Kapitel 90 - Bei Gringotts

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Der folgende Tag ist angebrochen. Nach dem Frühstück begegne ich Draco auf dem ersten Stock. Er schleppt mich in ein verlassenes Zimmer, das bis obenhin vollgestellt ist und nur noch als Abstellkammer zu dienen scheint. Wir sitzen auf einem antiken, abgedeckten Sofa und sehen uns in die Augen. Es ist schon eine Weile her, seit wir Zeit alleine miteinander verbracht haben.

Er hebt seine Hand und legt sie an mein Gesicht. Er streichelt mir über die Wange. Er sieht mir völlig verändert entgegen. Zu Beginn, als ich ihn kennenlernte, respektierte er die Wünsche und Gefühle anderer nicht. Er war rücksichtslos und arrogant. Heute kann ich nichts mehr davon in ihm erkennen.

„Ich beneide dich." Haucht er mir zu. „Warum?" Antworte ich ihm sogleich. „Ich beneide dich um das gute Verhältnis mit deinen Eltern." Verrät er mir. „Es ist nicht so perfekt, wie es scheint." Bemerke ich an dieser Stelle, um das gleich zu klären. „Trotzdem." Hat er wie immer das letzte Wort. Dann dreht er sich frontal zu mir. „Es gibt etwas, dass ich dich fragen will aber ich habe bisher noch keine Gelegenheit dazu gefunden." Beginnt er zu erzählen, was ihm auf dem Herzen liegt. „Ja, klar. Um was geht es?" Gebe ich ihm vertrauensvoll zurück.

„Hast du in deinen Visionen vielleicht... meinen Vater gesehen?" Als er mir ausgerechnet diese Frage stellt, läuft es mir kalt den Rücken runter. Wie ist er überhaupt darauf gekommen? Jetzt gibt es keinen Weg mehr daran vorbei. Ich muss es ihm sagen. Von meinem Gesicht kann er jedoch schon ablesen, dass es wahr ist. „Das habe ich mir gedacht... Unter all den Todessern, die uns und den anderen begegnet sind, war mein Vater nie dabei. Er ist die ganze Zeit über schon an der Seite von Voldemort." Zieht er in betrübtem Ton seine Schlüsse daraus. Er nimmt seine Hand langsam von meinem Gesicht und setzt sich gerade neben mich. „Es tut mir so leid. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, dir davon zu erzählen." Starte ich einen blöden Versuch, mich bei ihm zu entschuldigen. Er nickt schweigend. „In der Nacht vom Blutmond habe ich davon geträumt. Dann gehörte das also doch zu deinen Visionen." Spricht er seinen Gedankengang vor mir aus. Unsere spezielle Verbindung hat einmal mehr auf unsere Leben eingewirkt, ohne dass wir darum gebeten haben.

„Tut er das wirklich aus Überzeugung oder hat er keine Wahl?" Stellt er sich laut die Frage. Es beschäftigt ihn und nimmt ihn voll und ganz in Anspruch. Ich rücke näher zu ihm hin und lege meine Hand auf seinen Rücken. „Auf mich wirkte er nicht, als wäre er freiwillig dort." Gebe ich ihm meine Meinung dazu. „Ja, nicht? Das kam mir auch so vor! Aber dann hatte ich das Gefühl es könnte daran liegen, dass ich so verzweifelt nach etwas Gutem in ihm gesucht habe. Irgendetwas, das beweisen würde, dass ich mich in ihm geirrt habe." Seine Stimme durchlebt emotionale Höhen und Tiefen, während er mir davon berichtet, was in ihm vorgeht. Er rauft sich die Haare und bemüht sich diese kreisenden Gedanken abzuschütteln.

„Bist du sicher, dass du das heute durchziehen willst?" Stellt er mir die Frage schonwieder, in der Hoffnung, ich würde doch hierbleiben. „Ja, wir machen das zusammen. Du wirst mich nicht los, versprochen." Gebe ich in neckender Stimme zur Antwort, um den Ernst dieser Situation zu kaschieren. Er schnaubt ernüchtert, dreht sich erneut zu mir und umgreift mit beiden Armen meine Taille. Sein Gesichtsausdruck wandelt sich und ich sehe zwischen all dem Schmerz und der Furcht diesen hellen Funken Leidenschaft aufleuchten. „Warum bist du nur so stur?" Flüstert er mir in seiner tiefen, unwiderstehlichen Stimme zu. „Damit du mich nie mehr gehen lässt." Entgegne ich wie automatisch, ohne nachzudenken.

Er zieht mich dicht an seinen Körper heran. Damit unsere Beine einander nicht in die Quere kommen, hebe ich eines an und gleite auf seinen Schoss. Er hält meine Hüfte übertrieben fest, so als würde er befürchten, mich zu verlieren. Ich lege meine Arme um seinen Nacken und fahre mit meinen Fingern durch seine weichen, silber-blonden Haare. Sie sind fast wieder so lang, dass ich sie ihm schneiden müsste. Einen Augenblick sehe ich die schöne Wiese vor mir, auf der wir damals das Zelt aufgestellt hatten.

𝔻𝕒𝕣𝕜 𝕄𝕒𝕘𝕚𝕔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt