epilog 4/

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P.O.V. Annabelle

Wie konnte ein Körper sich nur so schwer anfühlen? Hatte ich einen Kater oder so?
Ich stöhnte laut vor Schmerzen und öffnete ganz langsam meine Augen. Ein blaues Augenpaar starrte zurück, weshalb ich etwas zusammenschreckte.
"Daaaad, sie ist wach!", hörte ich irgendjemand irgendwann sagen.
Eine Kinderstimme...
Wo war ich? Offensichtlich lag ich auf einer Coach, aber mehr konnte ich nicht erkennen, da es zu schmerzhaft war den Kopf zu drehen.
Ich hörte nur Schritte und dann blickte ich in ein anderes Augenpaar.
Ein verschrammtes Gesicht!
"Wesley!", realisierte ich langsam und versuchte ihn anzulächeln, was nicht wirklich klappte.
Seine schwarzen Augen waren immer noch so wunderschön wie früher.
Wie früher!
Ich schluckte, um meine Stimme wieder zu finden.
"Wo bin ich?", informierte ich mich irritiert.
"In meiner Wohnung...Das, das ist Shawn.", stellte er mir d'en Jungen, der geduldig neben ihm saß, vor.
"Hallooo. Bist du Mommys Freundin? Weil Dad hat gesagt, dass du ganz viele coole Geschichten über Mom kennst.", fragte er sofort begeistert und stand auf, um dann auf dem Teppichboden hin und her zu hüpfen.
"Sie muss sich ausruhen, Shawn. Zieh dich an! Dein Freund kommt doch gleich!", erinnerte Wesley ihn und bat mich still bis dahin bitte einfach nicht zu sagen.
Er wusste genau, was mir auf der Leber lag.
"Au, ja!", rief er begeistert und verschwand im hinteren Teil des Gebäudes.
"Er nennt dich Dad, Wesley!", bemerkte ich und sprach automatisch leiser.
"Ich kann es ihm nicht sagen. Es nimmt ihn schon genug mit, dass er keine Mutter mehr hat.", erklärte er mir und seufzte leicht. -
"Was ist das?", wollte ich wissen und zeigte auf den Tropf rechts von mir, wodurch Flüssigkeit in meine Adern lief, der an meiner Hand befestigt war.
"Gegen die K.O.-Tropfen. Ich hoffe es hilft genug.", sagte Wes und klang eher, als würde er mit sich selbst reden würden. -
"Ist es denn passiert?", wollte ich wissen und hatte furchtbare Angst vor der Antwort.
Er schüttelte den Kopf.
Puh, da war ich noch irgendwie drum herum gekommen!
"Ich hasse mich. Wieso passiert sowas nur mit mir?", fragte ich und ärgerte mich, dass ich so unfähig war mich selbst zu wehren.
"Es hat nichts mit dir zu tun. Es hat etwas damit zu tun, wie ekelhaft die Welt dort draußen ist.", erklärte er mir und ich wusste, dass Wes recht hatte.
Meine Hand zitterte und Wes ergriff sie, damit es stoppte.
"Wir holen das Gespräch ganz einfach nach. Du weißt doch selbst wie phänomenal deine Arbeit ist. Es wäre eine Verschwendung von Potential dich nicht anzunehmen.", behauptete er und ein schwaches Grinsen umspielte seine Lippen.
"Ich habe nie..."
Ein Klingeln unterbrach das, was ich sagen wollte.
"Das ist wahrscheinlich die Mutter von Shawn's Freund!", behauptete er und verließ dann den Raum, um ihnen zu öffnen.
Ich zog die Decke, mit der Wesley mich gestern wahrscheinlich eingepackt hatte, noch ein Stück höher.
"Natürlich! Shawn hat schon geschwärmt, wie gerne er auf das Sommerfest will.", hörte ich Wesley sagen und dann verabschiedete sich er von Shawn und die Tür schloss sich wieder.
Jetzt waren nur noch er und ich in dieser Wohnung!
Ich sah an der Wand mehrere Bilder von Shawn und eine Abzeichnung von einem Doktortitel.
"Du hast schon einen Doktortitel?", fragte ich verwirrt und starrte auf das Stück eingerahmte Papier.
Wesley kam wieder in den Raum, als ich es gerade geschafft hatte mich aufzusetzen.
"Ja, es war nicht wirklich schwer.", gestand er mir und betrachtete mich mit einem Schmunzeln, weshalb ich kurz dachte ich hätte etwas in meinem Gesicht.
"Ich wusste ja schon immer, dass du überdurchschnittlich schlau bist und einfach nur dumm tust.", behauptete ich, denn Wes hatte sich noch nie wie unter gebildeter Schüler verhalten.
Er war einfach nur frech gewesen, was ihm wohl alle Möglichkeiten verbaut hatte.
"Ich habe mich testen lassen, dachte das wäre eine gute Idee. Vielleicht bin ich ja tatsächlich hochbegabt, dachte ich mir. Eigentlich habe ich einfach nur einmal auf meinen Vater gehört. Das Ergebnis hat mir nicht so gefallen.", meinte er und zuckte mit den Schultern.
"Es war überdurchschnittlich hoch, habe ich Recht?", wollte ich wissen, obwohl es eher eine Feststellung war als eine Frage.
"Ich habe so viel Wissen, so viel Geld und ich weiß trotzdem nicht, was ich damit anfangen soll.", seufzte Wesley und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
"Normalerweise bekommt man seinen Doktor frühestens mit dreißig. Ich bin 24 und habe ihn schon seit einem Jahr. Ich fühle mich wie ein Wörterbuch einer Sprache, die ich nicht spreche. Ich weiß so viel und trotzdem nichts."
Für einen Moment war es ganz still.
"Entschuldigung! Ich will hier nicht..."
"Erzähl mir von etwas, das du nicht kannst! Mir fällt da nichts ein. Das ist doch der Traum jedes Menschen.", versuchte ich ihm die positive Seite zu zeigen.
"Ich kann dich nicht beschützen, ich kann dir nicht geben, was du willst.", behauptete Wes und spielte damit auf dir gestrige Nacht an.
"Du tust das, was du kannst, und mehr geht nicht.", versuchte ich ihn davon zu überzeugen.
"Es geht immer mehr!"
"Du kannst mich einsperren. Dann passiert mir nichts.", schlug ich ihm vor und hielt ihm meine Hände hin, sodass er mich jetzt abführen konnte und in Handschellen fesseln könnte.
Wes verdrehte die Augen.
"Ich sollte gehen.", fiel mir ein, dass ich Wesley wahrscheinlich von seinen Plänen am heutigen Tag abhielt.
"Auf keinen Fall!", stoppte Wesleys Stimme mich davon aufzustehen.
Es war zwar Samstag, aber ich war mir sicher, dass Wes trotzdem arbeiten musste.
"Du hast doch sicher etwas zu tun und ich will dich echt nicht unnötig aufhalten.", meinte ich und wollte da jetzt auch kein großes Drama daraus machen.
"Du musst liegen bleiben. Außerdem habe ich erst später ein paar Termine und stören tust du sowieso nicht.", behauptete er und berührte leicht meine Schulter, um mich zu beruhigen.
"Sicher?"
"Ja!"
"Ich muss aber noch meine Zimmernachbarin anrufen, damit sie sich keine Sorgen macht.", teilte ich ihm mit und fragte ihn damit indirekt, wo sich meine Tasche eigentlich befand.
"Simon wird gleich vorbeikommen und uns beiden Gesellschaft leisten., vorausgesetzt du hast damit kein Problem. Sprich nicht über meine Geheimnisse!", berichtete er mir über den Verlauf des Tages und stand währenddessen auf.
Er wirkte nun wieder viel distanzierter und kälter.
"Das würde ich niemals tun. Ich dachte das weiß-"
"Wir sind Fremde, Annabelle. Ich vertraue dir nicht.", erinnerte Wesley mich und zeigte mir so, dass alles, was mal war, vergänglich war.
Tatsächlich hatten wir beide keine Ahnung, wer der jeweils andere überhaupt noch war.
Hatten wir uns verändert? Hatte Wes mir überhaupt jemals vertraut?
"Oh!"
Das war alles gewesen, was meinen Mund verlassen konnte.
"Ich hasse dich nicht."
"Aber Lieben tust du mich auch nicht.", beendete ich das, was er wahrscheinlich im Begriff war zu sagen.
"Ich halte nicht an alten Geschehnissen fest. Du warst meine erste Liebe. Ich habe mich wirklich total verknallt und das klingt echt sehr kitschig, aber es war tatsächlich so. Jetzt sind wir beide Erwachsene und sollten uns nichtmehr gegenseitig verletzen.", schlug er mir vor und hatte total Recht damit.
Ich stand auf und versuchte ihm mit meinem Blick zu zeigen, dass es schon okay war und ich nicht sitzen brauchte.
"Es ist also nun ganz offiziell vorbei?", fragte ich und sah ernst zu ihm hoch, wobei ich sagen musste, dass es doch nicht so einfach war zu stehen.
Sein Blick glitt meinen Körper herunter, als würde er sich nochmal vergewissern wollen, dass das die richtige Entscheidung war.
Küss ihn! Das letzte Mal...
Nein, das sollte ich auf keinen Fall tun. Er würde mich zurückdrücken und mir sagen, dass ich gehen sollte.
Es war so verwirrend ihn nach fünf Jahren wieder zu sehen und nur zu merken, dass alles immer noch da war. Die ganzen Gefühle, der Schmerz, der Kummer! Ich konnte nicht loslassen.
Vielleicht war das einer der vielen Gründe, wieso ich mich einfach die Zehenspitzen stellte, sanft nach seinem Nacken griff und meine Lippen auf seine legte.
Er würde mich zurückdrücken.
Wahrscheinlich war ich einfach nur eine riesengroße Idiotin.
Für einen Moment lang tat er rein gar nichts und ich machte mich darauf gefasst, dass er mich jetzt wegstieß.
Dies war aber nicht der Fall.
Er drückte mich an der Taille näher zu sich und vertiefte den Kuss.
Vertieft? Was?
Ich dachte tatsächlich, dass es einfach nur eine total dumme Idee war.
Seine Lippen fühlten sich anders an, aber trotzdem waren sie noch voll und kalt.
Wesley war schon immer kalt, aber ich mochte es.
Ich mochte es, dass er auf seine Art wunderschön war und es wirkte von außen einfach nur perfekt.
Sein Atem, der sich mit meinem vermischte, seine Berührungen, welche mich fast erzittern lasse und seine Zunge, die meine suchte.
Wahrscheinlich sollte ich aufhören, wir sollten aufhören.
"Wir sollten...", stöhnte ich und wollte eigentlich gar nicht damit stoppen.
Wes ließ ab von mir.
"Wieso hast du das getan?"

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