¤Die Entschuldigung¤

108 12 1
                                    


Es vergingen zwei Tage, bis ich wieder entlassen wurde...
Absofort sollte ich täglich wieder einen Kompressionsanzug tragen, aber für den Sport und das Training war er eindeutig zu eng... Auch wenn die Ärzte sagten, dass er mit der Zeit weiter werden und sich an meinen Körper anpassen würde... So blieb nichts anderes übrig als mich daran zu gewöhnen, mich zweiundzwanzig Stunden am Tag wieder eingeengt zu fühlen...
Zum Glück hatte es keine so schlimmen inneren Verletzungen gegeben, sonst hätten die Ärzte mich noch operieren müssen und das hätte meine bevorstehende Operation im August um weitere Monate verzögert. Aber dennoch sollte ich mich schonen und das hielt ich bei.

Während meiner Zeit im Krankenhaus hatte ich viel Zeit zum Nachdenken und schrieb nebenbei ein paar Gedichte in mein Tagebuch...
In dieser Zeit kam mich nicht einer von den Schlägern besuchen...Schuld empfanden sie wohl nicht... Toby auch nicht... Dabei hatte er von denen am meisten Mitgefühl gezeigt...

Naja... Jedenfalls hatte ich mir mein Wochenende anders vorgestellt, als zwei ganze Tage am Bett gefesselt zu sein....

Am Montag ließen die Ärzte mich gehen... Die paar Schürfwunden und starken Prellungen konnte ich auch Zuhause auskurieren...
Mich störten nur die Schmerzen am Rücken und die blauen Flecken am Bauch, sonst ging es mir gut...

Ganz gestresst wurde ich von Amy abgeholt... und noch in der selben Stunde brachte sie mich an einen entfernten Ort... Wie versprochen fuhr sie mich nach Oregon, um mir etwas zu zeigen... Sie war sehr gespannt, wie ich reagieren würde, und schaute mich während der Fahrt immer wieder an..., bis wir nach mehreren Stunden auf ein abgelegenes Gelände fuhren, das dicht bewaldet war.
Es war ein düsterer Ort, umrahmt von Tannen...
Eine tiefe Stille lag in der Luft, als wir ausstiegen... Ich spürte gleich ein mulmiges Gefühl, als wir einen schmalen Weg entlanggingen...
Ein großes Feld mit Grabsteinen erstreckte sich vor uns...

Auf dem Gehweg rechts von uns stand ein ein großes Schild:
,,The victims of the big assault of 25th February 2014..."
Es waren alles Gedenksteine, da die Leichen bei dem Feuer verbrannt worden waren... Sie alle sahen gleich aus.... Weißer Stein mit schwarzer Schrift...

Zögerlich betrat ich die Wiese und folgte Amy zu einem der Steine... Er stand zentriert von den anderen... und war umstellt von Blumen...
In einer schönen Schreibschrift standen dort die Namen meiner Eltern... Schweigend starrte ich sie an und versuchte, mich an sie zu erinnern... Doch je mehr ich an sie dachte, desto mehr verblich ihr Gesicht in meiner Erinnerung...
Eine Träne bahnte sich einen Weg über mein Gesicht...
,,Sarah,"wisperte Amy und reichte mir eine Blume... Es war eine Narzisse... Mums Lieblingsblume... Dankbar nahm ich sie an und legte sie zu den anderen Blumen... Schweigen füllte die Wiese... und zum ersten Mal konnte ich die Tränen fühlen... Jede suchte sich ihren eigenen Weg über mein Gesicht... ,,Sarah...,"flüsterte Amy und wischte sie mir mit einem Taschentuch weg...
,,Können wir öfter hier hinfahren?,"fragte ich sie und begann zu weinen... ,,Natürlich,"meinte sie und nahm mich tröstend in den Arm... ,,Danke...",flüsterte ich nach einer Weile und strich ihr über den Rücken. ,,Wofür?",wich sie zurück und schaute mich mit fragenden Augen an. ,,Dass du für mich da bist,"erwiderte ich und brachte ein seichtes Lächeln hervor. ,,Das ist doch selbstverständlich,"meinte sie und legte ihren Arm um meine Schulter...

Langsam gingen wir wieder zurück und beschlossen, noch etwas im angrenzenden Nationalpark spazieren zu gehen...
Hier in Oregon war alles anders... Die Luft war klarer, man hörte nicht so viel Verkehr... Es war stiller... und die Wälder zogen einen magisch in den Bann...
Weit in der Ferne erkannte ich einen hohen Berg... Seine Gipfel waren bedeckt mit Schnee... und erinnerten mich an die Zeit in Tibet... Es war ein schöner Anblick..., den ich zuhause erst mal festhalten wollte, doch bei dem Gedanken an meine zerrissene Zeichnung krümmte sich bei mir das Haar...
,,Können wir fahren?",fragte ich Amy, als wir schon mindestens zwei Stunden gegangen waren...
,,Ja, aber wieso?"
,,Ich... habe noch etwas zu tun,"meinte ich und grinste sie verlegen an. ,,Okay... Dann lass uns gehen...,"sagte sie und setzte sich in Bewegung.
Schnurstracks folgte ich ihr und setzte mich ne halbe Stunde später in den Wagen...

Es war Abend, als wir zuhause ankamen... Müde schleppte ich in mein Zimmer und setzte mich an den Schreibtisch... Es war das erste Mal seit drei Tagen, dass ich meine Lampe wieder anschaltete und zeichnete...

Ich zeichnete einen Berg... Einen Berg mit drei Wegen... und am Anfang.. stand ich, ganz klein und musste mich entscheiden... Vor mir lag das weite Tal..., das wahre Leben und ich musste mich entscheiden, welchen Weg ich gehen wollte, mit dem ich das Tal durchqueren und den Berg besteigen sollte....
Immer hatte ich die Qual der Wahl... Doch in dieser Zeit blieb mir nur die eine:die Entscheidung, die man bereits für mich getroffen hatte...
Manchmal wünschte ich, ich hätte gern eine Wahl gehabt... Doch wie hätte ich mich entschieden?

,,Sarah?,"riss mich eine Stimme aus den Gedanken... Es war Toby, der leise steckte durch den
Spalt steckte und in mein Zimmer lugte... ,,Was machst du hier?,"fragte ich ihn eiskalt und wagte es nicht ihn anzusehen. Zögernd trat er ein und sah sich um... ,,Verzeih, ich...habe bei dir Licht gesehen und... wollte mich bei dir entschuldigen...,"wisperte er leise und trat näher... ,,Wie bist du hier reingekommen?",wurde ich misstrauisch...
,,Deine Tante hat mich reingelassen...",stammelte er und betrachtete meine Zeichnung...
Fasziniert beugte er sich über den Tisch und versuchte, es zu verstehen... ,,Was hat das zu bedeuten?",fragte er neugierig und lugte zu mir rüber...
Entspannt lehnte ich mich zurück und betrachtete ihn von der Seite:,,Willst du wirklich über meine Zeichnung sprechen oder nur vom Thema ablenken?" Verdutzt sah er mich an wich zurück... Der Anblick meiner Kapuze und mein eindringlicher Blick verunsicherten ihn und ließen ihn gänzlich erstarren... Gefasst stand ich auf und verschränkte misstrauisch die Arme: ,,Willst du dich wirklich entschuldigen oder nur aushorchen, ob ich euch verpetze oder nicht?" Er zögerte einen Moment: ,,Ich... möchte mich wirklich nur bei dir entschuldigen... Ich und die anderen wussten ja nicht,dass du..."
- ,,Was?",bohrte ich weiter, als er verstummte... ,,Dass du so schlimme Verletzungen hast...,"fuhr er fort und sah mich mitleidig an. ,,Wer hat euch das gesagt?",wurde ich hart und fokussierte ihn mit meinem Blick... ,,Deine Tante meinte,du hättest viel leiden müssen und würdest nicht gern darüber sprechen...",erwiderte er und trat ans Fenster...
Schweigend ging ich ihm nach und folgte seinem Blick... Er starrte geradewegs in sein Zimmer, wo noch ein kleines Licht brannte...
,,Ist das der Grund, warum du dein Gesicht versteckst?,"fragte er nach einer Weile und schaute mich an...
Als sich unsere Blicke trafen, sah ich weg und überlegte,was ich ihm sagen sollte... Ich konnte ihm die Wahrheit nicht sagen... Dazu war mein Vertrauen nicht stark genug... und mein Herz nicht bereit...
,,Ist schon okay... Du musst es mir nicht sagen,"meinte er und wandte sich zur Tür, ,,Ich hoffe,du kannst uns eines Tages verzeihen und von einem Verrat bei der Direktorin absehen...",raunte er und wollte gerade das Zimmer verlassen, da fragte ich:
,,Warum hast du beim Schlagen gezögert?"
Ruckartig blieb er stehen und wandte sich nochmal um: ,,Weil ich mich gefragt habe, ob du dich wehren wirst..."
Ich nickte und grinste:
,,Beim nächsten Mal seid ihr dran..."
Er lachte: ,,Wer weiß..." und schüttelte ungläubig den Kopf, dann verließ er das Zimmer...
Stumm blieb ich am Fenster stehen und blickte ihm nach.
Er war schon eigenartig... Mal machte er einen auf ,gleichgültig', mal einen auf ,obercool' und heute einen auf ,sensibel'... Wer war er wirklich, dieser Toby Stronghold?,fragte ich mich und schaute in die Nacht hinaus...

Hell erleuchtet schien die Stadt im Schein der Lichter...
Die kleinen Fenster in den Hochhäusern,
die Laternen auf den Straßen...und die Dämmerung hüllten die Stadt in ein romantisches Bild und ließen sie für einen Moment lang malerisch wirken.

Verträumt starrte ich vor mich hin und lauschte dem Klang der Ferne..., den Autos auf den Straßen, den Fußgängern auf den Gehwegen...
Mit einem Mal waren laute Stimmen zu hören... Sie kamen von der Straße vor dem Haus.... Ich erkannte sie sofort... Auch Tobys war unter ihnen... Vergebens versuchte ich, sie zu sehen, doch alles was ich sah, waren Schatten und Displays von Smartphones.
,,Und? Hat sie was gesagt?",fragte einer... Es war Russ... ,,Nein... Sie hat es nicht gesagt...,"sagte Toby...
,,Verpetzt sie uns jetzt oder nicht?",war Russ schon fast am Ausrasten... ,,Ich... ich weiß es nicht... Sie hat gerade genug mit ihren eigenen Sachen zu tun...,"stammelte Toby und blickte zu Boden. ,,Was meinst du mit eigenen Sachen? Was hat denn ein Scarface so Wichtiges zu tun, sich zu schminken?", wollte ein anderer wissen... und brach mit den anderen in Gelächter aus...
,,Ach hört doch auf,"konnte Toby sich ein Grinsen kaum verkneifen und ging mit den anderen zum Haus...

Mir reichte es bald... So ein verlogenes Arschloch.... Denen sollte ich verzeihen? ,Darauf können die lange warten!,'dachte ich und schlug das Fenster zu... Energisch brauste ich auf und beobachtete die Schatten durchs geschlossene Fenster...
Sie hatten meinen Ausraster wohl bemerkt und waren verschwunden...
,Endlich,'dachte ich und ging ins Bett...
Nachdenklich versuchte ich einzuschlafen,doch die Gedanken kreisten in meinem Kopf...

Burning Scar - Von Flammen umzingeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt