Kapitel 3

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Der Umweg, den sie eingeschlagen hatten, war Zeitaufreibend gewesen. Isabella war sich sicher, dass Rosco dies tat, um ihre Spuren zu verwischen, falls Alexander einen Boten geschickt haben sollte könnte dieser sie nun nicht mehr so einfach finden. Endlich hatte Rosco sich zufriedengegeben und schliesslich ihr Lager bei Buthbren, in der Nähe des Waldes, aufgeschlagen. Bei den kurzen Verschnaufpausen, die Rosco nur widerwillig eingelegt hatte, wendeten weder er noch Talbot etwas dagegen ein, als sie versuchte sich um ihre Männer zu kümmern. Der kräftezerrende Marsch hatte deutlich seine Spuren hinterlassen. Einige der Männer erlitten Fieber und Schüttelfrost. Der Hunger hatte sie ausgemergelt und auch die Wasserknappheit sah man ihnen deutlich an. Isabella musste sie mit Kräutern, die sie sammelte, verarzten. Als das Lager in Buthbren aufgerichtet war, wurden ihre Gefangenen erneut in einem Zelt abseits angekettet. Isabella hatte ein eigenes kleines Zelt erhalten, eine Pritsche und zwei Felle mit denen sie sich bedecken konnte. Talbot sorgte dafür, dass sie regelmässig etwas zu Essen bekam, auch wenn man nicht gerade sagen konnte, dass es viel oder noch geniessbar war. Isabella hätte selbst dieses Essen ihren Männern gegeben, doch sie dachte an ihr ungeborenes Kind und sie wusste, sie würde ihren Männern gar nicht mehr helfen können, wenn sie nicht genug für ihre eigene Gesundheit tat. So nahm sie die kärglichen Mahlzeiten oder das angegraute Brot und ass. Ihr lieber Onkel hatte die beiden Ketten für ihre Handgelenke und Füsse gefunden und sie ihr sofort angelegt. Triumphierend hatte er gelacht als die Fesseln zuschnappten und überliess sie wieder ihren tristen Gedanken im kalten Zelt. Jede Nacht fesselte er ihre Füsse zusammen mit einer Kette an einen Pfahl. Was Talbot allerdings nicht wusste war, dass sie den Schlüssel um ihren Hals trug und sich jeder Zeit aus den Ketten befreien konnte. Diese List nutzte sie beinahe jede Nacht. Sie kundschaftete das Lager aus, zählte die Wachen und beobachtete, welche der Wachen aufmerksam und welche eher unvorsichtig agierten. Zu ihrem Vorteil waren die meisten versoffene und verschlafene Gesellen. Gefährlich wurde es lediglich dann, wenn Rosco, Brody oder Ismael die Nachtwache übernahmen. Das Lager lag nicht weit entfernt von einem der grössten schottischen Seen überhaupt, dem Loch Lomond. Erinnerungen stiegen vor ihrem inneren Auge auf. Ganz auf der anderen Seite dieses riesigen Sees, dort wo das Seeufer schmäler wurde, hatte sie früher gebadet und gespielt. Sie sah ihre Eltern, Freunde, Pferde und Hunde auf der Wiese vor dem See herumtollen. Die Gegend war ihr vertraut und dies wollte sie zu ihrem Vorteil nutzen, wenn sie und ihre Männer flohen. In jeder Nacht hatte sie versucht eine Waffe zu stehlen und sie dann bei Gelegenheit in einer heruntergekommenen Ruine im Wald versteckt. Es waren mehrheitlich kleine Waffen wie Stilette, Dolche und Messer, die sie unter ihrem Rock entwendet hatte. Rickard und den anderen hatte sie noch nichts davon erzählt, da sie wusste sie würden versuchen sie von ihrem Vorhaben abzubringen. Doch davon wollte sie nichts wissen. Sie konnte nicht weiter abwarten und hoffen, dass Alexander den Krieg niederringen und dann ihnen zu Hilfe eilen würde. Die Zeit lief gegen sie und die Männer. Eine grosse Herausforderung stellte das Ziel ihrer Flucht dar. Im ersten Moment hatte sie an Argyll Castle gedacht, doch sie war überzeugt genau damit würde Talbot rechnen. Er würde bestimmt davon ausgehen, dass sie so töricht sein würde alle Vorsicht ausser Acht zu lassen und dort Zuflucht suchen könnte. Der Gedanke so nah an ihrem geliebten Zuhause zu sein, bei den Menschen, die ihr so viel bedeuteten und doch nicht zu ihnen eilen zu können, schwelgte wie ein riesiger Stein, der durch die Wasseroberfläche in die Tiefe hinab sank, in ihr. Zwei so unterschiedliche Schmerzen, Alec und Argyll in ihrer Brust zu fühlen, betäubten sie, wenn sie daran dachte. Wenn der Schmerz sie zu übermannen drohte, dann schüttelte sie ihn ab und arbeitete eifrig weiter an ihrem Plan. Es gab nur einen Ausweg; England. Sie mussten den Weg Richtung englischer Grenze einschlagen. Die Route, welche durch Glasgow führte, wäre mit einer Truppe englischer Soldaten, während England und Schottland im Krieg standen, allerdings nichts anderes als Lynchmord. Sie würden um Glasgow herum gehen müssen und dann von dort aus direkt nach Carlisle reisen. Und zu Isabellas entzücken kam der Zufall ihr zu Hilfe. Bei einem ihrer nächtlichen Spaziergänge durch das Lager belauschte sie zwei Wachen, die die Köpfe am Feuer zusammengesteckt hatten und darüber sprachen, dass sie ihren gefallenen Kameraden die letzte Ehre erweisen würden. Die Zeremonie würde abgehalten werden, doch keiner der beiden Männer sagte genau wann. Daraus resultierte ein weiteres Hindernis. Sie würde Augen und Ohren offenhalten müssen, damit sie diesen Zeitpunkt nicht verpassen würden. Und das hiess sie mussten jederzeit bereit sein. Isabella hoffte jedoch, dass sich die Zeremonie noch etwas hinauszögern würde, bis ihre Männer wieder bei Kräften wären und das Fieber überwunden hätten. Denn falls sie einen zurücklassen müssten, wäre dies sein sicherer Tod. Zu aller erst stand ihr allerdings noch die schwierige Aufgabe bevor, ihre Männer davon zu überzeugen, dass sie sich trennen müssten, wenn die Flucht erfolgreich sein sollte, da das Zelt der Gefangenen am Rande des Lagers in Richtung Wald stand. Es würde nicht weiter auffallen, wenn ihre Männer in den Wald schlichen, die Waffen in der Ruine an sich nahmen und sich dann durch den Wald vorschlugen bis zum Loch Lomond. Bei Isabella hingegen gestaltete sich dies schwieriger. Ihr Zelt lag inmitten des Lagers. Die kurzen Ausflüge um ihr Zelt in der Nacht, waren nicht weiter problematisch, aber sie könnte nicht durch das gesamte Lager spazieren, ohne aufzufallen und das würde die Fluchtchancen ihrer Männer mindern. Zudem müsste jemand bei Schwierigkeiten eine falsche Fährte legen und sie ablenken. Isabella wusste, dass Talbot sie noch lebend brauchte. Sie war die Einzige, die diese Aufgabe übernehmen konnte. Talbot sah in ihr eine Art Machtoptimierung für sich selbst und er konnte sie bestimmt noch reich verheiraten, möglicherweise versprach er sich damit eine bessere Stellung in der Londoner Peerage, da er sich in eine reiche englische Familie einkaufen konnte. Dies würde ihm und seiner Familie Zugang zu den Familientruhen anderer verschaffen. Das hatte er ihr deutlich zu verstehen gegeben. Er würde ihr Kind nach der Niederkunft zweifellos weggeben oder gar ertränken! Sie setzte sich auf ihre Liege und dachte an das letzte Gespräch mit ihrem Onkel. In einer Rast, die sie auf dem Weg hierher eingelegt hatten, hatte sie ihm genau beschreiben müssen, wo sie die Dokumente versteckt hatte. Talbot lehnte dabei am Karren mit den Toten und ihre Gefangen hatten sich ermüdet auf den Boden gesetzt. Isabella hatte angegeben, dass jenes in London unter der Brücke unter einem losen Stein in der Wand lag. In Surrey hatte sie das Dokument im Gartenhäuschen unter der Werkbank festgenagelt. Diese beiden Orte schienen Talbot noch nicht zu beunruhigen. Im Gegenteil, er war anscheinend überzeugt, dass er in Surrey einfach kurz vorbei gehen konnte, um das Dokument an sich zu nehmen. Aus diesem Grund würde er einen seiner Soldaten, sobald die Gelegenheit reif war, nach London und Surrey senden, er sollte die Dokumente besorgen. Carlisle hingegen war eine komplizierte Angelegenheit. Isabella hatte Talbot verraten, dass sie das letzte Dokument auf dem Wehrgang der Burg unter einem ebenfalls losen Mauerstein versteckt hatte. Dazu fiel ihm kein Plan ein und Isabella versuchte ihm erneut klar zu machen, dass sie dieses Dokument beschaffen müsste, denn dort würde keiner seiner Männer lebendig hinausgehen. Diese Bemerkung machte Talbot wütend. Seine knollige Nase wurde rot und eine grosse Ader erschien an seiner Schläfe. Doch eine Schlägerei zwischen zweier Söldner liess ihn die Wut auf Isabella vergessen und er richtete seine Aufmerksamkeit auf die beiden. Die Söldner hatten sich anscheinend wegen eines gejagten Hasen in die Haare gekriegt und trugen nun einen Faustkampf darüber aus, wer ihn getötet hatte. Rosco und seine Bande scharten sich als Schaulustige um die Kämpfenden und feuerten sie an. Talbot und seine Männer, die erst dazwischen gehen wollten, blieben nun in genügendem Abstand vor ihnen stehen und beäugten den Kampf skeptisch. Sie erschauerte noch jetzt, wenn sie daran dachte, wie sich die beiden verprügelt hatten. Blut spritze in alle Richtungen und Zähne wurden ausgeschlagen, bis einer der Söldner zu Boden sank und reglos liegen blieb. Der Mann hatte zwar überlebt, aber er hatte sich seither nur am Rande der Gruppe aufgehalten und ging seinem Rivalen eine Zeit aus dem Weg. Sie schloss ihre Augen. Diese Männer waren Bestien. Nichts schien ihnen heilig zu sein, selbst ihre Gemeinschaft war davon geprägt nur den Stärkeren vorzulassen, als sei alles nur ein Spiel, bei dem niemand zu Schaden kommen würde. Sie griff nach einem der Felle und zog es sich über die Beine.
„Ich hoffe nur dir geht es gut" flüsterte sie in die Dunkelheit ihres Zeltes und legte sich dann auf ihre kleine Pritsche.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt