Kapitel 85 - Das Dorf der weisen Frauen

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Ich nehme einen rhythmischen Gesang wahr. Ein warmes Licht flutet meine Augen, beim Versuch diese zu öffnen. Als erstes sehe ich die massiven Holzbalken, welche die Decke einer Blockhütte bilden. Meine Hand tastet die unmittelbare Umgebung ab. Ich liege in einem Bett.

Der Gesang wird leiser. Eine ältere Frau steht seitlich zu mir ans Bett. Ihr langes, graues Haar ist zu einem aufwändigen Zopf geflochten. Sie wirkt nicht älter als siebzig aber ihre Art verrät mir, dass sie weitaus älter sein musste. „Sie ist aufgewacht." Verkündet sie mit einer liebevollen Stimmfarbe. Erst dann fällt mir auf, dass sich noch weitere Frauen und Mädchen jeden Alters in dem Raum aufhalten. Sie versammeln sich um das Bett und schauen mich beinahe ehrfürchtig an.

Jedoch drängt sich bei mir blitzartig nur dieser eine Gedanke in den Vordergrund. „Wo ist Draco? Geht es ihm gut?!" Platzen die Worte rastlos aus mir heraus. Ich sehe, wie sich der Ausdruck ihrer Gesichter wandelt, als ich von ihm spreche.

„Bitte, helfen Sie ihm! Ich flehe Sie an!" Wende ich mich mit weinerlicher Stimme an die Älteste der Frauen.

„Er wird es überstehen. Keine Sorge, mein Kind." Beruhigt sie mich mit ihrem führsorglichen Klang. Meine Atmung normalisiert sich etwas und ich senke meine Lautstärke. „W-wo ist er?" Wage ich es nachzufragen.

„Gleich in der Hütte nebenan. Er hat einen ziemlichen Aufruhr in unserem Dorf verursacht, musst du wissen. Männer sind hier normalerweise nicht gestattet." Erklärt sie mir in einem strengeren Ton.

„Ich bin euch unendlich dankbar, dass ihr eine Ausnahme gemacht habt." Wimmere ich vor lauter Erleichterung, die mich gleich wie einige Kilos leichter fühlen lässt.

Die junge Frau, welche uns zuerst im Wald entdeckt hatte, kommt zur Tür herein und auf das Bett zugelaufen. „Du bist wach, wie schön." Spricht sie mich mit einem ehrlichen Lächeln an.

„Ich bin übrigens Tatjana." Stellt sie sich vor. Ich lächle ihr zurück. „Mein Name ist..." Sie unterbricht mich sogleich. „Mina. Ich weiss." Beendet sie meinen Satz. Woher weiss sie das?

„Unser aller Bewusstsein ist verbunden. Ich habe es in deiner Aura gesehen." Beantwortet sie sogleich meine Frage, die ich nicht einmal ausgesprochen hatte. Verwundert schaue ich sie an. Sie übergibt der Ältesten ein Bündel mit Kräutern. Eine andere Frau tritt vor. Sie könnte etwa das Alter meiner Mutter haben. Sie hat auch dieses glänzende, schwarze Haar und eine vertraute Ausstrahlung. Sie klappt die Bettdecke zur Seite und begutachtet mein rechtes Bein. Es ist eingewickelt in weisse Bandagen. Flecken von eingetrocknetem Blut sind darunter zu erkennen. Es brennt noch aber es ist gut aushaltbar.

Vorsichtig nimmt sie die schmutzigen Bandagen ab, entfernt die alten Kräuter und tupft mir das Blut mit einem abgekochten Tuch weg. Während meine Wunde versorgt wird, wandert mein Blick im Raum umher. Es hängen viele getrocknete Pflanzen von der Decke. In den Ecken befinden sich Schränke mit hunderten von beschrifteten Töpfen und Glasfläschchen. Es muss das Krankenzimmer sein oder besser gesagt, das Heilerinnen-Zimmer.

Das Diadem befindet sich auf einem Tischchen weiter hinten im Raum und ruht auf einem Kissen direkt neben meinem Rucksack. Ein Mädchen dahinter kümmert sich um das Feuer im Kamin und legt gerade Holz nach. Der Raum ist angenehm warm.

Deinen Zauberstab und den Rest eurer Sachen haben meine Schwestern im Wald zusammengetragen und in eurem Gepäck verstaut." Überträgt die alte Dame mir wortlos ihre Gedanken. Meine weitgeöffneten Augen schauen direkt in ihre Hellbraunen.

Wie ist das möglich? Ist jede von euch zur Telepathie fähig?" Antworte ich ihr auf der gleichen Frequenz. Sie nickt mir bestätigend zu. Ihre Präsenz verströmt eine Allwissenheit und gibt mir das Gefühl willkommen und geborgen zu sein.

𝔻𝕒𝕣𝕜 𝕄𝕒𝕘𝕚𝕔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt