lucia

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"Ich gehe. Fickt doch alle miteinander!", verabschiedete sich Wes und schob knarzend den Stuhl nach hinten.
"Und David, viel Spaß dabei Annabelle zu bumsen!", fügte er noch hinzu.
Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt. Mit einem Satz war ich aufgestanden und um den Tisch zu Wes gestürmt, der etwas überrascht aussah. Dann holte ich aus und ohrfeigte ihn einfach. Für ihn schien das wahrscheinlich nicht wirklich fest zu sein, aber irgendwie war das sehr befreiend.
"Ich bin keine Nutte, Wes!", schrie ich und wollte ihn nochmal schlagen, aber er griff nach meinen Handgelenken und hielt mich so davon ab.
Die Berührung war so verfremdet.
"Schlag mich nicht!", befahl er mir, weil ich versuchte seinem Griff zu entweichen.
"Aber du hast es so verdient!", schluchzte ich und versuchte ihn abzuschütteln, was ganz und gar nicht funktionierte.
Er nickte.
"Ich weiß.", meinte er und ließ meine linke Hand los.
Sein Blick lag auf David, der immer noch so bedabbert grinste.
Auf einmal ließ Wes mich komplett los, trat von hinten an David heran und drückte dessen Kopf nach unten, sodass er direkt in sein Essen ging. Wes kochte vor Wut und David versuchte sich zu wehren, während sein Kopf in den Nudeln mit Pesto steckte.
"Hör auf! Du tust ihm weh!", versuchte ich Wes abzuhalten, aber sein Blick war nicht bei mir. Er musst in der Ferne etwas entdeckt haben, denn wie auf Knopfdruck ließ er den keuchenden David los und quetschte sich an mir vorbei. Seinem schnellen Gehen folgte ich nichtmal mehr mit den Augen, sondern ich sah besorgt zu David, der jede Menge Essen im Gesicht hatte.
"Warte, ich helfe dir!", schlug ich vor.
Er sah aus, als wäre sein Ego gerade sehr angekratzt worden, aber trotzdem ließ er sich von mir helfen. Ich nahm sein Gesicht in die Hand und wischte mit einer Serviette das grobe weg. Agnes sah mich dabei dankend an. Allerdings merkte ich dann erst, wen Wes entdeckt hatte. Es war seine Schwester Lucia, die er angeblich nicht sehen durfte. Wahrscheinlich war sie einfach aus dem Auto gestiegen um Wesley zu sehen. Agnes und Michael schienen darüber nicht so begeistert zu sein genauso wie David.
"Du solltest doch im Auto bleiben.", fuhr er sie an, als Wesley sich mit ihr auf dem Schoss an den Tisch zurücksetzte.
"Aber ich wollte doch mit Wesley spielen.", meinte sie und schmiegte sich näher an ihren Bruder.
Erst jetzt bemerkte ich wie ähnlich sich Wes und seine Schwester waren vom Aussehen. David seufzte laut.
"Hallo Daddy!", begrüßte sie auch ihren Vater, den sie heute vermutlich noch gar nicht gesehen hatte.
"Was hast du mit David gemacht?", fragte Lucia ihren Bruder.
"Wir haben nur Quatsch gemacht.", log Wesley, als hätte er das gerade nicht aus Wut getan.
"Ist das deine Freundin?", erkundigte sie sich und zeigte mit dem Finger auf mich. Entzwischen hatte ich mich auch wieder auf meinen Platz gesessen und aß nun endlich mein Essen, aber dabei schaute ich auf.
"Man zeigt doch nicht mit dem Finger auf Menschen, Lu!", warnte Agnes ihn.
Wes ignorierte sie, sondern nickte einfach auf die Frage seiner Schwester. Wie ich damit jetzt umgehen sollte, wusste ich in dem Moment noch nicht.
"Habt ihr schon geknutscht?", fragte sie und lachte dabei übertrieben stark.
Irgendwie mochte ich sie. Neben Wesley schien sie viel offener zu sein, als noch vorhin bei David, wo sie nur schüchtern im Hintergrund gestanden war. Ich fand es amüsant, dass sie sowas interessierte.
"Ja, haben wir.", beantwortete Wes die Frage ehrlich.
Lucia verzog angeekelt das Gesicht.
"Weißt du wir haben eine und die hat auch schon mit Elias geknutscht und das ist doch total ekelhaft. Weißt du und Sarah hat mich gestern blöde Kuh genannt und da musste ich ganz dolle lachen, weil ich doch keine Kuh bin.", berichtete sie uns stolz und lächelte dabei durchgehend.
"Wer ist denn diese Sarah?", wollte Wesley wissen.
Am Tisch sprach sonst niemand, weil alle noch mit dem Essen beschäftigt waren.
"Ich weiß nicht. Sie hat einen großen Bruder und der heißt Kai glaub ich.", überlegte sie laut. Wes Gesichtsausdruck wurde wieder düster. Offensichtlich kannte er diesen Kai.
"Dann sagst du dieser Sarah-Schlampe, wenn sie dich noch einmal blöde Kuh nennt, schieb ich ihrem Bruder eine Scheißkuh in den Arsch!", sagte Wes etwas lauter.
"Wesley!", ermahnte Agnes und ihr Mann ihn gleichzeitig empört.
"Ja, was? Ist doch so.", wehrte er sich, als wäre es keine große Sache.
"Was ist eine Schlampe?", wollte Lu wissen.
"Das sagen wir dir, wenn du ein wenig älter bist.", versprach Agnes ihr.
Lucia sah zu ihrem Bruder auf.
"Eine Frau, die für Geld Typen fickt.", fasste er es in einem Satz zusammen.
Langsam verstand ich, wieso Lucia keinen Kontakt zu Wesley mehr haben sollte.
"War Mama eine Schlampe?", fragte sie ihren Bruder.
Das schien ihn ein wenig zu beunruhigen.
"Ja, sie war eine.", antwortete er etwas abwesend.
"Es reicht jetzt, Wesley!", hielt sein Vater ihn ab.
"Ich spiele wenigstens mit offenen Karten und bin nicht so verlogen wie du.", wehrte Wes sich.
"Und ist Agnes eine?", fragte Lu weiter.
Anscheinend kannte sie keine Grenzen. Das hatte sie von ihrem Bruder.
Wes sah zu ihr und schüttelte den Kopf. Das schien sie schon zu überraschen.
"Und deine Freundin?", fragte Lucia weiter und weiter.
"Nein, die auch nicht.", meinte Wes.
Ach, wie nett! Eine Schlampe war ich also nicht mehr.
"Und du kennst Kai?", wollte Lucia weiter wissen.
Hörte die eigentlich jemals auf fragen zu stellen?
"Ja, aber das ist jetzt unwichtig. Er ist kein netter Mensch.", winkte er ab.
"Wieso denn nicht?"
"Das ist egal. Was hast du heute denn gemacht?", wechselte Wesley das Thema.
"Ich habe heute in der Schule neue Buchstaben gelernt. Ich kann jetzt sogar schon deinen Namen schreiben, weißt du. Und danach war ich mit David und Evelyn im Kletterpark. Das war voll cool und dann waren wir noch bei Mc Donalds und ich hab so einen großen Burger gegessen mit ganze viel Fleisch.", erzählte sie total begeistert.
"Will noch jemand etwas zu essen?", wollte Agnes wissen, weil sie aufstand, um ein paar Teller reinzutragen.
Alle schüttelten den Kopf.
"Ist Evelyn deine Freundin?", fragte Wes und sie nickte.
"Darf ich auch baden gehen so wie die?", fragte sie und zeigte auf mich.
Meine Haare waren immer noch nass.
"Die hat einen Namen und heißt Annabelle.", erklärte er ihr.
"Okay, darf ich jetzt?", wollte sie flehend wissen.
Er zuckte nur mit den Schultern.
"Du gehst aber schon mit mir.", bestimmte sie, weil Wesley anscheinend nicht vorhatte sich irgendwie zu bewegen.
Seufzend stand er auf und ging ins Haus. Kurze Zeit später kam er mit zwei Handtüchern zurück und lief mit Lucia Richtung See. Nun schien die Spannung der anderen etwas zu entgleiten.
"Kann ich dir noch etwas bringen, Annabelle?", wollte Agnes wissen, die den Tisch schon komplett abgeräumt hatte.
"Nein, danke.", antwortete ich, als sie sich wieder zu uns gesellte.
"Was ich vorhin sagen wollte, wir wollten uns noch bedanken, dass du Wesley dazu gebracht hast etwas Zeit mit uns zu verbringen. Er denkt sehr schlecht von uns, obwohl wir immer versuchen ihn irgendwie vom Gegenteil zu überzeugen. Aber seine Mutter hat ihm das schon von Anfang an eingetrichtert, dass ich eine böse Person bin. Da kann ich wohl nichts mehr wirklich ändern.", erzählte sie mir.
"Es bringt nichts sich über sie aufzuregen, Darling! Sie war eben so.", versuchte Michael sie etwas zu beruhigen.
"Was ist denn vorgefallen?", wollte ich wissen, weil mich diese Frage schon die ganze Zeit beschäftigte, aber ich nicht genau wusste, wie ich es sagen sollte.
"Es ist besser, wenn er dir das selbst erzählt. Das ist seine Geschichte und die möchte ich hier nicht nebenbei ausplappern. Ich hoffe doch, dass du das verstehen kannst.", meinte sie.
"Selbstverständlich.", nickte ich, obwohl er es mir sowieso nicht sagen würde.
Das war mir irgendwie bewusst, denn in diesem Teil waren wir uns echt ähnlich. Offenheit war nicht wirklich eine meiner Stärke, wenn es um geheimnisse ging.
"Hat er denn noch die Albträume?", wollte sie wissen und legte dabei den Kopf schief.
Wovon auch immer sie sprach, wusste ich nicht nicht.
"Ich, ich weiß es nicht. Also ich habe erst einmal bei ihm geschlafen und ich schlafe sehr tief, also kriege ich da nicht wirklich etwas mit.", überlegte ich, wieso ich davon keine Ahnung hatte.
Wesley hatte Albträume?
"Vielleicht ist es ja besser geworden, was ich eigentlich nicht glauben kann.", stellte sie die Vermutung auf.

One day you'll understand whyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt