Die Tür wurde aufgeschoben und Penny stand vor ihm. Sie schwitzte leicht und grinste ihm entgegen:
„Es ist überstanden", sagte sie froh und winkte ihn heran. Auf einmal waren seine Knie weich geworden. So stark, wie sie eben auf und ab marschiert waren, so war er sich nun unsicher, ob er diese wenigen Schritte überhaupt vollbringen könnte. Seine Muskeln vibrierten und er schluckte. Er trat in die Tür und eine wohlige Wärme schlug ihm entgegen, die seine vor Nervosität erkalteten Hände sofort umfing. Er sah die anderen Menschen, die sich im Gemach befanden, nicht. Seine Augen erblickten nur sie. Ein Herzschlag setzte aus, so schien es ihm. Die Angebetete lag gestützt in ihren Kissen. Zügigen Schrittes schwebte er zu ihr. Ihre Wangen waren gerötet. Das dunkle Haar war geflochten worden, aber einige widerspenstige Locken waren aus ihrem Gefängnis geflohen. Sie klebten an ihrer Stirn und an ihrem Hals. Isabellas Augen waren ruhig und wirkten erschöpft. Marie kühlte ihr soeben mit einem feuchten Lappen die Stirn. Alec trat neben sie und Marie liess ihn gewähren. Er kniete sich nieder, ohne den Blick von seiner jungen schönen Frau abzuwenden. Alexander fasste ihre Hände, sie waren so angenehm warm und er küsste sie. Seine Ehefrau lächelte ihm matt entgegen. De Warenne war so glücklich sie gesund vorzufinden, dass ihm kein Wort über die Lippen kam. Leise vernahm er ein Geräusch, welches ihm noch unvertraut war. Er spürte, wie Elaine langsam an seine Seite schritt:
„Alec", flüsterte sie gerührt. Mühsam riss er den Blick von den grünen Augen los und sah empor zu seiner Schwester. Auf ihren Armen trug sie ein Stoffbündel, welches sich zitternd bewegte. Wie in einem Nebel erhob sich Alexander und wuchs über das mit Tüchern versehrte Etwas empor. In den Augen seiner kleinen Schwester schimmerten Tränen. Als er den Blick von ihr abwandte und auf ihren Arm sah, verstärkte sich der Kloss in seinem Hals. Eingewickelt in roten Tüchern, die Farben der de Warennes, schimmerte ein zierliches Wesen. Die feingliedrigen Händchen von sich abgewinkelt, der Schopf voll schwarzer Haare und die winzigen Augen zusammengekniffen. Ohne es bewusst wahrgenommen zu haben, hatte er nach dem Bündel gegriffen und es in seine Arme genommen. Alexanders Herzschlag war ruhiger geworden und es hatte sich etwas zusammengefügt, was einst zerbrochen war. Die gähnende Leere war zurückgewichen und liess nichts mehr als Vollkommenheit zu. Er sah das niedliche Wesen an, das mit seinen Händchen unkontrolliert auf und ab schlug. In seinen Augen brannten Tränen und es war ihm nicht möglich sie zurückzuhalten. Frei rannen sie über seine unrasierten Wangen und liefen an seinem Kinn zusammen. Er blickte über den Rand der Tücher hinab zu Isabella. Sie lächelte und er bemerkte, wie auch ihre Wangen schimmerten.
„Es ist ein Junge, Alec", sagte sie glücklich. Es war ihm gleich, ob Junge oder Mädchen. Sein Glück war kaum zu fassen.
„Jawohl", sagte Bruce und kam näher, „es ist ein gesunder Junge. Zwar etwas klein, aufgrund der schwierigen Monate während der Schwangerschaft, aber er wird sich gut erholen. Ich gratuliere dir zu deinem Erben", sagte Bruce zufrieden. Miss Stratford kam nach vorne und sagte:
„Ebenfalls herzlichen Glückwunsch Mylord. Nun müssen Sie den Knaben aber Ihrer Frau übergeben, sie muss ihn stillen. Nach einer solch langen Niederkunft muss sich Ihre Frau erst einmal ausschlafen", dieses Mal hörte er die barsche Stimme der Hebamme nicht, sondern war einfach mit der Welt im reinen. De Warenne neigte sich zu Isabella und legte den Knirps in ihre Arme:
„Er ist wunderschön", hauchte er mit einem Kuss auf ihre Wange. Leise hörte er wie die anderen den Raum verliessen. Isabella gab ihrem Sohn Milch und Alec streichelte so sanft er konnte das Köpfchen seines Sohnes.
„Mir ist ein Name eingefallen", sagte sie müde. „Wie wäre Dustin?" Er schmunzelte:
„Wunderbarer Name... Dustin Duncan de Warenne. Einem zukünftigen Earl würdig." Isabellas Augen wurden gross:
„Ja das gefällt mir sehr", stimmte sie zu. Alec genoss das Bild seiner eigenen kleinen Familie. Als Dustin genug getrunken hatte, sah Isabella ihren Sohn an und küsste liebevoll seine Stirn:
„Mein kleiner Dustin", flüsterte sie, während ihre Augenlider flackerten. Alec war klar, dass sie nach über zwanzig Stunden in den Wehen äusserst erschöpft sein musste. Schliesslich hatte er sich selbst noch nie so ausgezehrt und müde gefühlt.
„Ich nehme ihn, Liebste. Ruh dich nun aus", sagte er und sie nickte schon halb eingeschlafen. Alec hob seinen Sohn auf und trug in zur Wiege. Auch er schien eingeschlafen zu sein, denn seine Atmung war ruhig und regelmässig. Vorsichtig legte Alexander das kleine Geschöpf in die Wiege und bedeckte seine Füsschen und Beine. Als seine Augen einen letzten Blick auf Isabella warfen, war sie schon weit hinfort und er stahl sich aus dem Zimmer. Es hatte bisher keinen Moment in seinem Leben gegeben, wo er stolzer gewesen wäre. Seine Füsse liefen direkt in den ersten Stock zum Blauen Salon. Die lauten Stimmen hörte er schon von weitem, da die Tür nur angelehnt war. Er trat ein und ein Freudengewirr aus vielen Stimmen überfiel ihn. Sie tätschelten ihm die Schulter und beglückwünschten ihn zu seinem Erben. Carson und Molly betraten soeben den Salon gefolgt von den Dienstboten. Alle trugen sie silberne Tabletts, darauf standen sorgfältig Burgunderkaraffen und Römergläser. Die Dienstboten dekantierten die Karaffen und Carson schritt mit einem vollen Glas auf Alexander zu:
„Mylord, zur Feier des Tages, habe ich mir erlaubt den Vin de Champagne aus dem Keller zu holen und ich möchte Ihnen das erste Glas reichen." Die Dienstboten verteilten die Gläser und Carson fuhr fort: „Einen Toast auf den Earl of Surrey und seinen soeben geborenen Erben!" Alec nickte dankend:
„So nehmt auch ihr", er hob das Glas, „ein Glas und schliesst euch an." Molly und die anderen taten wie geheissen und hielten ihre Gläser vor sich. „Ich möchte euch danken, dass ihr in der Stunde der Not", alle lachten, „mir beigestanden habt. Mein Sohn erhält den Namen Dustin Duncan de Warenne und so bitte ich euch eure Gläser zu erheben und auf meinen Sohn zu trinken." Er hob das Glas an seine Lippen und trank. Es war ein süsser Wein und Carson tat recht daran ihn geöffnet zu haben. Die Stimmung war ausgelassen und als Maud zu ihm trat, ihn umarmte und in ihrer Familie willkommen hiess, konnte er nicht froher sein. Selbst der schweigsame Robert kam und unterhielt sich mit ihm.
„Sie und mein Sohn schliefen sofort ein", meinte er erklärend. Bruce trat näher:
„Ich gratuliere noch einmal mein Freund", sagte er froh und hielt sein leeres Glas. „Du musst aber unbedingt eine Amme einmal im Tag herkommen lassen. Deine Frau kann ihn nicht in dem Masse stillen, wie er es benötigt und vor allem im Hinblick darauf, dass er ziemlich klein ist."
„Das werde ich. Ich werde Molly damit beauftragen eine Amme im Dorf zu finden." Nach einer Pause fragte er: „Isabella geht es doch gut?" Im Hintergrund konnte er sehen, wie Miss Stratford sich mit den Frauen unterhielt.
„Mach dir darüber keine Sorgen. Sie ist in bestem Zustand. Zwar, wie du bemerkt hast, ist die Niederkunft leider nicht gerade schnell verlaufen, aber sie hat es dennoch geschafft. Und auch dein Sohn, jede Gliedmasse ist an dem Ort, wo sie sein sollte und alles ist dran", lachte er.
„Ja, davon konnte ich mich noch nicht überzeugen", stimmte Alec mit ein. Alsbald darauf verabschiedete sich Bruce und kündigte an, er würde in den nächsten Tagen noch einmal vorbeikommen und nach dem Rechten sehen. Nur langsam zogen sich die Gäste zurück und holten ihren Schlaf nach. Am Schluss waren noch er und Jackson übrig. Geimsam sassen sie am Feuer wie sie es bereits etliche Jahre getan hatten. Doch niemals hatte es sich so angefühlt. Alexander spürte, dass etwas anders war. Die Worte Isabellas glitten in seinen Kopf und als er aufblickte und Jackson ansah, sah er es.
„Alec", begann sein Freund. Alexander hielt sein Römerglas fest und blickte seinen Freund an. „Ich würde gerne mit deiner Erlaubnis Morgen nach Carlisle aufbrechen." Er wollte tatsächlich weg von ihm.
„Wieso willst du weg von (m)hier Thomas?", fragte er neugierig. Sein Freund sah ihm irritiert in die Augen, aber sagte dann:
„Ich denke es ist besser so." Thomas wich seinem stechenden Blick aus und sah ins Feuer. „Ausserdem kann ich in Carlisle nach dem Rechten sehen." Alec schürzte die Lippen:
„Das ist aber nicht der wahre Grund."
„Nein", gab Jackson sofort zu.
„Werde ich den Grund je erfahren?", fragte Alec leicht gekränkt, aber gefasst.
„Ich weiss es nicht... möglich", meinte sein alter Freund stoisch. Alexander fragte sich, ob es daran lag, dass er sich wirklich selbst eine Familie wünschte.
„Thomas... ich möchte, dass du weisst für deine Dienste werde ich dich grosszügig entlohnen. Ich gebe dir einen einflussreichen Sitz in Cumberland. Du kannst dich niederlassen." Er suchte nach den Augen seines Freundes, doch er hielt seinen Blick auf das Feuer gerichtet. Gleichzeitig bemerkte Alexander die Bitterkeit, welche in ihm aufkeimte, wenn er daran dachte, dass Jackson Carlisle verliess. Bei seinen Worten jedoch riss Jackson den Kopf herum und starrte ihn bestürzt an:
„Entlässt du mich aus deinen Diensten?", fragte er fast beleidigt. Alec runzelte verwirrt die Stirn:
„Ich dachte möglicherweise willst du sesshaft werden und auch heiraten?" Jackson erhob sich und sah Alec an:
„Ich will Carlisle nicht verlassen", schmiss er ihm brüsk entgegen, „wenn du mich nicht mehr willst, weil du keinen Platz mehr hast, jetzt wo du eine Familie"
„Sei kein Idiot!" Auch Alec hatte sich jetzt erhoben: „Ich will nicht, dass du gehst. Wir sind schon so lange Zeit befreundet und ich bin immer froh dich an meiner Seite zu wissen!", entgegnete Alexander mindestens genauso erregt. Jackson blieb sprachlos stehen. Beide starrten sich an, bis Alexander leicht zu schmunzeln begann. Er griff an Jacksons Schulter: „Thomas, ich will nur, dass du auch dein Glück finden kannst", versicherte er seinem Freund. „Ich wollte dich mit diesem Angebot nicht beleidigen. Ich wollte nur ausdrücken was du haben könntest... wenn es dich glücklich macht bleibst du in Carlisle und deine Frau auch. Es ist gross genug." Jacksons Züge wurden weicher bis sein Grinsen wieder auf seinem Gesicht erschien:
„Wenn Isabella damit einverstanden ist."
„Das wird sie bestimmt... immerhin hat sie mich auf diese Idee gebracht!", schnaubte Alexander. „Nicht, dass ich dich nicht zu schätzen gewusst hätte, aber ich dachte es müsste dir klar sein, dass du eine eigene Familie gründen und dich auch niederlassen kannst ohne meine Zustimmung."
„Schlaues Mädchen", erwiderte Thomas schmunzelnd. „Ich denke auf jeden Fall darüber nach", ergänzte er. Alexander konnte spüren wie der schwere Block der Schuld von seinen Schultern weg war und auch Thomas wirkte gelöster.
„Gut, dass es geklärt ist. Eine neue Bleibe zu suchen wäre mir definitiv zu anstrengend", scherzte sein Freund. Alexander klopfte ihm noch einmal auf die Schulter und unterdrückte ein Gähnen:
„Es ist besser ich ziehe mich nun ebenfalls zurück. Die Aufregung hat mich geschafft." Sie verliessen gemeinsam den Salon. Der restliche Tag verlief äusserst ruhig. Alle waren müde von der langen Nacht, deshalb blieb Alec mit Isabella und seinem Sohn den gesamten Tag in ihrem Gemach. Nach ihrem Nachmittagsschlaf lagen sie zu Dritt aneinander gekuschelt im Bett. Isabella hatte Dustin in ihrem Arm zwischen sie beide gelegt, während sie ihn beobachteten wie er seine ersten Bewegungen vollführte. Kurz bevor es eindunkelte wurde ihre Dreisamkeit durch ein sanftes Klopfen an der Tür gestört. Alec erhob sich und öffnete die Tür. Davor standen Maud, die ein zartes Lächeln auf den Lippen trug, und Robert. Alec legte den Finger auf seinen Mund und blickte ins Gemach zurück:
„Liebste", sagte er und lief etwas weiter in den Raum zurück, die Tür blieb angelehnt, „ich habe eine Überraschung für dich", meinte er geheimnisvoll und winkte sie zu sich.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...