Epilog - 1515, Juli, in der Grafschaft Surrey

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Isabella sass tief in die Sitzbank gelehnt und fächelte sich mühsam Luft zu. Es war ziemlich stickig und die Tatsache, dass die Sonne ihren Nacken anstrahlte, machte die Sache noch unerträglicher. Doch sie versuchte sich auf die Worte des Priesters zu konzentrieren und auf die beiden, die heute im Mittelpunkt standen. Im Grossen und Ganzen war sie bisher eigentlich recht tapfer gewesen. Zwar hatte sie diese Schwangerschaft nicht mit Übelkeit und Erbrechen gepeinigt, was durchaus wertvoll war, jedoch schien es Isabella, als wäre die gesamte Last um einiges schwerer. Schnell war ihr Bauch gewachsen und hatte sie früh gehindert irgendwelchen Tätigkeiten nachzugehen, geschweige denn gemütliche Ausritte mit Dona zu unternehmen, die ihr Alexander schlussendlich verboten hatte. Natürlich würde Alexander nun sagen, schliesslich bekam sie in dieser Schwangerschaft genügend Essen und deshalb konnte sich das Kind auch besser entwickeln. Aber in diesem Moment, Schweiss rann ihre Stirn hinab und bahnte sich als Rinnsal zwischen ihren Brüsten hindurch, konnte sie dieser Gedanke kaum trösten. Ihr Blick wanderte zu ihrem Mann. Er stand etwas hinter Rickard und die Sonne tauchte sein Gesicht in helles Licht. Sie hielt mit ihrem Fächer inne. Die Tatsache, dass sie nun ihr zweites Kind erwarteten und Alec von Beginn an dabei sein durfte, sorgte dafür, dass sie in letzter Zeit ausnahmslos rührselig wurde. Alexander war ein vollendeter Vater. Seine Geduld kannte kaum Grenzen bei seinem Sohn. Gestern Nacht hatte er ihr anvertraut, dass er sich sehnlichst eine Tochter wünschen würde, damit er eine kleine Version von Isabella in den Armen halten könnte.
„Wollt Ihr Rickard Ramsey", erschallte die sonore Stimme des Priesters, der Rickard anwies sein Gelübte vorzutragen. Isabella begann wieder zu fächern und ihre Augen verweilten auf Penny. Deren Wangen glühten vor Aufregung und ihre Unterlippe schien leicht zu zittern als sie mit ihrem Gelübde beginnen musste. Dann trat Alexander vor und setzte seine Unterschrift unter jene der beiden. Der Priester forderte den Bräutigam auf sein Lippenbekenntnis von seiner frisch Angetrauten einzufordern. Rickard senkte seine Lippen auf Pennys Wange und die Gäste im Kirchenschiff riefen ihre Glückwünsche. Als das Brautpaar sich umwandte und zwischen den Stühlen durchschritt, strömte die Menge aus Gästen zu ihnen und geleitete die frisch Vermählten tröpfchenweise nach draussen. Isabella atmete erleichtert auf als sie eine sanfte Brise über ihr Gesicht tanzen spürte, die durch die weit geöffneten Kirchentore strömte. Zwei wohlgeformte Beine traten in ihr Blickfeld. Der elegante Seidenstoff schlang sich eng um seine Schenkel. Er reichte ihr seine Hand, die sie dringend nötig hatte:
„Möchtest du dich ausruhen?", fragte er, während er sie musterte. Sie schüttelte jedoch den Kopf und liess sich von Alec aus der Kirche führen. Die frische Luft tat ihr unglaublich wohl. Alexander winkte eine der Kutschen zu sich, die die Gäste zurück nach Surrey fuhren. Gemütlich ruckelten sie zurück, während Isabella den Brief von Maud aus ihrer Innentasche des Kleides zog und ihn Alexander hinhielt. Ihre Tante hatte angekündigt, wann sie in London eintreffen würden und dieses Mal würden alle die Reise antreten können. Isabella sah das Herrenhaus seit ihrem Weggang zum ersten Mal wieder, denn die letzte Nacht hatten sie in einem Gasthof verbracht und sie würden erst ab heute für einige Tage in Surrey verweilen. Rickard hatte einige Neuerungen vorgenommen, so wie ihr Penny in einem ihrer Briefe geschrieben hatte. Die Gemächer des Earls und der Countess hatte er umgestalten lassen, sie entsprachen nun dem neusten Stil aus Spanien. Sie war äusserst gespannt, wie die Gemächer nun aussahen. Doch das würde sie vermutlich erst morgen sehen können. Die Kutsche hielt auf dem Vorplatz und Alec half seiner Gattin hinaus. Er führte sie an der Eingangstür vorbei und lief mit ihr zum Gartentor. Gemeinsam schritten sie über die Wiese bis Alexander abrupt inne hielt. Isabella verlor beinahe das Gleichgewicht und folgte dann seinem Blick. Sie konnte es kaum fassen. Dort wo einst die Büsche zum kleinen geheimen Garten gewesen waren, gab es nun einen Durchgang aus Rosenhainen, der hinabführte und in den Garten mündete. Voller Erstaunen traten sie näher und bewunderten ihn. Rickard hatte ihn vollkommen neu herrichten lassen. Die Schaukel hatte er repariert und die Bank mit den Namen der Familie war augenscheinlich erneuert worden. Schmetterlinge tummelten sich über den Blumen und Vöglein zwitscherten einem aus den Baumkronen hinab. Alexander drückte ihre Hand und sie sah in seine dunklen, mitreissenden Augen. Ein unglaubliches Lächeln glitzerte darin. Nachdem sie eine Weile in alten Erinnerungen geschwelgt waren, drängte Isabella Alec zum Festzelt zu gehen. Sie wollte nichts von der Feier verpassen, die Rickard mehr als alles verdient hatte. Weisse Zelte waren hinter dem Haus aufgebaut worden, in denen Molly und Carson mit ihren Dienstboten bereits die ersten Erfrischungen reichten. Die Dienstboten waren um einige Dutzend angewachsen, da das Haus nun wieder rege genutzt wurde und das County dank den Bauern solide Gewinne abwarf. Ausserdem hatte Rickard in weiser Voraussicht für die Dienstmädchen, denen er einmal nachgestellt hatte, eine andere Anstellung gesucht oder ihnen eine mehr als angemessene Abfindung bezahlt, damit sie in einer anderen Grafschaft ihr Glück fanden. Amelia, hatte ihr Molly verraten, war die Erste die Surrey verlassen hatte. Sie hatte sich für die Abfindung entschieden. Carson und Molly waren über die Aufstockung der Dienerschaft äusserst entzückt gewesen, da sie nun den Haushalt endlich wieder so führen konnten, wie es sich für das Haus eines Peers gehörte. Und das sah Isabella Carson regelrecht an. Sie hatte ihn selten mit solch unbändigem Enthusiasmus erlebt. Isabella setzte sich auf einen Stuhl und sah sich im Zelt um. Die gesamte Familie Beaufort umzingelte soeben das Brautpaar, um ihnen Glückwünsche zu überbringen. John und Marie, die immer noch mit einem cremefarbenen Seidentaschentuch ihre Augen betupfte, Alana mit ihrem Mann Peter Danforth und ihrem einzigen Sohn Albert und ihre Zwillingsschwester Diana, sie war Witwe und hatte nach dem Tod ihres Mannes Viktor nicht mehr geheiratet. Ihr Gatte war vor einigen Jahren an Typhus erkrankt und gestorben. Auch Maximilian und Catherina hatten sich in die Schar gewagt und schüttelten Penny und Rickard die Hand. Ganz leicht war die Wölbung ihres Bauches durch das Kleid zu sehen. Sie beide erwarteten ihr erstes Kind. Philipp stand mit seinen jüngeren Schwestern Elenore und Claire hinter all den anderen. Die beiden Frauen wirkten auf Isabella missgelaunt und sie mutmasste, dass sie schwer daran zu knabbern hatten, da ihre jüngere Schwester vor ihnen geheiratet hatte. Elaine und Thomas lösten sich gerade aus der Menge und steuerten auf Isabella zu. Sie waren nun offiziell verlobt und Alec hatte ihnen angeboten die Hochzeit im nächsten Jahr auf Carlisle ausrichten zu lassen, was die beiden gerne angenommen hatten. Die kühle Brise trocknete Isabellas nasse Stirn. Sie klappte ihren Fächer zusammen und legte ihn neben ihren Teller auf den Tisch.
„Es war wundervoll", schmachtete Elaine und setzte sich an den Tisch. Thomas schob ihr den Stuhl zurecht. „Penny sieht einfach bezaubernd aus", schwärmte sie und warf noch einmal einen Blick auf die Braut.
„Isabella geht es dir gut?", fragte Thomas und runzelte seine Stirn. „Du wirkst so blass." Elaine wandte ihre Aufmerksamkeit auf ihre Schwägerin:
„Thomas hat recht... können wir etwas tun?", fragte sie nach, streckte ihre Hand aus und fasste Isabellas Finger. Doch gerade kam Alec zwischen den Gästen hindurch und hielt ihr ein Glas hin:
„Cidre für dich meine Liebste." Dankbar griff sie danach und liess die wohltuende Flüssigkeit ihre Kehle hinab fliessen. Durstig leerte sie den süsslichen Cidre und stellte dann das Glas ab.
„Vielen Dank Liebster, jetzt fühle ich mich tatsächlich besser." Alec schmunzelte und hauchte ihr einen Kuss an die Schläfe, doch Elaine und Thomas wirkten skeptisch. Isabella schnaubte: „Es geht mir gut", betonte sie.
„Keine Sorge", mischte sich Alec ein und zog einen Stuhl zu sich, „ich werde bald dafür sorgen, dass meine wunderschöne Isabella sich in unserem Gemach ausruht, nicht wahr?" Dabei lächelte er schief und strich ihr liebevoll eine Haarsträhne hinters Ohr. Isabella wusste, dass er recht hatte und ihr ein paar Stunden Ruhe sicherlich guttun würden.
„Dann werden wir uns nicht weiter sorgen", versprach Elaine nun etwas beruhigter. Im Hintergrund war nun leise Musik zu hören und Thomas erhob sich sofort:
„Würdest du mir die Ehre erweisen, meine Verlobte?" Alecs Schwester grinste breit, sodass ihre Backen rötlich hervorstachen und legte ihre Hand in seine Dargebotene.
„Werde ich mich je daran gewöhnen?", murrte Alec neben ihr, während sein Blick den beiden auf die Tanzfläche folgte. Isabella kniff ihn leicht in den Arm:
„Du wirst es müssen", doch sie lächelte dabei und Alec nahm ihre Hand. Es fühlte sich einfach nur richtig an. Nach allem was sie erlebt hatten, dürften sie nun den Rest ihres Lebens gemeinsam verbringen und ihre Kinder aufwachsen sehen. Sie war noch nie in ihrem Leben so glücklich gewesen. Ihr Blick glitt wieder zu Rickard und Penny, die sich endlich aus der Menschentraube befreit hatten und nun zu tanzen begannen. Alexander kam näher und lenkte sie mit einem Kuss von den beiden ab. Doch was ihrer Glückseligkeit noch weiteren Auftrieb verschafft hatte, war die Zustimmung des Königs gewesen, die Alexander vor kurzem erhalten hatte. Er hatte ihm erlaubt die Ländereien in den Highlands anzunehmen und sich dort als Chieftain erheben zu lassen. Damit wäre die erste Hürde überwunden und bald würden Robert und Maud wieder ganz nach Schottland zurückkehren und ihre Familie wäre endlich vereint.
„Lass uns eine kurze Pause einlegen", flüsterte Alec gerade an ihrem Ohr und zog sie mit sich aus dem weissen Zelt. Sie umfing seine Hand und liess sich von ihm wegführen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt