Kapitel 1.4 - Vae victis!

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Eine halbe Stunde später ritten er und Thomas auf ihren Pferden aus dem Fort und führten seine Männer an. Ihr nächstes Ziel war Arcioldun, dort sollten sie unter anderem James und seine beiden ersten Offiziere wieder antreffen. David Brandons Armee würde von Duns her zu ihnen stossen. Sie würden erneut die erste Front bilden und den Angriff steuern. Die zweite Front mit dem König würde erst einige Tage später zu ihnen aufschliessen, denn ihre Aufgabe war es, ihnen den Rücken zu schützen und dafür zu sorgen, dass die Schotten sich nicht erneut in das bereits eroberte Gebiet einschlichen. Er dachte an Isabella. Sie war nun auf einheimischem Boden und wäre wahrscheinlich vor Übergriffen ihres Volkes geschützt. Wenn die Schotten in sein Lager einbrechen sollten, wäre ihnen schnell klar, dass sie eigentlich die Gefangene von de Warenne war. Deshalb hatte er Isabella erneut die Fussfessel angelegt, die Kette mit dem Schlüssel hatte er bei ihr im Zelt zurückgelassen. Sie sollte sich befreien können, wenn Gefahr drohte. Nun versuchte er sich auf das Bevorstehende zu konzentrieren. Schliesslich war nichts tödlicher als ein unkonzentrierter Anführer. Seine Sinne mussten geschärft sein, damit er jederzeit alles im Blick hatte. Sie brachten noch mehr Hügel hinter sich und Alec übermannte erneut ein ungutes Gefühl. Schon beim Angriff über die Grenze hatte es ihn beunruhigt so lange keine schottische Armee zu sehen. Erst bei Hawick waren sie auf die Schotten gestossen. Nun lag die Hälfte der Strecke zwischen Hawick und Arcioldun hinter ihnen und noch kein bewaffneter Schotte war ihnen entgegengetreten. Die kleinen Dörfer oder Häuser, die sie passierten, schienen verlassen und man sah kaum Menschen auf den Feldern. Dies war sehr ungewöhnlich. Normalerweise versuchte man den Feind nahe der Grenze zurück zu drängen, damit er so wenig wie möglich einnehmen konnte. Zudem war ihm die Schlacht bei Hawick wie eine Farce vorgekommen, denn Alec hätte schwören können, dass einige der Soldaten zum ersten Mal ein Schwert geführt hatten. Nach knapp einer Woche hatten sie dann die Schotten zurückgewiesen. Ihre Linie hatte sich aufgelöst und sie waren ins Landesinnere zurückgekehrt. So kannte er die Schotten nicht, geschweige denn andere Soldaten. Irgendetwas übersah er...
Die Sonne versuchte vergeblich ihre goldenen Strahlen durch den dunkelgrau verhangenen Himmel zu bohren und wurde immer mehr von einer gewaltigen Schar schwarzer Wolken verdeckt.
„Regen... und Nebel... das hat uns gerade noch gefehlt" sagte Thomas düster. Alec liess seinen Blick zu ihm gleiten. Thomas schien die Situation genauso zu deuten, wie Alec. Er blickte angespannt umher und suchte mit seinen Augen jeden Winkel ab. Von Stunde zu Stunde wurde der Nebel dichter, setzte sich am Boden fest und die Hufe der Pferde liessen die Nebelschwaden umher wirbeln. Je dichter sie in den Nebel ritten, umso höher stieg er, bis er die gesamte Truppe umhüllte. Flüsternd wandte sich Alec an Thomas
„Wir müssen aus diesem verdammten Tal raus". Thomas nickte und mit einem Befehl von Alec an seine Truppe ritten sie den Hügel vor ihnen hinauf. Die klebrige Masse, die an ihnen hing, fiel mit jedem Höhenschritt mehr von ihnen ab und blieb hinter ihnen liegen. Als auch die letzten Soldaten den Nebel hinter sich gelassen hatten, standen sie auf einem erhöhten Punkt und blickten in das Tal unter ihnen. Der weisse Nebel schlängelte sich durch die Spalten und bedeckte das Tal vollständig.
„Wir müssten kurz vor Arcioldun sein" meinte Jackson und stieg vom Pferd. Ein leises zischen durchschnitt die Nebelschicht, surrte an Alecs Kopf vorbei und schlug mit einem knackenden Geräusch in etwas neben ihm ein. Ein krächzendes Gurgeln war zu vernehmen und Alec drehte sich um. Sein Blick fiel auf den Fusssoldaten. In seinem Hals steckte ein Pfeil. Er hatte seine Kehle durchstossen, die Pfeilspitze blitzte auf der anderen Seite heraus und an ihr hingen Adern und Blut. Ein Blick in seine Augen verriet, dass er auf der Stelle tot war. Er sackte auf die Knie und fiel vorne über. Alec zog sein Claymore aus dem Schlitz und schrie
„Formation!" nach einem Blick auf Thomas, der inzwischen wieder auf sein Pferd gestiegen war, rief er „Vae victis! (4)" Hinter ihm formierten sich die Männer. Bogenschützen und Armbrustmänner nahmen die vorderste Front ein und brachten sich in Stellung. Hinter ihnen folgten erst die Hellebarden und Pikeniere, dann die Kavallerie und erst nach ihnen die Fusstruppen. Weitere Pfeile schossen aus dem zähen Nebel und trafen ihre Reihen. Seine Männer spannten die Bögen, zogen die Armbruste an und legten Pfeil und Bolzen ein. Alec ritt mit Arac vor seinen Männern durch und rief „Für König und Vaterland! Vae victis!" Die Pfeile und Bolzen schossen hervor und teilten den Nebel. Der Aufschrei der Schotten war nicht zu überhören. Auch sie stiessen ihren Schlachtruf aus und die Schwerter wurden auf ihre Schilder geschlagen. Beim ersten Trommelschlag der Schwerter fiel der erste Regentropfen vom Himmel. Das eintönige Summen der Schwerter verstummte und der Himmel öffnete seine Pforten. Die schweren Tropfen prasselten auf sie nieder und es ertönte eine schaurige Melodie auf den Helmen und Rüstungen der Soldaten. Der heftige Regen vertrieb die Nebelschwaden und die verfeindeten Truppen standen sich gegenüber. Alec wusste sofort, dass er im Vorteil war. Durch seine erhöhte Stellung auf dem Hügel mussten sie weniger Kraft aufwenden und konnten abwarten. Die Schotten hatten mehrere Reihen aufgestellt, zuvorderst standen ebenfalls die Bogenschützen und gleich hinter ihnen die Kavallerie. Die Pferdeharnische glänzten im Regen und die Reiter waren mit Metallplatten und Barbuta Helmen ausgerüstet. Beide schossen noch weitere Pfeile und Bolzen auf die Gegner und dann griffen die Schotten mit einem vereinten Aufschrei an. Die Kavallerie der Schotten galoppierte in einer Front den Hügel hinauf. Alec stand in der Reihe der Kavallerie, damit er den Pikenieren und Hellebarden einen freien Blick ermöglichen konnte. Er schrie Befehle in die Reihen seiner Männer. Da die Pferde der Schotten nun bald auf sie treffen würden schrie Alec „Stellung!". Die Pikeniere knieten in den Matsch, der sich mittlerweile unter ihren Füssen gebildet hatte, und rammten ihre Pike diagonal in den aufgeweichten Boden. Die Hellebarden hielten ihre Axtwaffe nach vorne und warteten auf den Aufprall. Die Bogenschützen und Armbrustmänner hatten sich hinter die Kavallerie zurückgezogen und wieder in Stellung gebracht. Alexander blickte in die erste Front der Schotten und sah ihre grimmigen Gesichter. Die Münder offen, um den Schlachtruf zu verbreiten, in der einen Hand ihre Waffen, die sie über ihre Köpfe schwangen und mit der anderen lenkten sie ihre Pferde. Er fühlte mit jedem Herzschlag, dass sie näherkamen. Das Donnern ihrer Hufe war nur noch als Grollen zu hören und liess den Erdboden erzittern. Alec klappte das Scharnier seines Helmes nach unten und blickte durch den Augenspalt. Drei... Alec sah, wie die Pferde den Hügel erklommen und der Schlamm von ihren Hufen umher geschleudert wurde. Zwei... einige der Reiter spannten ihre Langbögen und zielten. Eins... sein Herz pochte ein letztes Mal laut in seiner Rüstung und die schottischen Bogenschützen liessen ihre Pfeile durch die Luft surren.


(4) Wehe den Besiegten

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt