Kapitel 3.4 - Die Räte

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Mit jeder einzelnen Pferdelänge, die sie näher an London kamen, verdichtete sich der Himmel und sie mussten mit vermehrt unbehaglicherem Wetter zurechtkommen. Sie wechselten sich auf dem Kutschbock ab und schliefen abwechselnd im Stauraum der Gepäckablage. So waren sie kaum dazu gezwungen Pausen einzulegen und mussten nur anhalten, um die Pferde zu tränken und sich kurz zu verköstigen. Die geschlossenen Vorhänge der Kutsche lockten so manches neugierige Auge in die Nähe des Gefährtes, doch Alec hatte vorgesorgt und immer einen Burschen angeheuert, der die Neugierigen verscheuchte. Als sie die Auffahrt des Towers im Schatten der Geisterstunde hinauffuhren, waren Alec, John und die Pferde am Ende ihrer Kräfte angelangt. Einige Stunden zuvor hatten sie eines der Zugpferde verloren und Alec hatte Arac einspannen müssen. Sie fuhren durch das eiserne Schlosstor, das mit dem Siegel des englischen Königs versehen war und Alec steuerte mit der Kutsche die Stallungen an. Zwei Stallknechte kamen ihnen entgegen.
„Bitte schick nach Mister Lumley" sagte Alexander zum Jüngeren der beiden Jungen, der sofort lost spurtete. John und Alec sprangen vom Bock und halfen die Pferde ab zu zäumen. Das Geschirr hatte bei den meisten von ihnen starke Schürfwunden hinterlassen und Tom versicherte Alec, dass er sich um die Wunden der Tiere kümmern würde. Als sie soeben den Sechsspänner an seinen Platz geschoben hatten, kam der Jüngere der beiden Stallknechte, gefolgt vom hastig gehenden Mister Gillian Lumley, in den Stall zurück. Er war ein mittelgross gewachsener schlanker Mann, etliche seiner braunen Haare waren ergraut und auf seiner Nase sass eine Scherenbrille.
„Meine Herren, ich muss mich erst selbst davon überzeugen" sagte er mit blasser Stimme und kam schlitternd vor Alexander und John zum Stehen. Er blinzelte verlegen und blickte auf die beiden Jungen, die verheissungsvoll innegehalten hatten
„Nun Tom, ich denke die Pferde benötigen Wasser... und Joseph" sein Blick richtete sich wieder zu Alec und John „Wenn sich das Bewahrheiten wird, was sie mir in dem Brief mitgeteilt haben Lord Beaufort, dann" das was führte er nicht weiter aus. Er trat an den Sechsspänner und öffnete die Tür. Er trat auf die Stiege und hinein. Mister Lumley war still. Alec hörte ganz leise ein; Gott Allmächtiger, steh uns bei Gemurmel. Lumley kam rückwärts aus der Kutsche, schloss die Tür und schien etwas Farbe im Gesicht verloren zu haben. Auf seiner Stirn waren Schweissperlen zu erkennen. Gillian Lumley hob seine rechte Hand fahrig zu seinem Gesicht und schob seine Scherenbrille die schweissnasse Nase hinauf an ihren Platz „Nun" krächzte er und räusperte sich „nun Joseph schick sofort nach den Dreien und lass sie in der Bibliothek zusammenkommen, sorg dafür, dass die Peers die gestern hier eingetroffen sind, ebenfalls in der Bibliothek zu uns stossen und schick Mister Tattles mit fünf... nein besser sechs Dienern hierher! Sofort!". Joseph drehte sich um und rannte los. Tom war bereits zuvor aus dem Stall verschwunden, um Wasser für die Pferde zu holen. „Das Beste wird wohl sein, wenn wir ihn in seine Gemächer bringen und Mister Tattles sich um ihn kümmern kann und wir werden uns mit dem kleinen Rat und den Dreien zusammensetzen". Obwohl Mister Lumley sehr getroffen über die Todesnachricht des Königs war, hatte er sich schnell wieder gefangen. Dies musste wohl der Anwalt in ihm sein, der in allerlei Situationen einen kühlen Kopf bewahrte. Als der Kammerdiener des Towers mit der Dienerschaft im Stall ankam, übernahm Lumley die Führung. Er weihte sie rasch vertrauensvoll ein, damit keiner einen Schock erleiden sollte, wenn sie in die Kutsche stiegen und den toten Monarchen, bedeckt, aus der Kutsche hieven sollten. Die Stimmung war gedrückt, doch die Diener trugen den toten König Henry VIII aus der Kutsche und manövrierten ihn in der Dunkelheit durch die Mauern der Ringburg bis in die Gemächer des Königs. Lumley ging ihnen voraus und sicherte mit John die Gänge ab, damit ihnen kein Dienstbote oder ungebetener Gast in die Quere kam. Alexander reihte sich zwischen die Diener und stemmte den schweren Körper seiner Majestät bis in die oberste Etage und auf dessen Bett. Gillian, John und Alexander überliessen den König Mister Tattles und den Dienern und machten sich auf den Weg in Richtung Bibliothek. Seit ihrer Ankunft waren mehrere Stunden vergangen und der Himmel schien sich bereits hell einzukleiden, als der Diener vor der Bibliothek ihnen die schneeweisse Tür aufhielt. In der sehr weiträumigen Bibliothek hatte es mehrere Tische, bequeme Sessel und einen Kamin, in dem ein Feuer loderte. Einige Gentlemen hatten sich in die Sessel niedergelassen, flüsterten leise oder unterhielten sich Schulter an Schulter in der Nähe des wärmenden Feuers. Die Tür ging erneut auf und Diener traten mit Tabletts, auf denen kleine Häppchen und Erfrischungen serviert wurden, ein. Gemäss den Anweisungen des Butlers deckten sie die Amusebouche auf und verliessen den Raum sofort wieder.
„Gentlemen" ergriff nun Gillian das Wort „Ich bitte um Nachsicht für die Verspätung. Einige der Gentlemen kennen sich bereits nehme ich an. Nun ich möchte sie dennoch kurz vorstellen; John Beaufort, dritter Earl of Somerset und zweiter Viscount Sedgemoor. Heerführer unter König Henry VII, ebenso wie unter König Henry VIII". John nickte kurz und blickte in die Runde der Männer, die sich mittlerweile alle erhoben hatten. „Unser zweiter Gast ist Alexander John Arthur Lord de Warenne, zweiter Earl of Surrey, vierter Earl of Cumberland und erster Viscount of Blackheat. Er diente ebenfalls unter König Henry VII und König Henry VIII". Alec neigte den Kopf und Gillian Lumley fuhr fort „und ich möchte ihnen beiden neben den Dreien, die sie selbstverständlich gut kennen, offiziell auch alle Mitglieder des kleinen Rates vorstellen". Alexander sah zu den Dreien. Es waren die Berater des Königs. Eigentlich waren es eher die Berater des ehemaligen Königs gewesen. Henry VIII hatte selten Interesse gezeigt von ihrem Wissen profitieren zu wollen. Er hatte sie allerdings auch nie durch neue ersetzen lassen. Er liess die Berater seines Vaters in ihren Ämtern und hatte ihnen langweilige und langwierige Aufgaben aufgebrummt, welche sie zwangsläufig übernommen hatten. Somit hatte der König seine Pflicht gegenüber dem Parlament, dem Grossen und Kleinen Rat erfüllt, nämlich professionelle Berater zu haben, die ihn in seiner Tätigkeit unterstützen sollten. Weder das Parlament noch die Räte konnten etwas dagegen unternehmen. Der König hatte seinen Teil der vertraglichen Pflicht erfüllt und die Stellen besetzt, ob er sich nun ihrer Beratung annahm oder nicht, dass konnten sie nicht erzwingen. Zudem konnten sie auch keine Einwände gegen die Drei erheben, denn sie hatten gute Dienstleistungen zuvor gegenüber der Krone erbracht. Man hatte gewusst, dass der junge König sie Schachmatt gesetzt hatte und das Parlament und die Räte, ausser sie würden einer der Dreien eines Verbrechens beschuldigen und hängen, mussten sich mit der Situation arrangieren. Die Drei standen zusammen etwas abseits neben einem der Bücherregale. Theobald Gurdin war schon fast siebzig und umklammerte seinen Gehstock. Er trug seine Priesterrobe stolz wie eh und je und seine kahlen grauen Haare kräuselten sich an den Seiten des Kopfes. Seine Augen waren wachsam und erkundeten die Bibliothek genau. Neben ihm stand der dickliche, aber deutlich jüngere Bartholomew Howell. Er war der Finanzratgeber des Königs. Seine Ratschläge und Kniffe liessen die Kassen von König Henry VII anschwellen. Alec konnte sich noch daran erinnern, wie König Henry VII ihm von Howell berichtet hatte und dass Alec sich ebenfalls an einen Finanzspezialisten wenden sollte, wenn ihm seine Zukunft wichtig sei. Diesen Rat hatte er dann beherzigt und König Henry VII hatte Recht behalten. Howell nippte an einem Glas und liess seinen Blick auf Lumley ruhen. Ely Quigly war wohl einer der seltsamsten Menschen, die Alec je getroffen hatte. Er stand neben Howell und streckte sein linkes Bein etwas nach aussen, sodass man sein Holzbein sah. Er war um die sechzig und hatte schon als junger Mann unter König Henry VII im Krieg gedient. Vor Jahren hatte man ihn schwer verwundet und die Ärzte hatten nicht gewusst, ob sie ihn retten könnten. Sie mussten das linke Wadenbein amputieren und damit war seine kriegerische Laufbahn beendet worden. Henry VII hatte aber in all den Jahren sehr viele Kriege mit Quigly gekämpft und hatte nicht auf ihn verzichten wollen. Er hatte ihn als seinen Berater für Kriegstaktiken und Spezialisten für Verteidigungsanlagen behalten. Sein Blick war leicht mürrisch und seine Augen kniff er zusammen, sodass seine Stirn Falten bildete. Es wirkte beinahe so, als würde ihm ein sehr unangenehmer Duft die Stimmung gewaltig vermiesen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt