¤Ihre Vergangenheit¤

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Toby P.O.V

Während ich draußen auf dem Gang noch was stehen blieb und wartete, bis Amy zurückkam, gesellte sich eine alte Frau zu mir, die meinem Blick folgte und Sarah drinnen beim Schlafen zusah. Sie sah mit ihren zarten Falten und ihren schütternen grauen  Haaren ungefähr so alt aus wie meine Grandma und trug ein langes helles Kleidchen, das die meisten Patienten hier trugen. Als ich sie eine Weile kurz betrachtete, bemerkte ich, dass sie einen schmalen Ständer bei sich hatte, an dem eine Infusion hing, deren Flüssigkeit über eine Kanüle direkt in eine Vene ihrer Hand floss. Sie hatte wohl eine schlimme Krankheit, weshalb sie hier auf der Station war und auf das Ding angewiesen war. Aber trotz ihrer Lage schien sie sich darüber keine Gedanken zu machen und interessierte sich wohl mehr für das Wohl anderer, weshalb sie Sarah mitleidig anstarrte...
,,Das arme Ding,"waren ihre ersten Worte, als sie sich zu mir wandte, und traf meinen Blick gar warm mit ihren braunen Augen: ,,So rührend, wie Sie sich eben um Ihre Freundin kümmerten!", fuhr sie fort und machte mich mit ihrer Andeutung ganz verlegen, sodass ich sie belächelnd abstritt: ,,Danke, aber sie ist nicht meine Freundin. Wir sind bloß Nachbarn und gehen auf die selbe Schule." - ,,Oh! Entschuldigung! Da hab ich wohl eben was anderes gesehen!",entschuldigte sie sich grinsend und nahm ihre Worte auf einmal wieder schlagfertig zurück, ,,Hör mal Junge! Wenn man Jahre auf der Station verbringt, bekommt man einen Blick für Leute...." Sie stockte kurz und blickte sich um, alsob sie jemanden suchte, bis sie auf einmal das Thema wechselte, ,,Sehen Sie die Schwester dahinten?" Sie fragte das mit einem Hintergedanken, was mich stutzig machte, und zeigte auf eine Krankenschwester am Ende des Ganges, die einen Mann im Rollstuhl vor sich herschob.

Verwirrt nickte ich nur und blickte wieder zu ihr. ,,Was ist mit der?",fragte ich lässig ohne irgendeine Vorahnung zu haben und folgte erneut ihrem Blick.
,,Sehen Sie nun, wie sie den Arzt an der Rezeption anstarrt?",wisperte sie dann und ich verstand langsam was sie meinte: Alle zehn Sekunden richtete sie geniert ihren Blick auf ihn, bis er plötzlich mit ein paar Akten in einem Zimmer verschwand. Betrübt ließ sie den Blick sinken und blieb kurz vor dem Aufzug stehen. Aber sobald sie merkte, dass ich sie anschaute, blickte sie auf, lächelte wieder und schob den Mann weiter den Gang hinab. ,,Sie haben recht,"raunte ich und drehte mich wieder zur der alten Frau um, die gerade zu Sarah schaute. ,,Ja... Und diesen Blick habe ich bei euch auch gesehen,"hauchte sie in einem sanften Ton und verschränkte verträumt ihre Arme. Irgendetwas beschäftigte sie, worüber sie sich den Kopf zerbrach...

,,Muss nicht leicht sein mit einem entstellten Gesicht...," seufzte sie dann und wandte ihren Blick wieder zu mir, ,,Erst recht nicht es zum Lächeln zu bringen, wenn der Mensch, dem es gehört, alles verloren hat",sagte sie und das mit so einer Gewissheit, dass sie förmlich irgendetwas damit andeutete. ,,Was... was meinen sie damit? Wissen Sie etwas?",fragte ich sie und war fast am Drängeln, bis sie endlich begann es mir zu erzählen : ,,Oh, Junge! Du weißt es nicht?! Die ganze Klinik weiß es! Zumindest die Ärzte und das Stammpersonal... Und als langjährige Patientin hört man die Schwestern halt reden: Über das grausame Schicksal von einem Mädchen, das nach einem schweren Anschlag im Koma lag, währenddessen sogar in den Schlagzeilen war, und zwei Wochen später erwachte und nichts mehr vor sich fand wie es einmal war..." Seufzend legte sie kurz eine Pause ein und merkte,wie gespannt ich ihr zuhörte: ,,Der ganze Flur war damals voller Ärzte, Paparazzis, Schwestern und Patienten... Kaum einer war still... Alle redeten sie durcheinander... Die Ärzte, die stundenlang über ihren Fall diskutierten und sogar Behandlungen anderer Patienten vernachlässigten, um sich zu beraten, die Patienten, die sich wiederum deswegen beschwerten, und die Schwestern, die verzweifelt versuchten sie zu beruhigen und die Paparazzis davon abzuhalten, Fotos von ihr zu machen..." Sie deutete wieder mit einem Blick in Sarahs Richtung und ließ mich an die Worte denken, die die Schwestern gesagt hatten... ,So was wünscht man keinem', hatte die eine gesagt und mich stutzig gemacht...
Nun kannte ich den wahren Grund, woher sie diese Narben hatte, und konnte es nicht fassen, was ich da gehört hatte... Warum hatte sie mir nie etwas erzählt? Dann hätte ich sie eher verstanden und einen Weg gefunden das Mobbing an unserer Schule zu beenden. Aber nein! Sie hatte viel lieber stur das Leid ertragen und kaum etwas gesagt... Als hätte sie es so gewollt... ,Vielleicht um im Schmerz ihren Eltern was näher zu sein,'schoss es mir durch den Kopf und ein Teil von mir konnte sie verstehen.

Burning Scar - Von Flammen umzingeltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt