Kapitel 5

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„Können Sie sich an etwas Ungewöhnliches oder Eigenartiges erinnern?" Mister Larraby sass im Arbeitssessel von Alexander, hielt die Feder in der Hand und überblickte ab und an seine Notizen. Etwas Ungewöhnliches...?
„Was meinen Sie damit?", fragte Isabella unsicher zurück. Sie sass vor dem grossen Schreibtisch auf einem Stuhl. Alexander lehnte mit dem Rücken am Bücherregal und hatte seine Arme verschränkt. Mister Larraby lächelte verständnisvoll und sagte:
„Nun etwas das Ihnen möglicherweise verdächtig erschienen ist, Sie aber in diesem Zeitpunkt nicht als solches erkannt haben." Sie überlegte. Es war schon lange her, erschien ihr wie aus einem anderen Leben. Sie sah zu Alexander:
„Da wären", sagte sie zögerlich, „die Unfälle." Alec hob den Kopf und sah sie an. Isabella wandte den Blick aber wieder Mister Larraby zu: „Ja die Unfälle... einzeln betrachtet mögen sie unscheinbar aussehen, aber insgesamt. Der Sturz von Carson oder derjenige von Rickard", meinte sie und Larraby begann auf seine Zettel zu kritzeln, „und dann wäre noch der Schuss. Man hat auf Alexander geschossen. Ich habe alle drei Ereignisse, wie alle Hausdiener, als schrecklich empfunden, aber sie waren doch sehr ungewöhnlich. Zumindest habe ich noch nie von so vielen schlimmen Unfällen auf einmal gehört", schloss sie.
„Jaa... ja", meinte Mister Larraby abwesend. Er schwieg für eine Weile und dann sagte er: „In der Tat, äusserst ungewöhnlich. Waren Sie dabei?", fragte er weiter.
„Nein... bei Carson Withfield traf ich kurz darauf ein und habe nach Hilfe geschickt." Sie überlegte weiter: „Bei Rickard und auch bei Alexander war ich nicht anwesend." Sie warf einen vorwurfsvollen Blick auf Alec: „Mein Ehemann war damals in Begleitung von Miss Brandon", sagte sie spitz. Alec hob die Brauen, erwiderte jedoch nichts.
„Hmm", meinte Mister Larraby erneut in seine Gedanken versunken. Er schien dieses Thema ausgeschöpft zu haben, denn nun fragte er: „Waren Sie jemals im Zimmer des Earls, John de Warenne?"
„Ja, einmal", erwiderte sie und konnte sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen.
„Haben Sie dort Ungewöhnliches bemerkt?" Sie dachte angestrengt nach. Beim Gedanken an diesen Tag, als sie im Zimmer des Earls gewesen war, schien sich etwas in ihrem Innern zu bewegen. Eine unangenehme Erinnerung, etwas das sie verwirrt hatte. Sie war im Gemach des Earls gewesen, sie hatte den Kamin angefeuert und dann?
„Ich weiss noch, dass ich den Kamin eingeheizt hatte", sagte sie nachdenklich. Larraby seufzte und schien mit seiner Befragung am Ende angelangt zu sein. Er legte seine Feder in die Halterung. Isabella starrte wie vom Donner gerührt die Feder an. Es sah aus, wie eine Lampe, eine Öllampe, so wie die Feder dort hing. Dann fiel es ihr ein: „Eine Öllampe!", rief sie verblüfft. Alec stiess sich von der Wand ab und trat auf sie zu. Isabella selbst war aufgesprungen: „Es stand eine Öllampe auf dem Nachttisch, aus der stieg weisser Rauch! Jetzt weiss ich es!", rief sie aufgeregt und die Einzelteile fügten sich zusammen. „Der Rauch eines Krähenaugenbaumes!" Die beiden Männer starrten sie verwirrt an, doch ihr Kopf spinnte in ihren Gedanken den roten Faden weiter: „Die Flecken auf meiner Schürze, es waren die einer Tollkirsche! Doch ich bin ganz bestimmt keiner hier begegnet... und ich kenne mich in der Flora aus." Alec schien bei der zweiten Aussage zu verstehen. Seine Augen weiteten sich und Larraby hakte nach:
„Was meinen Sie damit Mylady?" Sie sah Alec in die Augen und dann lehnte sie sich auf die Arbeitstischplatte:
„Ich will damit sagen, dass der Rauch eines Krähenaugenbaumes oder Brechnuss, der übrigens bitter schmeckt, äusserst giftig und tödlich ist. Ebenso, wie die Tollkirsche was allgemeiner bekannt ist. Als ich das Gemach des Earls verlassen hatte trug meine Schürze rote, fast gänzlich violette Saftflecken. Ich konnte sie nicht einordnen, aber jetzt!" Sie blickte ihren Ehemann an. Sein Ausdruck war hart geworden und er starrte ins Leere. Isabella streckte ihre Hand nach Alec aus. Seine war eiskalt und er zuckte mit den Fingern, als sie ihre darum schloss. Mister Larraby hingegen schien nun zu haben, was er wollte.
„Das ist Tatsache?" Isabella nickte. „Das wäre der Beweis. Bisher hatte ich nur schriftliche Zeugnisse und die Aussagen der Diener haben mich nicht weiter gebracht... Wer hat den verstorbenen Earl of Surrey betreut?", fragte er und sah nun Alexander an. Er hatte seine Kiefer aufeinandergepresst und antworte mechanisch:
„Meine Stiefmutter und ihr Diener Moris. Sie wollte ihn speziell für die Pflege meines Vaters", er machte eine Pause. „Mich und Rickard können Sie ausschliessen." Isabella blickte ihn an. Hatte der Anwalt geglaubt, Alec oder Rickard hätten ihren Vater vergiftet?! Aber Alec fuhr fort bevor sie etwas äussern konnte: „Natürlich hätte jeder Bediensteter Zugang zu den Gemächern meines Vaters gehabt, aber ich traue keinem meiner Dienstboten eine solche Tat zu." Isabella schluckte. Sie sah die beiden Männer an:
„Du glaubst", sie wagte es kaum auszusprechen, „Moris, der Diener deiner Stiefmutter hat... hat versucht...?" Sie konnte den Satz nicht beenden. Es erschien ihr zu grausam und absurd. Alec schnaubte ironisch. Isabella wich die gesamte Farbe aus dem Gesicht. Er glaubte doch nicht, dass es seine Stiefmutter war? Sie wollte intervenieren, sich auf Alice de Warennes Seite schlagen, aber dann fiel ihr Alices Überfall auf sie ein. Welche Worte sie gesprochen hatte. Konnte es möglich sein? Hatte sie aus Furcht ein solches Verbrechen begangen? Ihre Stimme war hohl als sie sprach: „Aber... wieso hätte sie so etwas Schreckliches tun sollen?" Sie begegnete Alecs Blick. Schmerz schimmerte in seinen gütigen Augen. Isabella zog ihn zu sich und liess ihn auf den Stuhl niedersinken. Eagan Larraby hatte sich ebenfalls wieder gesetzt. Es schauderte sie am gesamten Körper. Es ergab keinen Sinn. So wie Alice ihr gegenüber gesagt hatte, wollte sie nur Elaine und sich schützen. Aber vor was? „Sie wollte nur Elaine und sich schützen", murmelte sie, „aber wenn sie deinen Vater getötet hätte, hätte es genau das bewirkt vor dem sie sich gefürchtet hatte... es ergibt keinen Sinn", sagte sie matt. Nun räusperte sich Mister Larraby:
„Nun ja... Lady Cumberland, Sie lassen die drei Unfälle ausser Acht."
„Aber wieso hätte sie Carson töten sollen?", fragte Isabella erhitzt. Larraby zuckte mit den Schultern und erneut breitete sich Schweigen aus. Alec hatte seine Ellenbogen auf den Knien abgestützt und schien nachzudenken. In ihr kämpften die Abneigung vor Alice und ihrem Wesen, gegen das Erbarmen das zweifellos in jedem Menschen und vor allem in einer Ehefrau stecken musste.
„Carson war vermutlich ein Unfall", sagte nun Alec und hob langsam wieder seinen Kopf, „das heisst vermutlich hätte es mich oder Rickard treffen sollen, aber Carson ist leider dazwischen gekommen. Ich will hier keine Verleumdungen anstellen", meinte er bitter und Isabella wusste, was er dachte. Betretenes Schweigen legte sich auf sie alle nieder.
„Lady de Warenne gibt es sonst noch etwas?", fragte der Anwalt.
„Nein", korrigierte sich jedoch sofort: „ja, ich empfand ihr Verhalten am Todestag des Earls merkwürdig. Aber nun... in Anbetracht dieses Verdachts. Die Witwe de Warenne hat an jenem Morgen gesagt, sie hätte den Earl of Surrey zuletzt am Morgen zuvor besucht... sie hat gelogen. Ich habe sie zufällig an jenem Morgen aus dem Gemach kommen sehen, als ich... ich", sie sah zu Alec. An diesem verhängnisvollen Morgen war sie früh aus Alecs Räumlichkeiten geschlichen, damit kein Verdacht aufkam. Alec schien es zu dämmern und er nickte. „Nun Alice de Warenne war dort", meinte sie mit bestimmter Stimme. „Ich habe mir nichts dabei gedacht."
„Ich will Klarheit." Alexander erhob sich. Mister Larraby nickte:
„Damit wird es zu einer Sache, die im Court of Kings Bench vom König selbst verhandelt werden muss", meinte der Anwalt und räumte seine Pergamente zusammen. Alec nickte:
„Damit wären es schon zwei Angelegenheiten."
„Wie wünscht Ihr vorzugehen Lord de Warenne?", fragte Larraby als er hinter dem Schreibtisch hervortrat.
„Ich will eine erneute Befragung mit der Witwe Lady Surrey durchführen. Dieses Mal seid Ihr anwesend und protokolliert sie. Wenn die Anhörung vor dem König ansteht will ich, dass alles seine Richtigkeit hat. Wir werden uns darauf vorbereiten." Er nahm Isabellas Hand und gemeinsam verliessen sie das Arbeitszimmer. Alec gab sich allerlei Mühe seinen Kummer vor Isabella zu verbergen, doch sie wusste es.


Heute ein weiteres Kapitel, viel Freude damit und hoffentlich interessante Spekulationen 😃

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt