Kapitel 76

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POV Mario

Immer noch völlig fertig lag ich inzwischen bei meinen Brüdern auf dem Sofa. Mein Kopf war auf Fabis Schoß gebetet und ich weinte stumm vor mich hin. Mein Bruder hatte den Ernst der Lage längst erkannt und strich mir die ganze Zeit beruhigend durch die Haare.
“Mario, du musst dich ein bisschen beruhigen. Das Ganze ist nicht wirklich gut für dich und dein Kind”, versuchte er mir klar zu machen, doch sofort wurde mein Schluchzen noch lauter.
“Ich… Ich kann nicht aufhören. Es… Es tut so weh”, heulte ich und vergrub mein Gesicht an seinem Bauch.
“Noch kann ich ihn erschlagen”, warf mein Bruder als ernsthafte Alternative ein aber ich schüttelte nur den Kopf. Er sollte Marco natürlich nicht weh tun.
Meinen Sohn hatte ich jetzt schon mehrere Stunden nicht gesehen. Er schlief bei Felix im Zimmer und ich war meinem kleinen Bruder für seine Hilfe mehr als dankbar. Ich wollte das ganze Theater nicht vor Milan ausbreiten, denn das hatten wir schon viel zu oft getan. Der Kleine konnte nichts dafür, dass seine Eltern einfach ihr Leben nicht im Griff hatten.
Eine ganze Weile lag ich noch so auf dem Sofa und ließ mich von meinem Bruder trösten. Lewy war währenddessen auf dem Sofa neben uns eingeschlafen. Irgendwann klingelte es jedoch an der Tür und er schreckte aus seinem festen Schlaf hoch.
“Ich gehe schon”, gähnte er und schlurfte müde zur Haustür.
Ich konnte eine männliche Stimme erkennen und je intensiver ich auf den Klang achtete, desto klarer wurde mir, wer dort eben geklingelt hatte.
Mit einem Mal war ich hellwach und mein Herz begann zu rasen. Das er es wagte überhaupt hierher zu kommen.

So von meinen Gedanken überrollt, bekam ich gar nicht mit, wie er aufeinmal im Wohnzimmer stand und mich traurig ansah. Zuerst überlegte ich noch, ob ich vielleicht doch freiwillig zuhören sollte, doch als ich seine blonde Tussi hinter ihm sah, brach abermals eine Welt für mich zusammen.

Er hatte sie mitgenommen. Sie gehörte nicht zur Familie. Das war immer noch eine Sache zwischen uns und trotzdem hatte er sie mitgenommen. Tränen stiegen wieder bei mir empor und ich funkelte ihn wütend an.
“Hau ab! Ich will dich nicht sehen!”, knurrte ich und hatte inzwischen meinen Kopf von Fabis Schoß genommen.
Dieser tat es sich zur Aufgabe Marco mit seinen Blicken zu töten und ich nahm es ihm nicht übel. In diesem Augenblick wäre mir alles Recht gewesen.
“Wo ist Milan?”, fragte er und schaute sich panisch in der ganzen Wohnung um. Sofort fingen alle Alarmglocken an zu schellen und ich ahnte wieso Marco hier war. Nicht wegen mir. Er wollte mir Milan wegnehmen.
“Du nimmst ihn mir nicht weg!”, schrie ich sofort drauf los und alle Anwesenden zuckten merklich zusammen.
Marco sah mich entsetzt an und schüttelte fassungslos den Kopf.

“Das traust du mir zu?”, fragte er traurig,”sind wir immer noch an diesem Punkt? Ich dachte wir wären einen ganzen Schritt weiter.”
“Das dachte ich auch!“, rief ich wütend zurück, “doch dann hast du alles kaputt gemacht! Du machst immer alles kaputt!”
Innerlich war ich völlig am Ende, doch diesen Triumph würde ich ihm nicht gönnen. Sollte er doch seine blonde Tussi nehmen und zurück nach Dortmund fahren. Ich wollte ihn nicht mehr sehen. Zu sehr hatte er mich gebrochen.

POV Marco

Nachdem Mario mich angeschrien hatte, brauchte ich einige Sekunden um mich wieder zu sammeln. Zu entsetzt war ich über seine Reaktion. Ich war hergekommen, um zu kämpfen, doch er signalisierte mir deutlich, dass ich nicht kämpfen musste.
“Es tut mir Leid. Ich wollte es dir sagen aber ich wusste nicht wie”, versuchte ich es weiterhin im ruhigen Ton, doch wirkliche Hoffnung auf ein vernünftiges Gespräch hatte ich nicht.
Inzwischen hatten sich kleine Adern auf seiner Stirn gebildet und er wirkte unglaublich kühl. Gar nicht so, wie ich Mario eigentlich kannte.
“Ich will nichts hören! Du hast es mir nicht gesagt! Du hast dich für diese Frau entschieden, obwohl sie wollte, dass du dich gegen Milan stellst! Du machst mir vor, dass wir eine Familie sind und dann hast du deinen kleinen Marco nicht unter Kontrolle!”, brach es wieder aus ihm heraus und ich bekam am Rande mit, wie Lewy mit Scarlett in die Küche verschwand.
“Ich habe ihn unter Kontrolle aber ich wollte uns noch eine Chance geben! Deshalb sind wir doch trotzdem noch eine Familie!“, rastete nun auch ich komplett aus und konnte mich kaum beruhigen.

“Nein, sind wir nicht, weil zwischen uns niemals Liebe sein wird! Ich werde hier in München bleiben! Ich werde hier mein Kind zur Welt bringen und was du machst, Ist mir egal!”, knallte er mir an den Kopf und spätestens jetzt blieb mein Herz für eine Sekunde stehen. Er wollte hier in München bleiben und Milan bei ihm.

“Das… Das kannst du nicht tun!”, rief ich entsetzt, “Milan braucht mich! Ich brauche ihn und ich will mein Baby heranwachsen sehen! Verdammte Scheiße Mario, das geht nicht!”
“Das hättest du dir vorher überlegen müssen. Hier kenne ich meinen Arzt und das Team. Ich will nicht jeden Tag in deiner Nähe sein, während du die Frau vögelst, die dich gezwungen hat, dich gegen uns zu stellen. Du kannst Milan besuchen und er dich in Dortmund, aber ich werde hier bleiben. Unser Projekt ist gescheitert”, hauchte er mit gebrochener Stimme und stand vom Sofa auf, um ins Badezimmer zu verschwinden.
Traurig und schockiert sah ich ihm hinterher, denn ich wollte ihn nicht verlieren. Doch das hatte ich längst getan. Meine Gefühle für ihn waren mir inzwischen klar. Das war der Grund, wieso es mir immer schlecht ging. Wieso ich etwas gegen Ann Kathrin gesagt hatte. Basti hatte es vor Monaten schon geahnt und jetzt wusste ich, dass er Recht gehabt hatte. Ich hatte Gefühle für meinen besten Freund. Tiefe Gefühle, die ich noch nie zuvor gehabt hatte und trotzdem hatten wir keine Zukunft.
Diese Gewissheit tat mir so weh, dass ich gar nicht merkte, wie sich etwas an mein Bein gehängt hatte. Als ich runter sah, erblickte ich die braunen Augen meines kleinen Engels.
“Papa!“, quietschte mein Sonnenschein und ich hob ich auf meinen Arm, “ich hab dich vermisst!”
“Ich habe dich auch vermisst Milan. Sehr sogar“, hauchte ich und küsste meinen Sohn auf die Lippen. Dieser schmiegte sich glücklich an mich heran.
Ein lautes Schreien riss mich aus meinem kleinen Glücksmoment und sofort war Fabi aufgesprungen, um ins Badezimmer zu rennen. Alles in mir zog sich zusammen und ich drückte Lewy Milan in die Arme. Ich lief ins Badezimmer und dort lag der Vater meiner Kinder auf dem kalten Boden.

Vor Schmerzen hielt er sich den Unterleib und ich bekam es mit der blanken Angst zutun. Mein Baby war in Gefahr.
“Marco, geh aus dem Weg!“, schrie mich Fabi an und stützte Mario so, dass er ihn zum Auto bringen konnte.
“Mario, es wird alles gut. Ich bringe dich in die Klinik”, redete er auf ihn ein und für mich war klar, dass ich nicht einfach nur hier sitzen bleiben und warten würde.
Ich wollte gerade loslaufen, als mich jemand zurückzog. Krampfhaft versuchte ich mich zu lösen und rief immer wieder Marios Namen, doch es half nichts. Der Griff um mich war einfach zu schwer.
“Marco!”, maulte mich Lewy an, “hör auf und komm wieder rein! Du kannst jetzt nicht mitfahren! Das Ganze ist eh schon nicht gesund!”
“Aber mein Baby!”, schniefte ich abwesend, “ich kann doch nicht einfach hier bleiben! Mein Baby braucht mich!”
Energisch packte mich Lewy an den Schultern und sah mir tief in die Augen.

“Ja, es braucht dich aber weißt du wer dich noch mehr braucht? Milan. Dein kleiner Sohn sitzt in der Wohnung und hat gesehen, wie sein Papa weggebracht wurde. Er braucht dich jetzt. Fabian hat alles unter Kontrolle.”
Sofort als die Worte zu mir durchgedrungen waren, lief ich in die Wohnung zurück und sah meinen Sohn auf dem Sofa sitzen. Felix saß inzwischen bei ihm und versuchte ihn zu trösten, doch immer wieder fragte der Kleine nach Mario.
Ich wischte mir alle Tränen weg und ging zu meinen Sohn herüber, um ihn auf den Arm zu nehmen.

Eine Weile schaukelte ich ihn sanft in meinen Armen, bis er an meiner Schulter eingeschlafen war.
“Ich werde immer für dich da sein”, wisperte ich in sein Ohr, “egal was passiert. Papa und ich lieben dich über alles.”
Damit drückte ich ihm einen letzten Kuss auf die Stirn. Milan war das Wichtigste. Mario hatte ich anscheinend verloren, doch mein Sohn brauchte mich. Ihn würde ich niemals aufgeben, egal wie sehr die Beziehung zwischen Mario und mir gestört war.




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