gerade nicht dein ernst? Du hast Schiss vor mir? Du willst mich rollen oder?" knurrt er, merkt dann aber anscheinend selbst, dass er gerade keine Hilfe ist.
„Komm mal mit." sagt er nun sanfter, jedoch nicht entspannt.
„Redet erstmal allein. Ich komm dann dazu." sagt mein Bruder und sieht auffordernd zu meiner Freundin, die mich nur mit großen Augen mustert.

„Warum rennst du gleich zu Manu? Darf ich mich nicht mal im Spiegel ansehen?" frage ich etwas kalt nach, mit einem bestimmten Abstand.
„Es war ein Reflex... es tut mir leid... Ich hab nur Angst um dich..." antwortet sie und läuft zu mir, bis sie vor mir steht.
„Ich bin kein fünfjähriges Kind. Ich denke, dass ich alt genug bin, um das alles selbst einschätzen zu können." meine ich distanziert.
„Denk ich nicht." meint sie ernst und hält mich fest, als ich mich weg drehen will.
„Denkst du echt, dass ich bescheuert bin? Denkst du, ich merke nicht, wie du dich aus jeder Situation ziehst, seitdem Vater da war? Denkst du, ich weiß nicht was du machst, wenn du nach dem Essen auf Toilette gehst? Was geht im Moment wieder bei dir da oben ab? Ich spüre wie du wieder nach und nach in die Magersucht rutschst. Ich habe nach Manu gebrüllt, weil er dein bester Ruhepult ist. Weil du ihn mehr liebst als jeden anderen. Und das verstehe und akzeptiere ich. Ich habe dich einmal da raus gezogen, ich lass dich da nicht wieder rein fallen. Und dafür hole ich jede Hilfe, die ich bekommen kann. Er ist dein Bruder. Er muss es wissen. DESWEGEN hab ich ihn gerufen. DESWEGEN bin ich weg gerannt. Weil ich nicht dabei zusehe, wie du wieder von der Schwärze umhüllt wirst. Damals hatte ich noch diese bestimmte Distanz zu dir, dass mich das nicht mit runter gerissen hat. Jetzt würde ich mit abstürzen, weil ich dich zu sehr liebe." fährt sie mich mit Tränen in den Augen an, die sich so lange sammeln, bis ihr eine über die Wange kullert.
Zaghaft wische ich ihr die Träne weg und nehme sie in den Arm.
Ich will sie nicht zerstören...
„Dann musst du sie wohl gehen lassen."

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Hab mal wieder zu viel Motivation... c:

Psycho and Cutie-After closed doorsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt