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Isabella lag da, tief und fest versunken in den Fellen. Sie hatte geträumt, dass Alec aus dem Bett geschlüpft war und sie nun alleine darin lag. Unbehagen beschlich sie. Sie erwachte aus ihrem Schlaf und tastete nach Alexander. Wie lange ihr Traum her gewesen war, Minuten oder Stunden, sie vermochte es nicht zu sagen. Ihre suchende Hand fand keinen warmen gestählten Körper und diese Tatsache liess sie sofort die Augen aufreissen. Ihr Herz hatte schneller angefangen zu pochen und unvermittelt schossen Schweissperlen auf ihre Stirn. Sie setze sich in die Kissen, blinzelte hastig, um ihre Augen an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Isabella zwang ihre Augen offen zu bleiben, auch wenn sie brannten. Sie blickte umher. Zweifellos ein Turmzimmer. Ein grosses Himmelbett und keine Pritsche. Ein Seufzer entfuhr ihrer Kehle und ihr pochender Herzschlag glitt in einen angenehmeren Rhythmus. Ihre verkrampften Finger, welche die Decke umklammerten, liess sie langsam sinken. Sie war zuhause. Es war kein Traum gewesen. Alec hatte Rosco und seine Männer zerschlagen. Vor Erleichterung schloss sie kurz die Augen, streifte liebevoll über ihr Kind und atmete tief ein. Die Sonne schien bereits unterzugehen. Sie rutschte an den Bettrand und ihre nackten Beine baumelten in der Luft. Isabella hatte den ganzen Tag verschlafen und Talbot war in Surrey! Sie stand auf. Ihre Beine waren wackelig, aber sie konnte zaghaft gehen. Alecs Leinenhemd bedeckte sie nur bis knapp über ihre Knie. Als sie das Essen auf dem Tisch sah, begann ihr Magen zu knurren. Die Wochen des Verzichts hatten ihr bisher nicht sehr viel ausgemacht, aber nun da sie die Leckerbissen auf dem Tablett sah, wurde ihr bewusst wie sehr sie Hunger litt. Sie schnappte sich Brot, Käse und Fleisch, nahm Alexanders Morgenmantel und verliess das Turmzimmer. Ihre nackten Füsse hallten über den Flur und sie steuerte auf ihr altes Gemach zu. Die Wände gaben ihr Halt und sie tastete sich an ihnen vorwärts. Viele Dinge hatte es zwar nicht mehr im Zimmer, doch immerhin etwas, um ihre Füsse zu bedecken. Als sie der Tür näherkam, hielt sie kurz inne. Geisterhaft sah sie in ihrer Erinnerung Dustin und Alfred davorstehen. Ihr Herz brannte. Sie riss sich zusammen und stiess ihre Tür auf. Das Zimmer war kalt und dunkel. Das Dämmerlicht liess noch Konturen ihrer Möbel erkennen und sie sah wie zwei kleine Lederschuhe, deren inneres mit Schafswolle ausgekleidet war, in der Ecke standen. Sie schlüpfte hinein und spürte das kuschlig weiche Gefühl, welches ihre Füsse umhüllte. An einem Haken hinter der Tür hingen ein Nachtgewand und ein Seidenmantel. Sie streifte Alecs Hemd ab und zog ihre Kleider an. Ihr Nachthemd spannte und der Seidenmantel trennte sich über ihrem Bauch auf und fiel wie zwei Vorhänge auf beiden Seiten nach unten. Sie schlüpfte in Alecs Mantel, der zwar nicht so lang, aber dennoch einiges wärmer und grösser war. Während sie sich in die Halle schleppte, verköstigte sie sich an dem Essen und das unangenehme Loch in ihrem Bauch schien sich zu füllen. Der Weg war anstrengend. Nicht nur alleine, weil ihre Schwangerschaft sie nun beim Gehen behinderte und Treppen nicht mehr so einfach zu bestreiten waren, sondern weil sie nun all ihre Wunden und geschundenen Knochen spürte. Isabella war langsam und musste innehalten, damit sie ihre Schwäche nicht dahinraffte und sie zu Boden fiel. Ihre verletzte Hand pulsierte und kribbelte unaufhörlich. Sie war geschwollen und Brandflüssigkeit trat heraus. Isabella wusste, dass dies kein sonderlich gutes Zeichen war. Ihre Verletzung hatte sich entzündet, obwohl sie diese so schnell es ging versorgt hatte. Aber nun gab es Wichtigeres! Elaine war in Gefahr. Als sie die letzte Treppe bezwungen hatte, erreichte sie den Gang, der in die Grosse Halle führte. Sie lehnte sich rasch an die kalte Steinmauer, genoss das Gefühl und versuchte ihren erhitzten Körper damit abzukühlen. Isabella vernahm Stimmen, die durch den Flur getragen wurden. Sie raffte sich auf, folgte dem Gang. Eine Stimme war nun deutlich zu hören, wie sie Befehle erteilte. Bis zuletzt stützte sie sich an der Mauer und erreichte den Torbogen. Als sie in den Bogen trat, liess sie ihre Stütze los und das Nuscheln der Soldaten, die vor Alexander zusammengestanden hatten, verstummte schlagartig. Alec schien die Blicke seiner Männer wahrzunehmen, die nun nicht mehr auf ihn gerichtet waren, sondern auf jemand anderes hinter ihm. Er drehte sich um:
„Liebes, was tust du hier?", fragte er überrascht. Er schritt auf sie zu. „Du solltest dich nicht anstrengen. Du benötigst"
„Ich benötige nur deine Nähe Alec", sagte sie und fasste seine Hand. Sie hoffte er würde nicht bemerken, dass sie Stützung benötigte. „Wir müssen nach Surrey reiten!" Das Gemurmel der Männer stieg wieder an.
„Wir tun hier gar nichts", meinte Alexander grimmig.
„Oh, glaube ja nicht, ich lasse dich wieder von mir wegreiten und mich armes Frauenzimmer zurücklassen", widersprach Isabella und blickte ihn stur an. „Ich glaube, ich habe bewiesen, dass ich in der Lage bin mit heiklen Situationen umzugehen." Alec schnaubte:
„Geht und bereitet euch vor", befahl er den Soldaten. Nur Rickard und Thomas blieben zurück.
„Es ist Wahnsinn, wenn du mitkommst", meinte Thomas einmischend.
„Das sehe ich genauso", sagte Alec, der sich nun bestärkt fühlte. Isabella blickte die beiden böse an. Hatte sie nicht bewiesen, dass sie sich und ihre Soldaten retten konnte?
„Ich habe" setzte sie an, doch Alec schüttelte energisch den Kopf:
„Du wirst nirgends mit uns hin reiten! Du bist geschwächt, verletzt, zerschunden und überdies noch schwanger! Was wäre ich für ein törichter Mann, wenn ich denselben Fehler zweimal mache." Isabella hob die Augenbrauen:
„Denselben Fehler? Ich bin das letzte Mal zurückgeblieben, falls du es vergessen hast! Du hast mich nicht mitgenommen, sondern... Ich will dir keinen Vorwurf machen", sagte sie, da sie Alecs schuldige Miene sah. „Ich will lediglich sagen, dass ich das letzte Mal nicht in deiner Nähe war." Alexander sah sie an.
„Alec, vielleicht kann sie mitreiten" mischte sich Rickard ein und stellte sich auf ihre Seite.
„Wie bitte?", fragte Alec sauer. „Ich soll also einen verstümmelten Bruder und meine schwangere Ehefrau auf einen mindestens drei Tage andauernden Ritt mitschleifen?" Rickard mühte sich zu verteidigen:
„Ich vertrete dieselbe Meinung wie Isabella."
„Das ist ja wunderbar!", grollte Alec.
„Ich glaube", sagte Rickard durch zusammengebissene Zähne, „dass wir beide bewiesen haben mit schwierigen Situationen umzugehen und wir beide fähig sind uns zu schützen." Alexander sah ungläubig drein, doch bevor er zweifellos weitere Argumente bringen wollte, wieso sie nicht mitreiten sollte oder Rickard noch weiter mit seinen Aussagen verletzten würde, sagte Isabella:
„Zwing mich nicht, dich noch einmal zu verlassen... lass mich bei dir sein. Ich verspreche, wenn ich nicht in der Lage bin werde ich umkehren oder in einem Gasthaus Unterschlupf suchen, bis du zu mir zurückkehrst." Alecs Miene war undurchdringlich. Sie fühlte, wie er mit sich rang. Er schloss kurz seine Augen und legte seine Hand an ihre Wange, dann blickten die dunklen Tiefen sie unentwegt an und er zog sie näher an sich:
„Liebstes Wesen, wie könnte ich dir diesen Wunsch ausschlagen, da ich selbst es kaum aushalte dich schon wieder zu verlassen?" Isabella lächelte und lehnte ihre Wange gegen seine Hand. „Du musst mir versichern, wenn du dich nicht wohlfühlst, es mir sofort mitzuteilen, damit ich einen Unterschlupf für dich finde." Sie nickte hastig. „Nun denn auf nach Surrey", sagte er zu den beiden anderen. „Am besten du legst dich noch einmal hin. Morgen reiten wir los", meinte Alexander zu Isabella. Doch Isabella war abgelenkt und blickte auf die Verletzten in ihren Pritschen und machte ein paar Schritte auf sie zu, bevor sie innehielt. „Liebste... es ist nicht deine Schuld", flüsterte er leise in ihr Ohr.
„Und ob... Talbot wollte alleine mich und diese blöden Papiere... ich hätte einfach nur Fliehen sollen ohne Beweise, dann wäre all dies nicht geschehen... Ben und", die nächsten Worte fielen ihr schwer, „und Dustin wären noch am Leben. Dustin hätte zu einem Mann heranwachsen und eine Liebe finden können... und Ben, er hätte seiner Frau selbst sagen können, dass er sie liebt", meinte Isabella schwermütig. Alexander legte seine Arme von hinten um sie und drückte sie zärtlich.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...