Kapitel 4.7 - Wundbrand

442 36 1
                                    

Isabella wurde still. Der Gedanke an ihre Anschuldigung schnürte ihr die Kehle zu. Mühsam fragte sie:
„Was ist... was ist mit der Anschuldigung von Talbot?" Alec hielt inne:
„Du weisst natürlich noch nichts davon! Verzeih mir Liebste. Der König ist tot." Isabella riss ihre Augen auf:
„Das ist unmöglich!", rief sie erstaunt.
„Ich selbst habe seinen Leichnam nach London gebracht und an der Totenfeier teilgenommen. König Henry VIII ist getötet worden und auch der schottische König ist in der Schlacht gefallen." Isabella schlug sich ihre Hand vor den Mund. Was für Neuigkeiten, die sie nun erreichten! Beide Königreiche waren führerlos.
„Und was geschieht nun? Aber wir können den Verdacht doch nicht unausgesprochen lassen... wenn der neue König oder das Parlament"
„Ich habe alles geregelt. Es wird einen neuen König geben. Doch es ist noch nicht offiziell verlautbart worden. Ich habe unsere Ehe vor dem kleinen Rat, die höchste Instanz neben dem König, vorgelegt. Sie haben sie geprüft und auch die vermeintliche Anschuldigung du seist eine Spionin. Sie haben darüber beratschlagt und sind zu dem Schluss gekommen, dass die Beschuldigung von Lord Westmorland unhaltbar sind und du keine Spionin bist." Isabella fiel ein grosser Stein vom Herzen. Sie war von dem Verdacht befreit und sie und ihr ungeborenes Kind hatten nichts zu befürchten. „Und unsere Ehe haben sie als Friedenssymbol beider Königreiche gedeutet. Was übrigens auch im weitesten Sinne der Gedanke von König Henry VIII gewesen wäre." Isabella hob ihre Augenbraue und Alec antwortete darauf: „Ich habe schon während des Krieges mit dem König gesprochen", er unterbrach sich und fuhr dann fort, „nun ja ich bin mir sicher, er hätte letztendlich zugestimmt, wenn ich darum gebeten hätte mir deine Hand zu überreichen. Da ich immerhin der erste Hauptmann war."
„Also... er war einverstanden mich mit dir zu verheiraten?"
„Jaa... nun, er hat reges Interesse an dir gezeigt und dachte eine Verbindung von dir mit einem englischen Lord wäre für die weitere Zusammenarbeit wohl ein gutes Zeichen. Er wusste jedoch noch nicht, dass ich dich schon geehelicht hatte und du in anderen Umständen bist. Ich habe mir erlaubt, diese Botschaft erst dann zu verkünden, wenn dein Ruf reingewaschen oder der Krieg vorbei war."
„Das war ja ziemlich waghalsig und töricht!", sagte sie erschüttert. „Er hätte dich viergeteilt, wenn er anderer Ansicht gewesen wäre und mich doch für eine Spionin gehalten hätte." Alec grinste nur und ging nicht weiter darauf ein. Sie kamen gerade in ein Dorf und Alec wies alle an abzusteigen und sich im kleinen Schankhaus zu verköstigen. Danach ritten sie weiter nach Norden. Je länger der Ritt dauerte, umso stärker bemerkte Isabella, dass etwas mit ihr nicht stimmte. Eigenartigerweise begann sie teilweise zu glühen, Schweissperlen traten auf ihre Stirn und sie hielt es in dem warmen Fellmantel kaum mehr aus. So plötzlich wie es gekommen war, schlug es in die andere Richtung. Sie begann zu zittern und zog den warmen Mantel dichter um sich herum. Alexander beäugte sie kritisch, doch sie versicherte ihm, dass es bestimmt nur an ihrer Müdigkeit lag und er sich keine Sorgen machen musste. Was sicher nicht gelogen war. Eine starke Müdigkeit hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie schlief immer mehr auch während des Tages. Alexander hielt sie dann fest an seine Brust gedrückt. Möglicherweise hätte sie selbst felsenfest an die Begründung, es sei nur ihre Müdigkeit, geglaubt, wenn nicht vermehrt ein immer stärkeres Ziehen und Pochen von ihrer rechten Hand ausgegangen wäre. Die Hand war permanent heiss und es fiel ihr zunehmend schwer sie zu bewegen. Jede Berührung brannte sich in ihre Haut und eine merkwürdige Steifheit hatte ihren Unterarm befallen. Sie hatte ihre Hände in Handschuhe gepackt und dadurch waren sie vor der Kälte und vor neugierigen Blicken geschützt. Am dritten Tag ihrer Reise, als das Ziehen in der Hand einen neuen Höhepunkt erreichte, sah sie sich gezwungen die Hand genauer zu betrachten. Als sie kurz im Wald war, um sich zu erleichtern, zog sie ihren linken Handschuh ab und begutachtete die Rechte. Die Hand wirkte ungewöhnlich dick und die Nähte an den Rändern des Handschuhs waren gespannt. Mit grosser Kraft und unter starken Schmerzen schaffte Isabella es den engen Handschuh abzustreifen. Die Handinnenfläche war stark gerötet und geschwollen, ebenso wie ihre Finger. Die Wunde hatte begonnen zu eitern. Schon die leichteste Bewegung mit ihren Fingern entriss ihr ein Stöhnen. Dies war kein gutes Zeichen. Wenn sie nicht bald ärztlich versorgt würde, könnte sie gar ihre Hand verlieren. Sie hörte hinter sich Schritte. Rasch wollte sie den Handschuh wieder überziehen, doch sie konnte die geschwollene Hand unmöglich wieder hinein quetschen. Sie zog den Handschuh soweit es möglich war über ihre Hand und verbarg den Arm tiefer in dem langen Ärmel. Ein Soldat kam an ihr vorbei, nickte und lief tiefer in den Wald. Noch einen Tag galt es zu überstehen und mit diesem Gedanken kehrte sie zur Gruppe zurück. Einige Stunden später musste sich Isabella eingestehen, dass sie fiebrig war. Ihre Sicht war teilweise verschwommen und sie verlor ab und an ihr Bewusstsein, schreckte dann wieder hoch und war überzeugt Alec hätte sie ertappt. Ihre Mundhöhle trocknete aus, doch mehr trinken konnte sie nicht. Sie hatte sowieso das Gefühl, dass sie wegen ihren Pausen schon zu oft angehalten hatten. Sie sass mit geröteten Wangen vor Alec und genoss noch so jedes kleine kalte Windchen, das über ihre heissen Wangen fuhr. Ihre letzte Kraft wendete sie dafür auf, sich aufrecht auf Arac zu halten und wenigstens, wenn Alec sie ansah, ein gesundes Gesicht zu zeigen. Die Nacht wich zum dritten Mal dem Morgenschein und Isabella hatte es kaum wahrgenommen. Die letzten Stunden hätten für sie auch Minuten sein können. Alexander reckte sich hinter ihr und flüsterte:
„Wir haben Surrey erreicht. Es dauert nur noch wenige Augenblicke dann kannst du das Herrenhaus sehen." Isabella erwachte aus ihrem Delirium und mobilisierte ihre letzten Kräfte:
„Grossartig", sagte sie mühsam und lehnte sich wieder an seine Brust. Als sie das nächste Mal ihre Augen öffnete. Sah sie das Herrenhaus, wie es von seinem Hügel hinunter ragte und so aussah, wie damals, wo sie es verlassen hatten. Sie ritten alle am Pferdestall vorbei und kamen auf den Vorplatz des Hauses. Alec liess seinen Blick umher wandern und sagte dann etwas leiser: „Seid gefasst, möglicherweise erwartet er uns." Die Männer nickten und stiegen von ihren Pferden. Sie spürte, wie auch Alec hinter ihr absprang und in ihr Blickfeld trat. „Komm lass mich dir helfen", meinte er. Isabella versuchte seine Worte in ihrem Kopf zu ordnen. Ihr war schwindelig und ihre Zähne kribbelten. Sie blinzelte, wohl zu viel als gewöhnlich, doch Alexander konnte es nicht sehen.
„Alec", sagte sie leise, „geht schon. Deine Schwester braucht dich. Ich komme klar", meinte sie so selbstbewusst, wie es ging. Alec hielt inne und musterte sie:
„Isabella", meinte er, aber Isabella setzte ein Lächeln auf:
„Ich werde hier bei den Pferden bleiben und auf dich warten." Alle Zuversicht, die sie hatte, lag in ihren Worten. Er wandte sich um:
„Seid ihr bereit?" Die Männer nickten, zogen ihre Schwerter und marschierten auf die Eingangstür zu. Alexander warf noch einmal einen Blick zu Isabella hoch und folgte dann seinen Männern. Isabella stützte sich auf Aracs Hals, damit sie nicht ihr Gleichgewicht verlor, bis sie die Männer in der Tür verschwinden sah. Dann sackte sie etwas nach vorne. Arac tänzelte ein wenig. Sie atmete einmal tief durch und schwang sich von Arac. Isabella rutschte an seinem Hals entlang, da sie nicht im Stande war ohne Hilfe von ihm zu steigen. Ihre Füsse berührten den Boden. Schwer kamen sie ihr vor. Noch immer klammerte sie sich an Arac fest. Das Pferd schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Er begann zu wiehern und schnaubte sie unablässig an. Isabella versuchte ihren Griff an dem seidenen Hals zu lösen. Sie schwankte stark. Ihr Kopf wirbelte und sie konnte keine klaren Konturen mehr erkennen. Kalter Schweiss trat auf ihre Stirn. In ihren Ohren begann ein leises Surren und wuchs stetig an. Gleichzeitig verstärkte sich das Kribbeln in ihren Zähnen. Ihr Blick schränkte sich allmählich ein, so als würde sie durch eine immer kleiner werdende Höhle starren. Einen Augenblick stand sie, ohne Aracs Hals, neben dem Pferd, ihr Blick auf das Haus gerichtet, unmöglich noch ein Wort von sich zu geben, geschweige denn zu rufen. Um sie wurde es schwarz. Isabella fiel seitwärts zu Boden und blieb reglos liegen.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt