Kapitel 4.1 - Zwei Brüder

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Rufe ertönten und Männer eilten herbei.
„Alec!", schrie Rickard, der gerade über den Hof rannte, „Thomas! Endlich seid ihr hier!" Alec schwang sich von Arac und grüsste die Männer, die zu ihm geeilt waren und ihn willkommen hiessen. Keuchend erreichte sie sein Bruder. Mühsam presste er: „Isabella. Gefangen... Söldner", hervor. Der Stallbursche führte die beiden Pferde in den Stall und Alec und Thomas schlossen sich der Schar an, die Rickard in die Halle begleiten.
„Was ist geschehen? Wo ist sie? Ist sie noch", er zögerte, „am Leben?", fragte Alec beklommen.
„Sie lebt", sagte eine schwächliche Stimme, die er nie zuvor bei seinem Bruder ausgemacht hatte. Sie betraten die Grosse Halle. Pritschen waren aufgestellt worden. Männer und Knaben lagen auf ihnen und wurden versorgt. Das Feuer brannte stark und knisterte. Alec schluckte. Wut stieg in ihm hoch. Wut auf seinen Bruder, der dies nicht verhindert hatte und Wut auf die Söldner, die es gewagt hatten, sein Lager während des Krieges einzunehmen, dort wo er am empfindlichsten war! Das andere Gefühl, das sogar noch stärker war als seine Wut, war Scham. Er hatte all dies zu verantworten! Er hatte die Jungen mit zu wenig erfahrenen Kämpfern zurückgelassen! Er hatte Rickard noch befohlen sich ihnen anzuschliessen... Er war schuld an ihren Verletzungen und am Tod der Männer... Es würde seine Schuld sein, wenn seine Frau ihr Leben liesse und das Kind mit ihr. Er ballte die Faust und wandte mühsam den Blick von dem Elend ab. Er sah die Männer und Rickard an. Sie standen da, musterten ihn. „Setz dich Bruder... trinkt etwas", sagte Rickard an Alec und Thomas gewandt. Thomas stiess ihn an und sie setzten sich an die Tafel. Nun ruhte Alecs Blick auf seinem kleinen Bruder, für den er verantwortlich gewesen war all die Jahre. Erneut erfüllte ihn Unbehagen. Rickard sass da, doch dies konnte nicht sein Bruder sein. Das unbekümmerte Grinsen, die lausbübische Freude war gänzlich aus seinem Gesicht geschnitten. Die Wangenknochen erschienen hohl und blass. Die Augen wirkten kränklich und verbittert. Seine Nase schien gebrochen. Tiefe Kratzer und Narben zogen sich durch sein Gesicht und den Hals hinauf sah man Striemen, die von Peitschenhieben zeugten. Die wenigen, die er zurückgelassen hatte, die nicht allzu schwer verwundet schienen, sassen ebenfalls an der Tafel und ihr Anblick war nicht weniger erschreckend. Ihm fehlten die Worte. Er nahm einen Kelch und trank. Das süssliche Getränk war ein Hohn. Sein Blick fiel auf die Hand seines Bruders, der seinen Kelch fest umklammerte. Drei Finger fehlten! Alecs Augen schossen zu denen seines Bruders. Rickard hatte es bemerkt und zog seine Hand vom Kelch zurück. Er liess sie unter den Tisch gleiten. Demonstrativ nahm er die andere Hand und starrte stur an Alec vorbei. Es würde später noch genug Zeit sein um ihn danach, unter vier Augen, zu fragen. „Sie haben uns überfallen... Mitte November", sagte Rickard tonlos. „Wenige Tage nach eurer Abreise. Söldner... und der Drahtzieher war niemand weniger als George Talbot." Den Namen von Talbot presste er heraus, als wäre er etwas giftiges.
„Talbot steckt hinter all dem?", fragte Jackson fassungslos.
„Wie viele sind gefallen?", warf Alec ein.
„Zwei", sagte Rickard, „Ben und Dustin." Es war ein Wunder, dass nicht mehr den Tod gefunden hatten, doch Ben und Dustin hatten bezahlt. Dustin war noch so jung gewesen und Ben hatte seine Männer stets gut ausgebildet. „Dustin wurde von einem Pfeil getroffen, als er sich schützend vor Isabella warf... und Ben... Ben haben sie getötet, weil einer der Söldner von einem hundswütigen Tier gebissen worden war und Isabella ihm nicht mehr helfen konnte. So nahmen sie einen der Unseren als Strafe dafür. Der Rest hat gerade so überlebt. Isabella hatte erreicht, dass sie uns versorgen und verarzten konnte. Damit hat sie schlimmeres verhindert. Ohne ihre Hilfe hätten weitaus weniger Männer überlebt."
„Das ist richtig", sagte die Stimme von Marcus. Die Männer, die sich um sie versammelt hatten, traten beiseite und Marcus humpelte mit einem Stock auf sie zu. „Ihre Lady hat das Herz einer Löwin. Sie hat gekämpft und dafür gesorgt, dass wir fliehen konnten. Ich und Rickard haben ihr gesagt, dass wir niemals ohne sie gehen würden... doch sie hatte dies geahnt und uns mit starken Worten dazu gebracht ihr zu gehorchen. Sie hatte uns versichert, dass sie auf anderem Wege zu uns stossen würde und wir uns nicht zu sorgen brauchten." Seine Worte brachen ab und er schien nicht im Stande weiter zu sprechen. Rickard sprang für ihn ein:
„Richtig. Ich glaube ihr Ziel war es tatsächlich zu fliehen, doch etwas muss dazwischengekommen sein. Sie musste aufgehalten worden sein." Er machte einen tiefen gequälten Seufzer: „Sie hat uns Waffen besorgen können und sie nicht unweit des Lagers im Wald versteckt. Als die Söldner zu ihrer Totenwache aufbrachen, waren nur Talbot und seine Wachen im Lager zurückgeblieben. Allerdings kümmerten sie sich nicht um uns und so stahlen wir uns aus dem Gefangenenzelt und hasteten im Schutz der Dunkelheit zum Wald, zu der Stelle, die uns Isabella beschrieben hatte... und tatsächlich lagen dort Dolche, Messer und andere Waffen. Wir nahmen sie an uns und schleppten uns weiter. Isabella hatte gesagt, dass sie sich in dieser Gegend gut auskenne und einen anderen Fluchtweg einschlagen würde. Immerhin ist sie Schottin und wir waren Nahe der Highlands. Alec du musst mir glauben, hätte ich nur einen Hauch davon geahnt, dass sie... sie nicht fliehen würde oder konnte... wir wären alle bei ihr geblieben!" Seine Stimme bat um Vergebung und Alexander hörte den Schmerz in ihr. Sein Herz stach ihn mit jedem Schlag in die Brust, doch er erwiderte:
„Es war töricht... und dumm!" Er ballte seine Faust: „Aber es war vermutlich das Richtige... ich selbst hätte so gehandelt. Damit hat sie alle meine Männer", er atmete schwer, „vor dem Tode bewahrt. Vermutlich muss sie gewusst haben, dass Talbot sie nicht töten würde und hat daher diesen Fluchtplan erarbeitet." Er blickte in die Runde: „Es ist meine Schuld. Niemals hätte ich nur dreissig Männer, wovon nur sechs ausgebildet waren, zurücklassen sollen. Ich bin gescheitert. Gescheitert in meiner Pflicht als Offizier und als Oberhaupt Cumberlands. Meiner Verantwortung unterliegt es die Schwachen zu schützen und für ihre Sicherheit zu sorgen. Beides habe ich nicht erreicht. Deshalb sind zwei Männer gestorben, die Gutes geleistet und mich stolz gemacht haben." Die Männer protestierten lauthals und auch diejenigen auf den Pritschen erhoben ihre schwachen Stimmen, doch Alec unterbrach sie: „Ihr habt getan was ihr konntet und ich bin erfreut, dass ihr alle noch am Leben seid. Meine Ansicht ändert dies aber kaum." Eine weitere Stimme erhob sich aus der Menge:
„Mein Herr niemand denkt daran, dass ihr die Schuld trägt. Dustin hätte dieser Gedanke niemals gefallen. Er ist stolz gestorben, als er sich für seine Herrin opfern durfte. Ihr wisst, wie er sie gemocht hat und er wollte ein aktiver Soldat in eurer Armee werden. Er konnte es kaum erwarten aus den Toren zu schreiten und mit in den Krieg zu ziehen. Niemand hätte erahnen können, dass hinter dem nächsten Hügel barbarische Söldner auf uns warteten und uns angreifen würden. Wir alle hatten das Augenmerk auf dem Krieg." Alexander betrachtete Alfred, der als einziger unverletzt schien.
„Alfred?! Wie", wollte er fragen, doch Rickard antwortete:
„Alfred ist vor zwei Tagen zu uns gestossen."
„Jawohl. Ich habe euren Befehl ausgeführt und ritt nach Dun Rig. Als ich ankam hatten die Söldner schon das Lager eingenommen und ich beobachtete sie aus sicherer Entfernung. Erst glaubte ich, die Söldner würden dortbleiben und wollte zurückreiten und Verstärkung holen. Doch an diesem Tag begannen sie die Zelte abzubrechen und ich musste mich entscheiden. Sollte ich sie aus den Augen verlieren würden wir sie womöglich nicht so schnell wiederfinden. Dann sah ich sie." Alexanders Augen weiteten sich und er blickte in die braunen Alfreds. „Sie kam mit einem Pferd, einem Wagen und einer Wache aus dem Lager und steuerte auf einen Hügel zu, der nicht unweit von meinem Versteck lag. Ich überlegte mir ihr eine Nachricht zukommen zu lassen, doch die Wache liess sie nicht aus den Augen. Sie hob ein Grab aus und legte einen Leichnam hinein. Ich hatte keine Ahnung wer es war. Erst als ich hier hörte, dass sie Dustin begraben hatte, wusste ich, dass er es gewesen war, den sie ins Grab gehoben hatte. Sie hatte geweint und für ihn gebetet. Ich konnte die Worte, die der Wind zu mir trug, nur undeutlich hören. Dann gingen sie zurück ins Lager. Alle brachen auf und ritten gegen Norden. Ich hatte mich entschieden ihnen zu folgen und sobald es möglich war, wollte ich zurückreiten und den Aufenthaltsort preisgeben." Er schwieg nun. Da standen sie, alle gezeichnet von ihrer Gefangenschaft, gerade so überlebt. Nichts was Alec sagen würde könnte seinen Stolz und seine Dankbarkeit ausdrücken, also schwieg er und er wusste seine Männer verstanden ihn.
„Wo sind sie jetzt?"
„Nicht weit entfernt an der Küste haben sie ihr Lager aufgestellt. Wir haben sie ausgekundschaftet. Von Talbot war keine Spur zu sehen. Nur die Söldner scheinen im Lager zu sein", erklärte Rickard. Alec nickte. Egal wo Talbot sich momentan befand, er wusste, dass seine Liebste dort an der Küste war.
„Wir greifen an", sagte Alec entschlossen und die Männer stiessen Jubelschreie aus. „Es spielt im Moment keine Rolle, wo Talbot sich aufhält. Ist er nicht bei den Söldnern, werden wir ihn finden." Er blickte in die grimmigen Gesichter seiner Männer, jeder einzelne würde mit reiten wollen und den Söldnern ihre gerechte Strafe zukommen lassen. „Wir überlegen uns eine Strategie und greifen so schnell, wie möglich das Lager dieser Barbaren an." Ein übereinstimmendes:
„Jawohl", raunte durch die Menge.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt