Isabella schluckte. Ihr Hals brannte und sie drehte sich zu Alec um: „Wo ist Bens Frau?"
„Sie ist eine der Pflegerinnen hier." Alec blickte sich um, nickte und deutete auf den hinteren Teil der Grossen Halle, wo eine ältere Frau gerade den Verband eines Verletzten wechselte. Sie löste sich von Alexander und schritt auf die Frau zu. Sie stand gerade auf und legte den bandagierten Fuss auf die Pritsche zurück:
„Die Wunde ist nicht allzu schlimm, ein paar Wochen und du bist wieder auf den Beinen", meinte die Frau. Isabella trat näher:
„Verzeihung, Misses Beveridge?" Die Frau drehte sich um. Sie hatte rotes Haar, welches mit weissen Strähnen durchzogen war. Ihre Augen wirkten müde und traurig. Isabella atmete tief ein: „Sie sind Misses Beveridge oder?" Die Frau musterte sie und nickte. „Ben war ein... er war ein tapferer Soldat", sagte Isabella, doch sie rang um die richtigen Worte.
„Mylady, ich weiss mein Mann ist im Kampf gefallen. Mister Rickard de Warenne hat es mir unverzüglich mitgeteilt", sagte die alte Frau und nahm Isabellas Hand in die ihre. Sie wollte sich bereits wieder abwenden, aber Isabella hielt ihre Hand fest. Sie musste, sie konnte...
„Misses Beveridge", begann sie.
„Nennen sie mich Arnemetia meine Liebe." Isabella holte tief Luft:
„Arnemetia, ich war dabei als dein Mann starb." Die Frau blickte sie gespannt an. „Ich habe seine letzte Botschaft mit mir getragen." Isabella griff sich unter ihr Nachthemd, zog eine Kette mit Kreuz und einem Ring hervor, fingerte mit ihren zitternden Händen am Verschluss und löste sie von ihrem Nacken. Sie hielt Arnemetia die Kreuzkette und den Ehering ihres Mannes hin. Die Frau schluckte und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie nahm die Kette, ebenfalls mit zitternden Händen, entgegen. „Es sind seine Habseligkeiten... ich war der Meinung du hättest sie gerne als Andenken an deinen tapferen Ehemann. Seine letzten Worte waren, dass er dich und eure Kinder über alles liebe." Arnemetia schloss ihre Augen und presste die Kette an ihre Brust.
„Danke Mylady! Ich danke euch", dann umarmte sie Isabella. Sie erwiderte die herzliche Umarmung und flüsterte:
„Es tut mir so leid." Die Frau drückte sie etwas fester und löste sich dann von ihr. Sie lächelte, hängte die Kette um ihren eigenen Hals und begann wieder die Verletzten zu versorgen. Isabella lief zurück. Alec hatte auf sie gewartet und nahm sie in die Arme:
„Das wird sie etwas trösten", meinte er und Isabella nickte
„Ich hoffe es."Zwanzig Mann begleiteten sie. Isabella hatte Alexander und Thomas erzählt, dass Talbot alle seine Männer mitgenommen hatte. Somit waren sie Talbot zwei zu eins überlegen. Die Reise war äusserst mühsam und anstrengend, denn sie wollten so schnell es ihnen möglich war Surrey erreichen. Daher machten sie kaum Pausen. Sie legten sich auf den Boden um das Feuer für drei, vier Stunden und einer der Männer hielt wache, dann ritten sie weiter. Alec hatte sie, wie vor langer Zeit, vor sich auf Arac gesetzt und führte so seine Männer durch die Hügel und Täler zurück nach Surrey. Schnee, wie es ihn im Norden zuhauf gegeben hatte, sah man hier kaum. Auf den höheren Hügel lagen feine Schneedecken, die aber ein paar Yards weiter unten schon von grünem Gras durchbohrt wurden, bis der Schnee ganz verschwunden war und man nur noch die Grashalme sah. Nass und teilweise mit Eisperlen überzogen. Der Nebel lag drückend über ihnen und befeuchtete ihre Kleider und die Pferde. Isabella lehnte an Alecs Brust und wickelte sich enger in ihren Mantel. Alec hatte ihr seinen geliehen, da ihre Truhe mit samt ihren Kleidern im Feuer verbrannt war. Sie besass nur noch drei Kleider, die ihr jetzt nicht passten und ihr Nachthemd mit dem Seidenmantel. Daher hatte Alexander ihr ein Kleid einer etwas molligen Dienstbotin gebracht, welches sie nun unter dem dicken Fellmantel trug. Alec hatte ihr versichert sofort nach einer Schneiderin in London zu schicken, um sie neu einzukleiden, aber Isabella fand ihre Situation nicht besonders tragisch. Sie hatte lange Zeit in Dienstbotengewändern gelebt und fand sie ehrlich gesagt bequemer als manches Kleid der hohen Peerage. Alexander hatte daraufhin geschmunzelt und gesagt, dass er keiner anderen Frau in der Gesellschaft ein solches Kleid hätte bringen können, ohne von ihr zum Teufel gejagt zu werden. Bisher war kaum Zeit gewesen sich mit Alexander ernsthaft zu unterhalten und es würde voraussichtlich noch etwas dauern. Sie wollte ihre Angst loswerden und mit Alexander darüber sprechen, dass ihr die Geburt sorgen machte. Doch sie verkniff es sich, denn sie wusste, dass Alexander sofort alle Hebel in Bewegung setzen und sie zu einem Arzt bringen würde. Doch Elaine brauchte sie jetzt, es durfte nicht noch mehr Zeit vergeudet werden. Arac schnaubte und seine elegante Bewegung war selbst nach dieser anstrengenden Zeit, die er hinter sich hatte, nicht erlahmt. Sie strich dem stolzen Pferd über dessen Hals und er schnaubte erneut. Sie warf einen Blick nach hinten und sah die Männer, alle auf Pferden, hinter ihnen her traben. Rickard sass eingewickelt in einem Mantel auf seinem Roten. Seine Verletzungen waren immer noch deutlich in seinem Gesicht zu erkennen und Isabella fühlte auch, dass sein Wesen sich verändert hatte. Die Leichtigkeit, die ihn bisher umgeben hatte, war abgefallen. Er glich nun mehr seinem älteren Bruder. Beide waren sie für Aussenstehende schwer zu lesen und Alec war bisher immer der Düstere von beiden gewesen, hatte kaum jemanden nah an sich herangelassen, war immer kontrolliert. Obwohl Isabella glaubte, dass Rickard ein wenig mehr Ernsthaftigkeit gebrauchen könnte, so wurde ihr bei dem Gedanken, er hätte seine lockere Art gänzlich verloren, schwer ums Herz. Sie war überzeugt, dass Rickard diesen düsteren Zug nicht so gut ertragen konnte, wie Alec. Sie befürchtete gar er könnte sich, nachdem Elaine gerettet worden war, vollkommen zurückziehen und als Einsiedler leben wollen. Sie würde Penelope Beaufort einen Brief schreiben und sie und ihre Familie einladen, sobald sich die Lage in Surrey beruhigt hatte. Sie wollte nicht akzeptieren, dass die zarte Liebelei, die beide verbunden hatte, womöglich für immer vorbei war und sie vermutete, dass nur Penelope, in der er noch vor dem Krieg eine Gefährtin erkannt hatte, ihn aus dieser Lethargie befreien konnte.
„Stimmt etwas nicht?", fragte Alexander besorgt und warf ebenfalls einen Blick zurück. Isabella wurde aus ihren Gedanken gerissen und sah wieder nach vorne:
„Alles rechtens. Ich dachte nur... wenn hier alles vorbei ist und das wird hoffentlich bald der Fall sein, dann könnten wir doch", sie senkte ihre Stimme, da sie befürchtete der Wind könnte sie zu Rickards Ohren tragen, „die Beauforts nach Surrey einladen", schloss sie. Alec hüstelte:
„Du willst doch nicht Liebesbotin spielen?" Isabella zuckte mit den Schultern:
„Wieso nicht? Nach diesem furchtbaren Krieg und dem was uns zugestossen ist, könnten wir alle doch etwas Gesellschaft und Liebe gebrauchen, oder nicht?"
„Meinetwegen, aber ich bin mir nicht sicher, ob Rickard wirklich erkannt hat, wie gut Penny für ihn ist und nach dem letzten Desaster will ich ungern, dass sie noch einmal Tränen wegen ihm vergiessen muss", meinte Alec ernst.
„Natürlich, dass möchte ich auch nicht. Aber ich denke, Rickard hat seinen Fehler bereits erkannt... nur sorge ich mich, dass er nach den vergangenen Monaten und dem Leid glauben könnte, er hätte ihre Liebe nicht mehr verdient", sagte sie und blickte in die dunkeln Augen ihres Mannes. Der silberne Schatten wogte in seinem Blick. Nun war er es, der mit den Schultern zuckte:
„Wir werden ihr schreiben, sobald sich die Aufregung gelegt hat. Ausserdem", er lächelte sie an, „gibt es noch weitere Dinge, die es zu feiern gibt und ich gerne meine Freunde dazu einladen möchte. Selbstverständlich auch deine, wenn du willst." Isabella war überrascht:
„Was meinst du?" Alexander wirkte gespielt gekränkt:
„Da wäre zum einen unsere Hochzeit, oder empfindest du nicht, dass dies ein Grund zum Feiern ist?" Sie wurde etwas rot. Daran hatte sie in all dem Chaos um sie herum nicht gedacht. „Ich möchte der ganzen Welt erklären, dass du meine Frau bist. Leider war die Hochzeit im Lager alles andere als ein Fest und ich bin der Meinung du hast etwas Besseres verdient als diese Trauung."
„Das ist", ihr fehlten die Worte, „aber Alec ich wünsche nicht, dass wir zu viel Aufmerksamkeit erregen. Die Hochzeit ist schon länger her und"
„Und du erwartest bald unser Kind. Was übrigens der zweite Grund für ein Fest ist", meinte er und liess die Zügel von Arac etwas lockerer.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...