Kapitel 100

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Ich rollte mich wieder auf meiner Bettdecke zusammen und kniff die Augen fest zu. Alecs tiefe Stimme erfüllte meinen ganzen Körper, drang durch meine Knochen und die Worte, die er las, direkt in mein Herz.
"Warum ich dir diesen Brief schreibe, weiß ich selbst nicht so genau. Als ich noch im Knast saß, habe ich oft daran gedacht, dir einen Brief zu schreiben, aber ich habe mich nie getraut. Jetzt habe ich nichts mehr zu verlieren, also tu ich es einfach. Es ist unglaublich, wie eine einzige Nacht dein gesamtes Leben verändern kann. Ich werde dich nicht um Vergebung bitten, denn was ich getan habe, ist unverzeihlich. Du bist fast gestorben wegen mir, und das weiß ich. Ich habe meine Strafe verdient. Und ich weiß, dass ich dich und alles was mir je etwas bedeutet hat, verloren habe. Aber ich schwöre, dass bis jetzt kein einziger Tag vergangen ist, an dem ich nicht an dich gedacht und alles, was ich getan habe, zutiefst bereut habe. Ich war ein dummer, verwöhnter Junge. Das ist keine Entschuldigung, doch trotzdem. Ich verspreche dir, dass ich dir nie wieder zu nahe kommen werde. Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sehr du mich hassen musst. Doch glaub mir, niemand hasst mich so sehr, wie ich mich selbst hasse. Ich liege oft nachts wach und denke nach, was passiert wäre, wenn ich nicht getan hätte, was ich getan habe. Aber das ist sinnlos, ich kann es schließlich nicht mehr ändern.
Jetzt versuche ich mir ein neues Leben aufzubauen. Ich bin nach Florida gezogen, wie du vielleicht weißt.
Ich hoffe, du bist inzwischen glücklich. Und ich hoffe, du hast jemanden gefunden, der dich glücklich macht. Ich wünsche dir nur das allerbeste, mi tesoro. Diego."
Alec legte den Brief neben sich auf das Bett und sah zu mir.
Ich sagte nichts. Die Worte, die er mir eben vorgelesen hatte, überrumpelten mich komplett. Und der Kosename, den er mir damals gegeben hatte.
Atmen., musste ich mich selbst erinnern.
Ein. Aus.
Ein. Aus.
"Leah?", fragte Alec neben mir leise.
Ich konnte nichts sagen. Kein Wort. Sonst hätte ich wieder angefangen zu weinen.
Ich drehte mich zu ihm, und krabbelte aus meiner eingerollten Embryo-Stellung wieder in seinen Arm.
Er schwieg und küsste mich auf den Scheitel.
"Warum tut er das?", flüsterte ich. "Ich...war gerade halbwegs darüber hinweg."
"Vielleicht tut ihm einfach alles leid was er in der Vergangenheit getan hat.", meinte Alec.
Und ich wusste nicht, ob er sich selbst oder Diego meinte.
Trotzdem schüttelte ich den Kopf. "Weißt du, wie oft ich nachts schreiend aufgewacht bin, weil ich wieder diese Alpträume hatte?! Dass ich verbrenne in seinem verdammten Haus?! Dass ich eine lange Zeit nicht mal an einem blöden Lagerfeuer sitzen konnte, ohne fast ohnmächtig zu werden vor Angst?! Und gerade als ich das alles zu vergessen versuche, reißt er alles wieder auf."
Und plötzlich war er wieder da. Der Schmerz. Und diese komische Leere in mir drin. Dieses seltsame Gefühl, dass mir alles egal werden ließ.
Ich konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. Sie liefen mir einfach aus dem Augen.
"Möchtest du, dass ich bleibe?", fragte Alec.
Er sah mich an.
"Nein. Ja. Ich weiß es nicht."
Ich rollte mich auf die Seite. "Und können wir nicht reden?"
Er legte sich hinter mich und legte den Arm um meine Hüfte. Dann flüsterte er in mein Ohr: "Geht klar."
Ich nickte und schloss die Augen.
Mein Kopf tat weh vom weinen.
Alecs ruhiges Atmen entspannte mich, wie schon so oft. Früher.
Und ich schlief ein.

Bad boys do it better?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt