Zunehmend begann der bevorstehende Prozess sich in seinen Gedanken festzusetzen. Alice de Warenne stand, wie beabsichtig, in ihrem zugeteilten Gemach unter Arrest. Keiner durfte zu ihr ohne Alecs Zustimmung. Sie wäre einer der ersten Fälle, die vor dem neuen König im Court of Kings Bench verhandelt werden würden. Die Räte und der König hatten selbstverständlich versucht, die anstehenden Verhandlungen von Alice und natürlich die über Talbot geheim zu halten, allerdings waren diese Informationen trotz allem durchgesickert. Jemand musste es in den ersten Tagen ihrer Ankunft in Umlauf gebracht haben, denn je länger sie hier waren, desto deutlicher fiel Alexander und auch Isabella das Getuschel und betretene Schweigen auf, wenn sie einen Raum betraten oder an einigen vorbei gingen. Alexander war es sich gewohnt das Gesprächsthema der Peerage zu sein, aber Isabella nicht. Sie gab es nicht zu, aber es war ihm bewusst, wie unangenehm es für sie sein musste. Immerhin war Alice zuvor eine beliebte Gastgeberin und Gesprächspartnerin in der Peerage gewesen und ihre alten Freundinnen schienen überzeugt, dass dies ein Missverständnis sein musste. Alec hatte auch einen Verdacht wer dafür gesorgt hatte, dass diese Neuigkeiten die Runde machen sollten. Oliver, Lord Napier, lächelte ihm beharrlich süffisant zu, wenn er seinen Weg kreuzte und er glaubte nicht eine Sekunde daran, dass der Marquess of Devon seine Abneigung über ihn geändert hatte.
Die eigentliche Krönungsfeier fand am Sonntag in der Westminster Abbey statt. Am Vortag begann der erste Teil der offiziellen Feier der Krönung. Der König fuhr an der Spitze in seiner königlichen Kutsche vom Tower of London bis zum Palace of Westminster. Ihm folgten die Offiziere und Unteroffiziere, dann je nach Titel die Peers und die Drei zu Fuss, zuletzt dahinter fuhren die Kutschen mit den Ladies der Peers. Die Strassen waren bis weit in die Seitengassen proppenvoll. Die Menschen huldigten den Siegern des Krieges und dem bald neuen König. Neben Alec schritten James und John und die weiteren Offiziere. Die Grafschaft Suffolk von Lord Brandon war übergangen worden. Man hatte ihn nicht vollends der Desertation schuldig gesprochen, aber die Richter waren sich einig, dass er seine Pflicht verletzt und damit den Eid nicht erfüllt hatte. Seine Privilegien am Hofe waren ihm entzogen worden und ihm wurde nahegelegt sich aus der Peerage zurückzuziehen. Als Strafe würde seine Tochter nicht mehr in Suffolk leben, sondern als Hofdame der Königin dienen und später einen, dem König passenden, Gentleman ehelichen. Seine Söhne entzog man ebenfalls seinem Einflussbereich. Der Erbfolger, Ralph, sollte seine Pflicht in der Armee des Königs leisten und wenn sein Vater dahinscheiden würde, könnte er zurück und seinen Platz einnehmen. Der jüngere Morton erhielt die Position eines Knappen am Hofe. Damit war David Brandon faktisch am Rande der Gesellschaft. Der König und die wichtigsten Mitglieder, darunter auch James, John und Alec, würden die Nacht im Palace of Westminster verbringen und am Sonntagmorgen der Prozession bis in die Westminster Abbey folgen. Diese Nacht war äusserst kurz. Am frühen Morgen standen die Kammerdiener bereit, um ihn und Isabella einzukleiden, wobei Isabellas Herrichtung natürlich mehr Zeit in Anspruch nahm. Ihre Haare waren unter einem aufwändigen Hennin versteckt. Der Kopfreif bestand aus goldenem Stoff, der mit Perlen und Schmuckstücken behängt war. Auf den Seiten und ihren Rücken hinab, hing der schneeweisse Schleier. Es war gewöhnungsbedürftig. Sie sah durchaus bezaubernd, wenn nicht gar einschüchternd aus in ihrer Erscheinung, doch Alec bevorzugte ihre wilden Locken, die bei jeder ihrer Bewegungen, um ihre Schultern tanzten. Ihr Kleid aus grünen Stofflagen, war nicht weniger beeindruckend. Ihre Ärmel, Schultern und die Schleppe waren mit komplizierten Stickereien aus goldenem Faden versehen und Isabella passte damit zweifellos in die höfische Gesellschaft. Über ihren Schultern hing, wie bei allen Peers, eine Robe aus rotem Samt und einem Umhang aus Hermelinfell. Die männlichen Peers konnten durch die Anzahl Streifen auf dem Hermelinfell von ihren Titeln unterschieden werden, wohingegen die Ladies an der Länge ihrer Schleppe erkannt werden konnten. Da Isabella eine Countess war, mass ihre Schleppe etwas mehr als ein Yard. Die Prozession setzte sich am späten Morgen in Bewegung. Der König und seine Frau sassen in einer goldenen Kutsche, die von nicht weniger als acht Pferden gezogen wurde. Alec und seine Kriegskameraden ritten dieses Mal auf ihren Pferden dicht hinter dem König. Die Drei bildeten erneut den Schluss und schritten zu Fuss hinter ihnen her. Da die Prozession nur sehr gemächlich vorankam, konnten die Drei leicht mithalten. Das Volk jubelte und begleitete den Königszug zur Westminster Abbey. Der König drehte mit seiner Kutsche noch einige Runden um die Abbey und huldigte seinen Untertanen. Währenddessen begaben sich die Peers und anderen Würdenträger in das alte Gemäuer und nahmen ihre Plätze ein. Als die goldene Kutsche ihre Ehrenrunde vollendet hatte, hielt sie vor dem Auffahrtsweg der Kathedrale an. In Reih und Glied stiegen die Offiziere vor dem Westtor ab, übergaben die Pferde den Knappen und stellten sich vor der noch verschlossen Kutsche des Königs auf. Ein Diener öffnete die Kutschtür und Edmund stieg die Stiege hinab. Alexander und die Offiziere nickten unmerklich und Edmund goutierte die Geste mit einer Handbewegung. Alexander und James schlossen den Durchgang und die anderen Offiziere stellten sich hinter ihnen auf, so dass sie dem König den Rücken zuwandten, um vor ihm den Gang entlang zu schreiten. Fanfarenbläser stimmten ihre Melodie an und die Offiziere schritten ins Kirchenschiff. Alle Anwesenden reckten ihre Köpfe und verfolgten jeden Einzelnen, bis sie ihre Position vor der Chortribüne eingenommen hatten. Alexander führte seine ihm folgenden nach links und James seine nach rechts. James und Alec standen sich nun seitlich des Ganges gegenüber. Die Fanfaren verstummten und der Erzbischof of Canterbury betrat den Altar. Der Männerchor bestieg die Bühne auf den Seiten des Ganges und stimmte die Kyrie Eleison an. Alle Gäste ebenso wie der Chor blickten zum Mittelgang hin. Langsam schritt Edmund diesen entlang, an den Peers vorbei durch die Chorschranke. Seine Schultern schmückte die Crimson Robe aus purpurnem Samt. Ihm folgte seine Leibwache, angeführt vom beförderten Geoffrey Rudin. Hinter ihnen schritt, in einigem Abstand, Belinda. Ihr Kopf wurde von einem Diadem geschmückt auf dem vier Kreuze im Wechsel mit vier Lilien abgebildet waren. Ihre königliche Robe wurde von ihren Hofdamen getragen. Ophelia Brandon lief in der Mitte und wirkte verstimmt. Alec konnte sich gut vorstellen, dass die Auflagen, die ihrer Familie auferlegt worden waren, nicht mit ihren Interessen konform liefen. Vor ihnen in der Mitte lag das Holzpodest, worauf der Thron auf erhöhten Stufen mit Blick in Richtung Osten stand. Vor dem Podest war eine weitere Erhöhung, allerdings weniger stark, dort stand der königliche Stuhl König Edwards. Rechts daneben, in Richtung Süden, stand der Staatsstuhl und vor ihm eine Kniebank. Der Stuhl der Königin stand rechts neben dem Staatsstuhl. Edmund schritt auf seinen Staatsstuhl zu, als Belinda neben ihm zu stehen kam und die Hofdamen ihre Schleppe richteten, setzte er sich nieder. Belinda tat es ihm gleich. Die Träger der Kronjuwelen übergaben ihre kostbare Last dem Erzbischof of Canterbury und dieser legte sie auf dem Hochalter, weit vorne im Osten, ab. Nun schritt der Erzbischof of Canterbury, gefolgt von den wiedereingesetzten Drei, Theobald Gurdin als Lordkanzler, Ely Quigly als Lord High Constable und Bartholomew Howell als Lord Great Chamberlain, zur Westseite der Abbey. Edmund erhob sich wieder, umrundete das Podest und blieb links unter dem eigentlichen Thron, neben der Erhöhung stehen. Belinda erhob sich von ihrem Stuhl, trat ein paar Schritte in die Mitte und richtete ihren Blick auf ihren Gatten. Der Erzbischof blickte in die westliche Richtung:
„Eure Herren, ich zeige Euch hiermit Edmund Tudor, Euren unumstrittenen König. Wir sind hier zusammengekommen, um unsere Huldigung und unseren Dienst zu tun, sind sie willig dies zu tun?", die westliche Seite der Kirche summte im Chor:
„Gott schütze den König Edmund Tudor." Die Fanfaren erhallten und Edmund verneigte sich vor der Gruppe. Der Erzbischof wiederholte seine Frage ebenfalls in den anderen drei Himmelsrichtungen und Edmund verneigte sich danach vor ihnen. Als alle Himmelsrichtungen ihre Zustimmung gegeben hatten, drehte sich Edmund und schritt zum Staatsstuhl zurück, neben seine Ehefrau. Der Erzbischof nahm seine Position vor dem König ein und sprach:
„Versprechen und schwört Ihr feierlich, das Volk von England und Schottland, gemäss Ihren jeweiligen Gesetzen und Bräuchen zu regieren?"
„Ich verspreche feierlich, das zu tun", erwiderte Edmund mit kräftiger Stimme.
„Werdet Ihr alles in Eurer Machtstehende tun, um Recht und Gerechtigkeit in Gnade zu bewirken, dass in allen unseren Gerichten angewendet werden soll?"
„Das werde ich."
"Werdet Ihr mit grösster Kraft die Gesetze Gottes und die wahre Bekenntnis der Bibel aufrechterhalten? Werdet Ihr die Institution der anglikanischen Kirche und deren Doktrin, Verehrung, Disziplin und Regierung schützen und unantastbar aufrechterhalten, so wie sie nach dem Gesetz in England gilt?
„Ich verspreche, all das zu tun." Der Erzbischof lächelte erfreut und Edmund fuhr fort: „Alles, was ich hier versprochen habe, werde ich ausführen und erhalten. So war mir Gott helfe." Edmund schritt auf den Hochaltar zu und kniete sich davor nieder. Er legt seine Hand auf die Heilige Schrift: „Ich verspreche meine Pflicht mit Gottes Hilfe zu befolgen und meinen Eid zu erfüllen." Dann trat William de Clare, der Duke of Pembroke hervor und kniete sich neben dem König vor dem Altar nieder. Er hatte neu das Amt des Hofmarschalls erhalten. Er hielt dem König das Pergament mit dem Krönungseid entgegen. Edmund nahm, die ihm dargebotene Feder und besiegelte mit seinem Namen den Eid. Edmund wandte sich um und sah in ihre Gesichter. Der Erzbischof erhob laut seine Stimme:
„Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist, besuch das Herz der Menschen dein, mit Gnaden sie füll, denn du weisst, dass sie deine Geschöpfe sind. Zünde uns ein Licht an im Verstand, gib uns ins Herz der Liebe Inbrunst, das schwächliche Fleisch in uns, ist dir bekannt, erhalte fest deine Kraft und Gunst. Dies bewirke, liebster Vater, zusammen mit dem Beistand herrschend in alle Ewigkeit." Der Chor stimmte ein Lied an und ihre Stimmen drangen in die Brust jedes Offizieres. Edmund lief nach vorne und legte seine purpurne Robe ab. William und der Erzbischof kleideten ihn in ein neues Gewand aus weissem Leinen. Edmund drehte sich einmal im Kreis und setzte sich dann auf den Stuhl König Edwards. Nun schritten Alec, James, John und Edward Rich hervor. Jeder von ihnen hielt eine Stange und gemeinsam stellten sie sich um den Stuhl Königs Edwards auf, so dass ein goldenweisser Baldachin über ihrem neuen Führer hing. Unter dem Stuhl lag der wertvolle Stone of Scone. Er wurde vor über zweihundert Jahren von Edward dem Ersten aus der Abtei Scone in Schottland entwendet. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden alle schottischen Könige über diesem Stein gekrönt und legten ihren Eid ab. Mit der Entwendung hatte Edward die Schotten zusätzlich verspottet und dieser Stein blieb ihnen als schmerzlicher Dorn in ihrer Beziehung mit England stecken. Er war sich ziemlich sicher, dass Isabella diese Geschichte kannte. Der Erzbischof und William de Clare traten vor den Baldachin. William hielt eine Phiole in der Hand, welche die zierliche Gestalt eines Adlers aufwies, und goss damit in einen goldenen Löffel Öl. Der Erzbischof ölte sich damit seine Hände sorgfältig ein und trat dann auf Edmund Tudor zu. Er ölte seine Hände, salbte seine Brust und zuletzt strich er mit seinem Daumen über seine Stirn:
„Erfüll mit deinen Gaben, Herr Jesu, unseren König! Tod, Krankheit, Seelenschaden, Unglück halte fern! Lass hier den Frieden grünen, verbanne Krieg und Kampf, dass wir dir fröhlich dienen jetzt und in Ewigkeit! Amen." In der Westminster Abbey widerhallte das Amen. William de Clare reichte Edmund ein weisses Hemd, das dem König übergestülpt wurde. Über dieses Hemd wurde ihm ein weiterer Umhang aus goldenfarbiger Seide gelegt. Bartholomew, der Lord Great Chamblerain, kniete vor Edmunds Füssen nieder und schnallte ihm die Sporen an. Sie waren das Zeichen der Ritterlichkeit und der Hingabe des Königs für sein Land allenfalls in den Krieg zu ziehen. Edmund richtete sich auf und hielt seine Hände nach vorne ausgestreckt. Der Erzbischof schritt langsam herbei und balancierte auf seinen Händen das Juwelenschwert der Könige. Er reichte Edmund das Schwert und dieser trug es vor sich her, neigte den Kopf bis er den Hochaltar erreichte, kniete nieder und opferte es dem Altar. Jetzt erhielten Alec und die anderen das Zeichen den Baldachin wieder fortzuschaffen. Sie falteten die Stangen zusammen und reihten sich wieder in ihre Gruppe ein.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...