An einem Abend, Alec hatte sich mit Mister Larraby ins Arbeitszimmer zurückgezogen, sass sie im Blauen Salon. Elaine war auf ihrem Sessel vor dem Kamin eingeschlafen und Robert wiegte Dustin. Maud hatte sich gerade hingesetzt und blickte sie an. Leise begann sie:
„Was ist los Isabella? Alexander und du, ihr wirkt seit Tagen sehr bedrückt. Obwohl du dir aller grösste Mühe gibst es zu verbergen", die blauen Augen ihrer Tante schienen sie zu durchbohren. Obwohl schon einige Wochen vergangen waren, so konnte sie es manchmal noch gar nicht glauben, dass sie ihre letzten Verwandten gefunden hatte und somit auch einen Teil ihrer Eltern. Isabella schwenkte ihren Blick auf Robert und dann auf die schlafende Elaine:
„Es ist alles ein wenig verzwickt... sicher habt ihr mitbekommen, dass Alec seine Stiefmutter festhält." Robert hielt inne und sah nun Isabella an.
„Das haben wir", sagte Maud bestätigend.
„Sie hat sich irgendwie merkwürdig verhalten, während Alec im Krieg war. Elaine hat ihre Unsicherheiten in einem Brief mitgeteilt. Ich kann nicht gerade sagen, dass das Verhältnis zwischen Alexander und seiner Stiefmutter Alice je harmonisch gewesen war, allerdings... haben sie sich geduldet." Maud blickte sie mitfühlend an und ergriff ihre Hand:
„Das klingt unangenehm und was genau hat zur jetzigen Situation geführt?"
„Das ist das was wir nicht verstehen", sie warf noch einmal einen Blick auf Elaine, „als wir hier eintrafen waren Talbot und seine Männer schon da... niemand, auch ich nicht, hätte damit gerechnet, dass Talbot einfach hier ins Herrenhaus hineinspazieren kann. Wir dachten alle... er würde Elaine und Alice etwas antun. Nur das hat er nicht." Robert runzelte die Stirn:
„Er hat sie alle verschont, obwohl sie ihm das letzte Dokument nicht übergeben konnten?" Isabella nickte:
„Und dann hat Alexander bevor er Talbot", sie machte eine verheissungsvolle Geste und fuhr dann fort: „Er hat ein Gespräch zwischen ihm und Alice mitgehört. Er sprach vertraut mit ihr... als würden sie sich kennen." Robert und Mauds Gesichter nahmen einen merkwürdigen Ausdruck an. Beide warfen sich einen flüchtigen Blick zu und sahen dann ernst zu Isabella. Sie sprach weiter: „Aber Alice meinte sie hätte ihn einmal in Frankreich kennengelernt."
„Du sagst Alexanders Stiefmutter heisst Alice? Und sie schien George Talbot zu kennen?" Wieder warfen sich die beiden einen vielsagenden Blick zu.
„Ich verstehe nicht ganz?", erwiderte Isabella und blickte sie eindringlich an. Maud schnaubte verunsichert und sagte dann:
„Und Alice de Warenne hat in Frankreich gelebt?" Isabella nickte ungeduldig. „Weisst du, wie sie zuvor mit Familiennamen hiess?" Diese Frage war so ungewöhnlich, dass Isabella zuerst darüber nachdenken musste. Wieso war das wichtig?
„Buvette", erinnerte sich Isabella. Molly hatte es ihr irgendwann einmal erzählt. Maud schien es die Sprache verschlagen zu haben. Ihre Augen waren weit aufgerissen und schockiert. Roberts Gesicht war undurchdringlich. „Was bedeutet dies?", verlangte Isabella sofort zu wissen. Maud schien ausser Stande diese Frage zu beantworten, also sprach Robert:
„Alice Buvette oder nun de Warenne, ist George Talbots kleinere Schwester." Damit hatte sie nicht gerechnet. Schwester?!
„Sie ist meine Tante? Das ist nicht wahr! Alice de Warenne hat gesagt, sie sei in Frankreich aufgewachsen, ihre Eltern seien früh verstorben und so lebte sie bei entfernten Verwandten." Doch Maud schüttelte energisch den Kopf:
„Nein, George Talbot hatte zwei Schwestern. Deine Mutter Anne und deine Tante Alice. Sie hat tatsächlich ein paar Jahre in Frankreich gelebt, weil", sie hielt inne, „nun ja, weil ein Skandal die Familie erschüttert hatte. Deswegen haben sie ihre letzte noch unverheiratete Tochter weit weggeschickt, damit sie nicht damit in Berührung kam."
„Was für ein Skandal?" Isabella senkte nun wieder langsam die Stimme, da sie verhindern wollte, dass Elaine erwachte.
„Das weisst du natürlich nicht", meinte Maud. „Deine Mutter ist nach Schottland geflohen, als sie fünfzehn war. Francis und Marianne Talbot, deine Grosseltern, haben ein Arrangement getroffen mit einer der reichsten und mächtigsten Familien Englands", sie stockte, „deine Mutter hat nie gesagt wer die Familie war, aber als Robert und ich auf dem Kontinent waren, da haben wir es erfahren... wir waren sehr überrascht als wir den Namen deines Ehemannes erfuhren." Isabella schüttelte ungläubig den Kopf, aber Maud sprach weiter: „Sie hatten eine arrangierte Ehe zwischen deiner Mutter Anne und dem Erben John de Warenne vorgesehen."
„Meine Mutter hätte Alecs Vater heiraten sollen?!" Sie war bestürzt. Isabella dachte an den geschwächten alten Mann im Bett und daran, wie alles gekommen wäre, hätte ihre Mutter ihn geheiratet. „Was ist dann geschehen?"
„Deine Mutter hat gesagt, dass sie den Mann gemocht hatte und sie so etwas wie Freunde waren, aber er hätte sich schon in ein anderes Mädchen verliebt und deine Mutter hatte nur geschwisterliche Gefühle für ihn übrig. Aber deine Grosseltern und auch sein Vater hatten auf die Ehe gepocht. Es wurde in der höheren Peerage von der Verlobung berichtet und die gesamte gesellschaftliche Entourage hatte auf die Einladung zur Hochzeit gewartet. Es wäre die Hochzeit des Jahres geworden. Der begehrte Junggeselle und Erbe eines beträchtlichen Vermögens würde endlich heiraten. Aber dazu kam es nicht. Deine Mutter und ihr Verlobter hatten sich geeinigt ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Er würde Hals über Kopf die Ehe mit dem Mädchen, das er liebte, schliessen und deine Mutter würde fliehen. Sie wusste, wenn sie nicht den Auserwählten ihrer Eltern heiraten würde, dann würde es nicht lange dauern bis ihre Eltern sie mit einem anderen ihrer Wahl zwangsverheirateten und dieser würde möglicherweise nicht ein solch edles Herz haben." Maud lächelte als sie sich erinnerte: „Deine Mutter hat immer gesagt, ihr Freund wäre ein gutherziger Mann und er habe ihr gar Geld mitgegeben und sie aufgefordert ihn zu kontaktieren, wenn sie Hilfe benötigen würde... Ich glaube als sie später meinen Bruder geheiratet hatte, da haben sie ihm das geliehene Geld zurückgeschickt. Mein Bruder hat deine Mutter so sehr geliebt", meinte sie etwas traurig. Schweigen breitete sich aus. Die Geschichte ihrer Mutter war noch unglaublicher, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte gewusst, dass ihre Mutter nach Schottland gekommen war, dort Duncan getroffen und sich in ihn verliebt hatte. Welch Ironie, schoss es ihr durch den Kopf. Ihre Mutter war aus England geflohen und hatte Zuflucht in Schottland gefunden und sie? Bei ihr war es genau umgekehrt. Maud unterbrach die Stille: „Dieses Ereignis hat für ein riesen Skandal in London gesorgt. Niemand konnte es glauben. Der begehrte Erbe heiratete heimlich eine andere und die wohlangesehene Tochter der Talbots flieht und heiratet drei Jahre später einen Schotten. Der Skandal war perfekt."
„Und aus diesem Grund haben sie Alice auf den Kontinent geschickt? Aber wieso haben sie später als der Skandal vergessen war, Alice nicht wieder als Tochter anerkannt?", fragte Isabella verwirrt.
„Darüber können wir nur spekulieren", meinte Robert. „Ich finde es allerdings interessant, dass zwar der erste Versuch einer Verbindung zwischen Talbots und de Warennes nicht gefruchtet hat, aber dann der Zweite." Schockiert war nicht einmal annähernd das Wort, welches ihre Situation beschreiben könnte. Alice de Warenne war in Wirklichkeit eine Talbot, Georges Talbots Schwester. Das alles liess sie in noch schlechterem Licht erscheinen, als es zuvor gewesen war. Hatte Alice tatsächlich versucht Alec und Rickard zu töten? Hatte sie es bei ihrem Vater geschafft? Und die wichtigste aller Fragen, wieso hatte sie es getan? Sie hätte unmöglich wissen können, bis zur Enthüllung Isabellas Maskerade, dass sie diejenige ist, die ihr Bruder landauf und abwärts gesucht hatte. Alice hatte geglaubt sie wäre nur eine gewöhnliche Dienstmagd gewesen. Isabelle erhob sich abrupt:
„Ich muss dies unbedingt meinem Gatten mitteilen", sagte sie zu den beiden und verliess eiligen Schrittes den Salon. Ihre Füsse trugen sie in den ersten Stock. An der Tür zum Arbeitszimmer klopfte sie an.
„Herein", kam es sogleich durch die Tür. Isabella schob sie auf. Mister Larraby und Alec sassen am Arbeitstisch und grübelten über Pergamenten. Schnell schritt sie zu Alecs Stuhl. Er schien ihre Nervosität zu spüren und erhob sich: „Was ist passiert?", fragte er ohne Umschweife.
„Alice de Warenne ist Talbots Schwester", platzte sie heraus. Gespanntes Schweigen. Mister Larraby erhob sich hastig:
„Das ist ja unerhört! Glauben Sie, sie hat alles mit ihrem Bruder geplant?" Isabella lief es kalt den Rücken hinunter. War sie an ihrer Entführung und an der Folterung Alecs Männer möglicherweise beteiligt?
„Das ist noch nicht alles... meine Mutter hätte deinen Vater ehelichen sollen, doch sie floh und dein Vater heiratete deine Mutter und die Talbots sahen in Alice erneut die Chance sich mit der de Warenne Familie zu verbünden", sprudelte sie hervor. Isabella hatte geglaubt, dass Alec diese Neuigkeit ebenso verblüffen würde wie sie, doch das tat es nicht. Alecs Miene war undeutlich als er sprach:
„Den zweiten Teil wusste ich bereits", gab er offen zu, und bevor Isabella fragen konnte, meinte er: „Das habe ich leider wieder vergessen in all dem Trubel. Ich erzähle es dir später", dann sah er zu Larraby, „Mister Larraby bitte ordnen Sie die Papiere. Ich werde gleich zurück sein." Er verliess angespannt das Arbeitszimmer.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...