(42) Nimm meine Hand und halt dich fest

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Dienstag, 04.06
Pov Lena
„Wie wollen wir das heute Abend machen, beim Abendessen?", fragte ich Mark gerade, während wir in einem Schnellrestaurant zu Mittag aßen, um das im Vorfeld schon geklärt zu haben. Frustriert zuckte er mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, ich weiß gar nichts mehr...", erwiderte er kopfschüttelnd. Ich bin echt froh, dass meine Mutter die Neuigkeiten von Anfang an so gut aufgenommen hat. Ich habe echt keine Ahnung, was ich gemacht hätte, wenn dies nicht so gewesen wäre. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Situation mit Marks Mutter für immer so bleibt. Mit Sicherheit wird sie sich recht schnell beruhigen und muss es wohl oder übel akzeptieren und dann zumindest Mark verzeihen. „Hey –", sagte ich sanft, während ich mit meinen Händen seine, die auf dem Tisch lag, erfasste. Er schaute mich an und ich schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. „Das wird schon wieder. Und bis dahin bin ich ja für dich da, und Natalie auch." „Ich weiß – aber irgendwie ist es so frustrierend. Meine Mutter wird Oma und ich weiß nicht mal was sie darüber denkt, weil sie sich verschließt." Ich schmunzelte, „das kenne ich irgendwoher. Ist ja nicht so, dass du das auch machst." Jetzt musste auch er schmunzeln, „Irgendwoher muss ich das ja haben." Ich musste leise lachen. „Siehst du – als ich es dir gesagt habe, hast du auch Zeit gebraucht, um das zu verarbeiten, was vollkommen okay ist. Lass uns deiner Mutter wenigstens heute noch Zeit geben, darüber nachzudenken. Wir können ja trotzdem mit allen Abendessen, wir müssen ja nicht allzu lange am Tisch sitzen bleiben", schlug ich vor und Mark stimmte nach kurzem Zögern schließlich zu.
Bis zum Nachmittag allerdings blieben wir noch fern. Wir saßen noch eine Weile im Restaurant und beobachteten die Leute, die kamen und gingen und daraufhin zeigte Mark mir ein bisschen mehr von der Umgebung. Alles wirkte so idyllisch hier, mitten in Polen, fernab der Großstadt und Berlin. Wir liefen durch einen fein säuberlich angelegten Park. Rechts und links neben dem Weg befanden sich sorgfältig gepflegte Blumenbeete. Sie waren schlicht, wirkten aber keineswegs langweilig oder streng, sondern durch die Farbvielfalt fröhlich und aufmunternd gegenüber uns. Wir kamen ein wenig auf andere Gedanken und schafften es, wenigstens nicht die gesamte Zeit an die Reaktion von Marks Mutter zu denken. Wir unterhielten uns im Gehen unbefangen und locker, während Mark einen Arm um mich gelegt hatte. Hohensalza war echt eine schöne Gegend und ich verstand, warum Mark gerne hier war, um eine wenig abzuschalten und sich vom Alltagsstress loszulösen.
Irgendwann setzten wir uns auf eine der Bänke, welche in weniger Entfernung um einen Springbrunnen platziert wurden, inmitten des Parks. Mark legte seinen Arm um mich, ich lehnte mich an ihn und wir lauschten einfach schweigend dem Wasser des Springbrunnens, was eine beruhigende Wirkung hatte.
Nach einem Blick auf die Uhr, welcher mir zeigte, dass es inzwischen schon fast halb fünf war, stellte ich ein wenig erschrocken fest, wie lange wir nun schon hier saßen. Irgendwie kam es mir mit Mark immer so vor, als würde die Zeit still stehen. Noch extremer war diese Wahrnehmung in Momenten wie diesen, wenn wir beide, ich an ihn gelehnt, einfach schweigend in die Ferne schauten. „Wollen wir langsam zurück?", fragte ich leise und mit einem mulmigen Gefühl. Ich hob meinen Blick fragend an. Daraufhin schaute Mark auf die Uhr und stellte ebenfalls überrascht fest, wie spät es schon war. „Ich denke, wir sollten zurückgehen", antwortete er. Unsicher nickte ich. „Ich hab Angst", gab ich zu. Mark seufzte und schien einen Moment nicht zu wissen, was er sagen sollte. „Ich–", begann er. „Das ist Schwachsinn, ich weiß – aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass deine Mutter das so schnell akzeptieren wird. Ich meine, sie muss es akzeptieren, aber dass sie sich freut, weißt du? Ich meine, wir beide wollen das Kind ja – oder? Oh mein Gott, ich hab dich noch nie gefragt, ob du das Kind überhaupt haben möchtest und –", redete ich mich, fast schon hysterisch, in Rage. Mittlerweile war ich aufgestanden und lief auf der Stelle auf und ab. Warum habe ich bisher noch nicht einmal in Erwägung gezogen, dass Mark das Kind vielleicht gar nicht haben möchte? Dass er überhaupt nicht bereit ist, jetzt Vater zu werden, und er nur für das Kind da sein möchte, weil ich mich für das Kind entschieden habe und er sich verpflichtet fühlt? Warum habe ich bisher nicht einen einzigen Gedanken daran verloren?
„Leni – schau mich mal an", sagte Mark, welcher inzwischen auch aufgestanden war, leise, nachdem er mich sanft an den Armen zu sich gedreht hatte und mich somit vom auf und abgehen gestoppt hatte. Noch immer lagen seine Hände sanft auf meinen Oberarmen und verhinderten, dass ich mich wieder wegdrehen konnte. „Natürlich will ich, dass du das Kind bekommst und wir sowas wie eine Familie werden. Und falls ich dafür meine Familie zum Teil verliere, ist das so, auch wenn es weh tun würde. Ich glaube zwar nicht, dass das passieren wird und eigentlich kann ich dir auch versichern, dass meine Mutter sich bald beruhigt. Das war schon immer so, wenn ich mal Mist gebaut habe... Guck mal, es war nicht geplant, aber wir wollen das beide und freuen uns und das ist doch das wichtigste. Da könnte meine Familie so viel gegen sagen wie sie wollte, auch wenn sie das wahrscheinlich nicht tun werden, aber das ist doch wirklich das wichtigste, dass wir einander haben und gemeinsam für das Kind da sein werden, oder?", versuchte Mark mir zu erklären, dass er wirklich bereit war, Vater zu werden. Nahezu kraftlos ließ ich mich langsam gegen ihn fallen, da er sowieso genau vor mir stand und legte meinen Kopf auf seiner Schulter ab. „Leni –", seufzte Mark, ein bisschen überfordert von meinen Emotionen, die ich selber kaum zuordnen, geschweige denn so wirklich verstehen konnte. „Das wird schon alles gut. Du weißt doch, auch, wenn du das mittlerweile schon oft von mir gehört hast: Egal was kommt, es wird gut sowieso", sang er leise in mein Ohr, was mich leise schmunzeln ließ. „Danke", sagte ich, ehrlich dankbar, während ich mich aus seiner Umarmung löste. Prüfend sah Mark mich an, ob alles wieder in Ordnung ist. Erneut musste ich schmunzeln. „Alles gut, eigentlich müsste ich für dich da sein und dich aufmuntern. Die Situation betrifft dich viel mehr, als mich", gab ich zu bedenken. Jetzt musste Mark leise lachen. „Ich bin gerne für dich da, wenn es dir nicht so gut geht. Außerdem reicht allein deine pure Anwesenheit, um meine Laune zu heben und mich aufzumuntern." Gerührt musste ich lächeln und meine Wangen färben sich in ein zartes Rosa. „Na komm, lass uns zurückgehen", unterbrach ich die kurz aufgekommene Stille, bevor es unangenehm wurde.
Also legte Mark seinen Arm erneut um mich und wir traten gemeinsam den Rückweg zum Haus seiner Familie an.

Dieses Licht, Wie Du AussiehstWo Geschichten leben. Entdecke jetzt