Kapitel 51

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POV Mario

Marco hatte tatsächlich sein Wort gehalten. Jeden Tag war er es, der Milan aus der Kita abholte. Auch half er mir wirklich im Haushalt und war allgemein sehr bemüht, wenn es um Milan oder sogar um mich ging. Irgendwie zweifelte ich ja immer noch ein wenig und wartete nur noch auf die Enttäuschung. Spätestens heute dachte ich, dass es so weit wäre. Heute war der von ihm zur Bedingung gemachte, freie Tag von mir. Ich hatte mich mit André verabredet, einem meiner wenigen Freunde. Erst als ich mir überlegt hatte, mit wem ich den heutigen Tag verbringen können würde, war mir aufgefallen, dass meine sozialen Kontakt seit meiner Schwangerschaft mit Milan ordentlich gelitten hatte. Mein ganzes Leben hatte sich dann nur noch um meinen Sohn gedreht und jetzt war es irgendwie unglaublich schwer, sich mal wieder einen Tag nur um mich selber zu kümmern. Aber ich rechnete ja immer noch damit, dass das heute nichts werden würde. Mit dieser Einstellung machte ich mich auch auf den Weg in die Küche, wo bereits Marco und Milan waren. Ich grüßte Marco mit einem "Morgen" und gab dann meinem kleinen Sohn einen Kuss auf den Kopf, ehe ich mich mit einer Tasse Kaffee an den Tisch setzte.
"Und, was habt ihr heute vor?", fragte ich in die Runde.
"Uhm... Ja also... Mario ich wollte fragen...", stammelte Marco herum und ich schloss die Augen. Ich musste erstmal tief durchatmen, denn ich hatte es schon befürchtet. Gedanklich sagte ich André schon ab.
"Ist okay. Ich hatte heute eh nichts vor", presste ich ab Marco gewandt heraus und versuchte, mir die Enttäuschung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
"Was?", fragte Marco verwirrt.
"Ich hatte heute eh nicht wirklich was vor. Ist also nicht schlimm, dass du doch nicht kannst", wiederholte ich.
"Nein! Natürlich kann ich! Ich wollte dich nur Fragen, ob es okay ist, wenn Milan und ich mit Nico nach Oberhausen ins Sea Life fahren", erklärte sich Marco.
"Oh", war das einzige, was ich heraus brachte und ich begann mich zu schämen, dass ich so schlecht von Marco gedacht hatte.
"Du hast wirklich geglaubt, dass ich mein Wort nicht halte oder?", fragte mich Marco traurig. Ich schluckte den kloß in meinem Hals herunter, ehe ich antwortete: "Ja und es tut mir leid. Ich hätte dir mehr vertrauen sollen."
"Das hättest du", bestätigte Marco und ich sah ihm deutlich an, dass ich ihn verletzt hatte.
"Tut mir leid", wiederholte ich und dann herrschte erstmal Schweigen.
"Papa wann Fische schauen?", fragte Milan irgendwann.
"Gleich Milan. Papa trinkt noch seinen Kaffee aus, dann ziehen wir uns an, holen Nico ab und dann fahren wir Fische schauen", erklärte Marco und lächelte Milan sanft an. Mein Herz verkrampfte sich bei diesem Blick sehnsüchtig. Wie ich mir doch wünschte, dass Marco mich so ansehen würde, aber sein Blick zu mir war nur von Enttäuschung getränkt. Ich hatte es wohl vermutlich nicht anders verdient. In mir wuchs der Wunsch der Situation zu entkommen und genau das tat ich auch. Ich floh regelrecht aus der Küche und verschwand in meinem Schlafzimmer. Dort rief ich André an, der sich bereit erklärte, mich jetzt schon abzuholen.

“Und was machen wir heute?“, fragte André mich, als wir in seinem Auto saßen.
“Shoppen, den Kopf frei bekommen?“, schlug ich.
“Alles klar. Suchen wir was bestimmtes?“, kam es von André, der das Auto zielsicher in die Innenstadt lenkte.
“Nicht direkt. Vielleicht einfach etwas schauen und wenn ich was für Milan oder Marco finde...“, ließ ich meinen Satz offen in der Luft hängen.
“Was hat er jetzt schon wieder getan?“, fragte André, der mal wieder gemerkt hatte, dass bei Marco und mit was nicht stimmte.
“Gar nichts. Er hat nichts getan. Ich gab mist gebaut und ihm damit weh getan“, nahm ich Marco sofort in Schutz.
“Ach Mensch, kann bei euch nicht ein mal was normal klappen? Warum müsst ihr euch nur dauernd selber im Weg stehen?“, seufzte André und ich schwieg, da ich keine Antwort hatte. Marco und ich standen uns wohl tatsächlich selber im Weg. Nur leider gab es auch keine Chance das zu ändern. Jeder von uns hatte sein eigenes Leben, das aktuell nur Milan so wirklich verband.
“Themawechsel. Bitte“, meinte ich zu André, der auch nach einem tiefen Seufzen meiner Bitte nachkam. Wir redeten über alles mögliche. Den Fußball, Game of Thrones, München und noch vieles mehr. Dabei waren wir durch diverse Läden geschlendert. Ich hatte mich persönlich mal wieder mit neuer Kleidung eingedeckt und auch die ein oder andere Sache für Milan war in meinen Einkaufstüten gelandet. Auch gerade im Moment stand ich mit André vor einem Regal mit vielen Kuscheltieren und versuchte, eines für Milan auszusuchen.
“Schon wieder ein Kuscheltier?“, fragte mich André belustigt. “Hat Milan nicht schon genug?“
“Ja schon wieder und ja, eigentlich hat er auch schon ziemlich viele, aber er liebt Kuscheltiere und ich glaube das ist einfach das leid eines jeden Elternteils, dass das Kind viel zu viele Kuscheltiere hat“, antwortete ich ihm und zuckte mit den Schultern. André schüttelte nur belustigt den Kopf und beobachtete mich, wie ich eine Auswahl traf.
“Was meinst du, Simba oder Baby Sven?“, präsentierte ich André die beiden Kuscheltiere, zwischen denen ich mich nicht entscheiden konnte.
“Ich bin für das Rentier. Das ist süßer“, war seine Antwort und ich musste ein wenig die Augen verdrehen. André brauchte wohl mal wieder dringend eine Auffrischung in Sachen Disney-Filme und Disney-Figuren. Das teilte ich ihm auch mir, doch André winkte ab: “Lass gut sein Mario. Die brauche ich nicht, denn falls es dir entgangen sein sollte, habe ich im Gegensatz zu dir kein Kind und werde auch nicht schwanger werden.“ Während er das sagte merkte man, dass er es nicht böse meinte, denn er lachte etwas. Andererseits bewirkte es noch etwas anderes bei mir. Wieder ein mal wurde mir bewusst, dass ich zu einer absoluten Minderheit gehörte. Einer Minderheit an Männern, die Kinder bekommen konnten. Bis auf Basti kannte ich niemanden, der so war wie ich und ich bezweifelte, dass ich noch mehr kennen lernen würde. Dieses Wissen lastete auf mir und mal kam ich besser und mal schlechter damit klar. Was aber feststand war, dass die Presse das niemals erfahren sollte. Erfahren dürften. Ansonsten würden Marco, Milan und ich durch die Hölle gehen müssen und das war etwas, was ich ins allen nicht antun wollte.
André merkte, dass ich abdriftete in düstere Gedanken und riss mich da wieder raus.
“Wie geht's eigentlich Basti?“, fragte er.
“Ganz gut. Er bekommt einen kleinen Sohn und ist sehr sehr stolz. Allerdings sind sie auch sehr vorsichtig und Lukas fast gar überbesorgt“, erzählte ich und musste schmunzeln. Ich hatte neulich erst mit Basti telefoniert, der vollkommen entnervt von Lukas war. Der musste jetzt wohl schon so überfürsorglich sein, dass Basti nicht mal mehr alleine ins Bad durfte, weil ihm und dem Baby ja was passieren könnte. So als außenstehender war das total süß und lustig, aber ich konnte Basti auch verstehen, denn Lukas verhalten trug wahrscheinlich nicht gerade zu seiner Beruhigung bei.
“Das ist schön“, lachte André. “Ich gönne es den beiden richtig. So ein Kind wie Milan ist schon was tolles.“
“Du sagst es. Milan ist das beste, was mir jemals passiert ist und ich stehe bis heute in Bastis Schuld, dass er mich damals von einer großen Dummheit abgehalten hat“, seufzte ich. André schwieg. Was sollte er auch groß sagen. Es gehörte nun mal zu meiner Geschichte mit Milan und das akzeptierte er. Aber auch ich brauchte den kurzen Moment des Schweigens und um mich abzulenken, schnappte ich mir den Kuscheltier Sven und ging zur Kasse, um zu bezahlen. André folgte mir stumm und erst als wir vor dem Geschäft standen, fragte er: “Noch wo hin oder willst du heim?“ Heim wollte ich noch nicht. Ich wollte Marco nicht begegnen. Noch nicht.
“Ich brauche noch was für Marco“, sagte ich spontan.
“Na gut, und was hast du dir vorgestellt?“, fragte André.
“Keine Ahnung“, gab ich zu und kratzte mich am Kopf.
“Was würde ihn denn freuen?“
“FIFA“, war sofort meine Antwort.
“Außer FIFA vielleicht?“, schlug André vor.
“Naja, Game of Thrones, The Weeknd... so was mag er halt“, überlegte ich. “Ich könnte ihm einen Pullover mit einem der Sachen als Motiv schenken.“
“Hm ich weiß nicht. Es ist ja schön, dass er das mag und du das weißt, aber ich finde es etwas unpersönlich“, kritisierte André.
“Und was würdest du ihm schenken?“, fragte ich.
“Einen Pullover“, antwortete André und ich zog die Augenbrauen nach oben. Genau das hatte ich doch vorgeschlagen. Aber statt mir zu antworten suchte er etwas auf seinen Handy und hielt es mir dann vor die Nase.
“Einen Pullover mit diesem Bild.“ Besagtes Bild zeigte uns drei jeweils in unseren Trikots, gemeinsam bei strahlendem Sonnenschein im Stadion. Wir sahen wie eine richtige glückliche Familie aus und ich war sofort begeistert von Andrés Idee. Wir eilten in den nächsten Druck-Shop und tatsächlich hielt ich eine halbe Stunde später besagten Pullover in der Hand.
“Jetzt können wir heim“, verkündete ich.
“Oh nein, jetzt können wir hier auch noch zu Abend essen“, blockte André und so kam es, dass ich erst spät am Abend wieder zuhause war und leise die Tür öffnete. Es war dunkelt und still und erst als ich weiter rein ging bemerkte ich, dass im Wohnzimmer der Fernseher lief. Ich stellte alle Taschen ab und betrat den Raum. Was ich dort sah, machte mich glücklich. Dort lagen die beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben aneinander gekuschelt und unter einer Decke auf dem großen Sofa und schliefen. Das Bild war pure Harmonie und Zufriedenheit und ich wollte es einfach nicht zerstören, in dem ich Milan in sein Bett brachte. Stattdessen zog ich mich um und kuschelte mich dann zu meiner kleinen Familie aufs Sofa. Eigentlich wollte ich nur ganz kurz dort liegen und dann ins Bett gehen, aber der Tag forderte seinen Tribut und ich schlief auf dem Sofa ein.

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