Kapitel 32

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„Wer ist denn das noch so spät?", fragte ich verwirrt.

Dad zuckte mit den Schultern und wischte sich die Hände an einem Geschirrhandtuch ab. „Vielleicht ist es Jerry. Ich hab ihm vorhin meine Bohrmaschine geliehen."

Jerry war unser Nachbar. Er und mein Dad verstanden sich prächtig und konnten sich stundenlang über Heimwerker-Kram unterhalten. Die beiden liehen sich oft Sachen, wenn sie mal wieder in ihre Das-Zuhause-Verschönern-Phase kamen. Aber trotzdem, der kam doch nicht mitten in der Nacht wegen einer blöden Bohrmaschine.

„Ich mach mal auf.", sagte Dad und ging in den Flur.

Ich stand auf und ging zum Kühlschrank. Irgendwie hatte ich total Lust auf ein Erdnussbutter-Sandwich. Ich wühlte im Kühlschrank, fand aber das Glas nicht.

„Dad?", rief ich. „Hast du die Erdnussbutter gesehen?"

Ich bekam keine Antwort. War ja klar.

Deprimiert schob ich zwei Jogurts aus dem Weg und fand mein Glas Erdnussbutter. Glücklich schnappte ich es mir. „Schon okay, ich hab's gefunden!", sagte ich über die Schulter.

„Schatz, da ist jemand für dich.", hörte ich Dad da sagen.

Ich richtete mich auf und ließ beinahe mein Glas fallen, als ich sah, wer in unserem Flur stand.

Alec war so groß, dass mein Dad neben ihm aussah wie ein Hobbit.

Ich starrte ihn nur entsetzt an. Dad sah das als Aufforderung mit einem leisen „Ja, äh, also ich geh dann jetzt schlafen." zu verduften.

Das hätte ich jetzt auch gerne getan, einfach abhauen. Ich sah aus wie ein verheulter Panda, meine Haare waren vermutlich völlig im Eimer und ich hatte nicht mal Schuhe an. Und er sah natürlich absolut umwerfend aus in dem schwarzen Anzug, den er immer noch trug und den verwuschelten hellbraunen Haaren. Toll.

Und was tat mein Vater? Er ging einfach schlafen? Hatte er nicht Angst um seine Tochter? Jeder andere Vater hätte jetzt spätestens die Schrotflinte ausgepackt und den Hund geholt. Mein Dad besaß zwar weder das Eine noch das Andere, aber irgendwie fand ich das Einfach-Schlafen-gehen-und-die-Tochter-mit-einem-fremden-Kerl-allein-lassen verantwortungslos. Er verschwand nach oben. Und das trotz meiner tollen Erlebnisse letztes Jahr. Naja immerhin hatte ich meine Vater fast k.o. geschlagen, er wollte wahrscheinlich einfach nur schlafen.

„Leah, ich...", begann Alec. Er brach ab.

„Was willst du hier?", fragte ich ihn barsch. Woher wusste er überhaupt wo ich wohnte?!

„Hör zu, es tut mir leid, dass du das mit Natalie vorhin mit anhören musstest. Das mit ihr war so ne einmalige Sache, und..."

„Schon gut, keine Details bitte.", unterbrach ich ihn.

Ich hatte erwartet, jetzt zumindest ein kleines dreckiges Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen.

Stattdessen fragte er: „Wie bist du nach Hause gekommen?"

Ich zuckte mit den Achseln: „Gelaufen, wie sonst?"

„Was?! Du bist gelaufen? Wieso hast du dir kein Taxi gerufen?!" Er sah entsetzt aus.

„Handy zuhause vergessen.", murmelte ich und deutete auf den Küchentisch, wo es lag.

Er lächelte und schüttelte leicht den Kopf. Ich wartete auf eine Antwort, doch er sagte gar nichts, er sah mich nur an.

Mir wurde unwohl und ich presste das Erdnussbutter-Glas fester an mich.

„Was schaust du mich so an?", fragte ich.

„Nichts." Er fuhr sich durch die Haare. Er war aufgebracht. „Es ist nur so, dass ich....mich entschuldigen wollte."

Ich war sprachlos. Seit wann entschuldigte Alec Fuentes sich? Der tat doch sonst nie etwas ohne einen Hintergedanken oder ohne Eigennutz. Was sollte das ganze überhaupt? Was wollte er bezwecken? War ich nur Das-Mädchen-das-schwer-zu-knacken-ist? Machte er das bei jedem seiner Aufrisse? Den Lieben raushängen lassen?!

Ich wurde wütend. Wirklich, wirklich wütend.

Und dann platzte es plötzlich aus mir heraus.

„Was soll das denn jetzt?! Bist erst nett, dann kommt diese Tussi und jetzt kommst du mitten in der Nacht hierher? Willst du mich eigentlich verarschen?!", schrie ich ihn an.

Er hob beschwichtigend die Hände. „Nein, Leah, hör zu, ich wollte nur..."

„Nein, du hörst mir jetzt mal genau zu, Fuentes!", unterbrach ich ihn und trat ganz nah an ihn heran. Gefährlich leise fuhr ich fort: „Ich bin keine deiner Nummern-für-eine-Nacht. Du reißt mich nicht auf mit deiner Ich-bin-ja-doch-so-lieb-Masche, kapiert? Ich will nicht auf einem Niveau mit dieser Natalie, Virginia und den ganzen anderen Schlampen sein, mit denen du vermutlich schon im Bett warst. Ich kenne typen wie dich und ich will das nicht, okay?! Und wehe du wagst es auch noch einmal hier mitten in der Nacht aufzukreuzen, dann mach ich dich einen Kopf kürzer. Und jetzt verschwinde!"

Er sagte gar nichts. Anscheinend hatten meine Worte ihn wirklich getroffen. Er sah mich einfach nur an und schwieg.

„Ich hab gesagt verschwinde!", begann ich zu schreien. Ich sprang auf ihn zu und schlug ihm gegen die Brust.

Er sagte immer noch nichts. Und blieb einfach stehen. Mein Schlag war wohl sowas von mädchenhaft gewesen, dass es ihn nicht mal juckte.

Mir schossen Tränen in die Augen. Vor Wut auf ihn und mich selbst, vor Scham, weil ich so blöd gewesen war und am Allerschlimmsten: Vor Traurigkeit.

Ich wandte mich ab und flüsterte ein letztes schwaches „Geh. Bitte."

In diesem Moment klingelte mein Handy auf dem Küchentisch.

Ich schlurfte hin und ging mit einem kraftlosen „Ja?" ran.

„Hallo? Spreche ich mit Leah Fox?", hörte ich eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung.

„Ähm, ja. Wer ist da?", fragte ich, völlig verwirrt.

„Hier ist Schwester Anna aus dem St. Marys Hospital. Kennen sie Tyler Whitelock?", fragte die Frau.

Mir rutschte das Herz in die Hose.

„Ja, natürlich, ist etwas passiert?", fragte ich entsetzt.

„Nun, Mr. Whitelock hatte einen schweren Autounfall, er liegt jetzt hier im Krankenhaus. Ihre Nummer war die letzte gewählte Nummer in seinem Handy und da wir seine Eltern nicht erreichen konnten, dachte ich, ich rufe Sie an.", erklärte Schwester Anna.

Ich schluckte. Tyler hatte einen Unfall gehabt? Deshalb war er nicht aufgetaucht. Oh mein Gott.

Bad boys do it better?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt