Kapitel 2.1 - Flieg frei und hoch mein lieber Freund

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Stille. Ihr weisses Nachthemd flatterte ihr um die Fesseln. Dann konnte sie schnelle Schritte hören, die sich entfernten. Ihr Atem wurde flacher und sie stützte sich etwas vom Bett ab. Kaum merklich vibrierte der Zelteingang und eine Hand schob sich hinein. Die grobe massig behaarte Hand schob die Zeltwand weiter zurück und es erschien ein dicker behaarter Oberarm. Isabella schluckte und umklammerte ihr Stilett. Zu der Hand und dem dicken Oberarm gehörte ein verboten wüst aussehender Mann. Der Kopf schien viel zu klein für einen solch massigen Körperbau. Seine schwarzen Käferaugen blitzten rasch hin und her. Scheinbar hatte er nicht erwartet jemanden anzutreffen. Er grunzte und eine Reihe brauner Zähne offenbarten sich Isabella. Sein Gesicht war mit Stoppeln versehen und sein schwarzes lockiges Haar fiel ihm fettig in den Nacken. Mit seinen dreckigen Fingern strich er sich nervös über sein Haupt. Bevor sie ein Wort herausbrachte, machte dieser Wüstling einen Satz und sprang sie an. In ihrer Verzweiflung riss sie ihr Stilett nach vorne, um sich vor diesem Bastard zu verteidigen. Sie versuchte sich an die Worte von Alec zu erinnern, der ihr erklärt hatte, wie sie einen Angreifer ausser Gefecht setzte. Ihr Angreifer jedoch schien nicht einmal bemerkt zu haben, dass sie bewaffnet war. Er griff nach ihren Händen und Isabella stach zu. Er jaulte auf und sank vor ihr nieder. Sie hatte ihm ihr Stilett ziemlich nah an der Stelle in den Unterleib gerammt, die Alec ihr gezeigt hatte. Der Mann grabschte mit seinem Arm nach Isabellas Nachthemd und fiel dann vorneüber auf den Boden. Was zum Teufel ging hier vor?! Das Stilett immer noch umklammert, schlich sie zur Zeltwand und riskierte einen Blick. Es war nichts zu erkennen. Sie musste sich vergewissern, ob noch mehr Banditen ins Lager gekommen waren oder ob dieser hier der Einzige war. Sie schlich an den Zelten vorbei, doch sie konnte keinen ihrer Soldaten ausfindig machen. Je näher sie allerdings ans Versammlungszelt kam, hörte sie eine Stimme immer deutlicher. Am letzten Zelt angelangt, dass vor dem Versammlungsplatz mit dem grossen Feuer stand, duckte sie sich und spähte daran vorbei. Die Stimme war nun klar zu hören
„Findet sie! Nah macht schon! Das kann doch nicht so verdammt schwer sein!" Eisige Schauer rannen ihr über den Rücken. Ein kleiner rundlicher Mann stand in altbewährter Manier da und schritt vor dem Feuer auf und ab. Hinter ihm bestimmt sechzig bullige Männer, die einen Grossteil von Alecs Soldaten in Schach hielten. Die Männer teilten sich und zwei weitere Männer schleiften einen grossen schweren Körper zwischen sich zum Feuer und liessen ihn vor die Füsse des kleinen Mannes fallen. Einer der beiden knurrte
„Lexington. Tod". Der auf und abgehende Mann hielt inne
„Sie ist hier!"
„Sucht ihr mich Talbot?" sagte Isabella und stellte sich vor das Zelt, hinter dem sie sich versteckt gehalten hatte. George Talbot wendete sich und grinste über sein ganzes Gesicht
„Was glaubst du denn?! Du listiges Biest!" Er stemmte beide Hände in die Hüfte „schnappt sie euch!" schrie er seinen Männern zu.
„Neeeeeeeeeiiiiin!" schrie jemand und sprang schützend vor Isabella. Es geschah alles sehr schnell. Der Junge warf sich voller Inbrunst vor Isabella und streckte schützend seine Arme vor ihr aus. Isabella vernahm das Surren eines Pfeiles und die Gestalt vor ihr sank zu Boden. Isabella schrie
Dustin!" Sie fiel auf die Knie zu ihm hinunter und nahm seinen Kopf in ihren Schoss „Dustin... Dustin" wisperte sie. Der Pfeil steckte tief in seiner Brust. Die Federn schwankten noch immer von der Wucht des Einpralls. Dustin schluckte mehrmals und versuchte zu sprechen. „Dustin, es wird alles gut... alles wird wieder gut" wimmerte sie „wir haben einen Arzt... er kann noch nicht allzu weit entfernt sein" sagte sie mit zitternder Stimme. Dustin benetzte mit seiner Zunge seine spröden Lippen und flüsterte
„Es ist meine... meine Schuld" er hustete „ich hätte" das Atmen viel ihm sichtlich schwer „ich hätte meinen Posten nie... nie verlassen sollen" heftiges Husten verschlang seine letzten Worte. Dustins Mundwinkel schimmerten rosa. „Verzeiht mir... Mylady". Sein Brustkorb wölbte sich in Isabellas Armen und dann wurden seine Atemströme flacher, leiser. Er blinzelte noch einmal und dann versiegte sein Atem und Dustins Körper wurde weich.
„Dustin! Dustin!" rief Isabella und schüttelte den Jungen. Sie presste Dustin an ihre Brust und blickte zornesentbrannt zu Talbot „Du! Das wirst du mir bezahlen du ekliges Stück von einem Bastard!" Talbots Augen blitzten voller Freude
„Ach und wie? Du verdammtes Weibsstück! Greift sie euch, ihr Narren!"
„Wag es ja nicht" rief Isabella und hielt ihr Stilett vor sich.
„Talbot! Wir haben ihn" wieder teilte sich die Menge von Talbots Männern und zwei zerrten einen Mann vor seine Füsse, dieser lebte allerdings noch.
„Das ist er! Der Dreckshundesohn von de Warenne! Er war doch hier!" rief einer der Männer siegessicher. Er riss an den längeren Haaren des Mannes und hielt Talbot sein Gesicht hin. Isabellas Herz begann zu galoppieren.
„Ihr Dummköpfe! Das ist nicht de Warenne, das ist nur sein Bruder". Das Lächeln auf dem Gesicht des Mannes fror ein und er blickte zu Rickard hinunter
„Nicht de Warenne? Aber er ist doch auch ein de Warenne?" fragte einer der Wachmänner dumpf.
„Verdammt! Ich will Alexander de Warenne ihr Hohlköpfe und nicht Rickard". Rickard sah ziemlich mitgenommen aus, doch er blickte mit dem einen noch gesunden Auge zu Isabella, denn das andere war vollkommen zugeschwollen. Der zweite Mann der ebenfalls Rickard festhielt, meldete sich zu Wort
„Dieser Bastard hat drei unserer Männer getötet, dafür soll er hängen Talbot!" sagte er zornig. Die Menge hinter ihm stimmte lauthals zu.
„Nein!" schrie Isabella über den gesamten Platz und alle drehten sich zu ihr um. „Nein, Talbot, dass lasse ich nicht zu! Wenn ihr ihm oder einem der anderen Soldaten ein Haar krümmt, werdet ihr niemals die Dokumente erhalten, die ihr unbedingt von mir haben wollt! Und auch meine Bereitschaft mich euch zu unterwerfen werdet ihr nicht erhalten!". Wie die Rädchen in Talbots Hirn drehten, konnte Isabella förmlich hören. Sie stand aufrecht in gewissem Abstand zu ihm und hielt das Stilett immer noch drohend gegen George Talbot. Er schien äusserst unschlüssig, doch was hätte er schon für eine Chance? Die Dokumente würde er nie ohne ihre Hilfe finden und wenn die Bewohner von Argyll Castle erfahren würden, dass sie tot wäre, würden sie ihn niemals als Clanoberhaupt akzeptieren. Anscheinend wurde dies nun auch Talbot klar, denn sein fieses Grinsen verschwand und ein grimmiger, mit roten Flecken versehender Ausdruck trat an dessen Stelle. Er geiferte
„Wenn du Hexe mir diese Dokumente und Argyll Castle nicht überreichst, wirst du zusehen, wovor dich dein Vater und dieser de Warenne versucht haben zu beschützen! Ich werde jeden einzelnen dieser Männer auseinandernehmen und in ihren Eingeweiden ein Fest veranstalten lassen und Rickard de Warenne wird der Erste sein! Während du bei jedem einzelnen zusehend darfst, bis auch du als Letzte an die Reihe kommst!" Sein Blick fiel auf ihren gewölbten Bauch und da kehrte sein gieriges Lachen zurück „Ha! Der räudige Bastard hat dich also bestiegen, wie ein wildes Vieh!? Wer hätte das gedacht? Hahaha" sein hinterlistiges Lachen hielt an „Oh meine liebe Hexe, wenn du mir nicht gibst was ich will, werde ich natürlich dafür sorgen, weil es mir ungeheure Freude bereitet, dass diese Männer auseinandergerissen werden und zum Schluss sorgt mein Mann fürs Grobe, dass der ungeborene Bastard aus deinem Bauch geschnitten wird!" Der Wahnsinn war ihm ins Gesicht geschrieben. Isabella schluckte und senkte ihr Stilett. „Jahha genau! Tu lieber was man dir sagt!" Er machte eine unbedeutende Geste mit seiner rechten Hand und zwei Wachmänner schritten aus der Reihe und nahmen sie fest. Einer der beiden quetschte ihre Hand, damit sie das Stilett fallen liess. Talbot watschelte zu ihnen, baute sich vor ihr auf. Die beiden Männer drückten ihre Knie in den Boden, so dass sie sich vor ihm verbeugte. Talbot grinste erneut und holte mit seiner Faust aus. Dann war alles schwarz.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt