Kapitel 5.5.1 - Die Familie Talbot

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Die Türen des Saales öffneten sich. Eine schlanke ältere Frau schritt den Gang entlang. Alexander hatte sich zu Larraby gesetzt und musterte die Grossmutter seiner Frau. Das Alter hatte ihrer Erscheinung kaum geschadet. Sie war ungefähr gleich gross wie Isabella, jedoch schimmerten ihre Augen blau. Die dunkle Lockenpracht war von grauen Strähnen durchzogen. Trotz einer auffälligen Ähnlichkeit mit seiner Liebsten, fehlte ein wesentlicher Teil im Ausdruck von Marianne Talbot. Die weichen Züge und das süsse Lächeln seiner Isabella. Und dieses kleine Detail liess Marianne argwöhnisch, überheblich und verbittert erscheinen. Die Frau stellte sich auf das Podest vor dem König und den Richtern:
„Mein König, ehrenwerte Richter und geschätzte Räte innerhalb kürzester Zeit habe ich zwei Verluste zu beklagen. Den meines geliebten Ehemannes und nun den meines Sohnes! Die schwerwiegenden Vorwürfe gegenüber des Erbens von Westmorland haben mich als Mutter schrecklich schockiert." Sie reckte ihr Kinn: „Ich wusste nichts über das Verbleiben meiner geliebten Enkelin! Sie war von einem auf den anderen Tag verschwunden und ich musste glauben, sie sei von Wegelagerern oder anderem Gesindel umgebracht worden." Die Muskeln von Alexander spannten sich unwillkürlich an. Sie tat so, als würde ihr Isabella etwas bedeuten und doch hatte sie ihre geliebte Enkelin grausam misshandelt. Marianne war bespielhaft in ihrer Darbietung und vielleicht hätte man ihr die Not, die Erschütterung und die Trauer um den Verlust der männlichen Linie durchaus abgenommen, hätte sie nicht so geklungen als wären die Worte eingeübt worden. Edmund bedachte sie mit einem durchdringenden Blick:
„Hat Euer Sohn damals erwähnt, dass er sie möglicherweise in Cornwall wiederentdeckt hatte?" Mariannes Züge flackerten leicht:
„Nun Eure Majestät, ich mag mich undeutlich erinnern, dass er geglaubt hatte unsere Isabella gesehen zu haben... Er hatte gemeint, sie würde", Marianne Talbot machte eine bedeutungsvolle Pause, „sie wäre wohl eine Hure, die sich mit reichen Männern einliesse." Alec fühlte, wie Larrabys Hand plötzlich auf seinem Unterarm ruhte und ihn zurückhielt. Der Saal war gespenstisch still geworden.
„Mylady achten Sie auf Ihre Wortwahl", meinte der König kühl. Marianne neigte den Kopf mit einem Zucken in den Mundwinkeln:
„Eure Majestät, ich berichte lediglich was mir zu Ohren getragen wurde."
„Wusstet Ihr, wo Euer Sohn in den vergangenen Monaten während des Krieges gewesen war?", fragte einer der Richter. Marianne klammerte sich am Holzrand des Podestes fest und beantwortete seine Frage:
„Nein. Aber ich vermute", und sie warf das erste Mal einen Blick auf Alec, „wenn die Gerüchte stimmen, dass er versucht hat, sie zu retten, um ihre und die Ehre unserer Familie wieder herzustellen." Alec konnte sich kaum beherrschen. Er presste seine Lippen so stark zusammen, dass sie anfingen zu kribbeln.
„Mylady", warf Edmund gedehnt ein, „wir wissen, dass Sie Ihre Enkelin festhielten und uns liegen Beweise vor, dass Ihr Sohn den Auftrag erteilt hatte Duncan und Anne Campbell zu ermorden, damit ihm die Rechte über ihre Besitztümer zufielen. Ausserdem sind die verleugneten Verwandten von Duchesse Cumberland, Robert und Maud, noch am Leben." Marianne Talbots Wangen wurden feuerrot und sie senkte ihre Lider:
„Davon weiss ich nichts Majestät. Ich kann nur sagen, dass meine Enkelin ein undankbares, verzogenes und listiges Biest ist. Sie hat unsere Gastfreundschaft nicht zu schätzen gewusst." Bevor Alec es bemerkt hatte war er in die Luft geschossen und die Augen im Saal richteten sich augenblicklich auf ihn. Doch er sagte nichts, er sah nur zu der alten Frau.
„Ich glaube wir haben genug gehört", meinte Edmund und entliess damit Marianne Talbot. Sie setzte sich an den anderen Tisch und Edmund fuhr fort: „Diese abscheuliche Tat grenzt an Hochverrat", verkündigte er und die Menge stimmte zu: „Lord Westmorland hat in einer Schlacht, in welcher das Königreich England auf all seine Mitglieder angewiesen war, gegen den ersten Hauptmann der englischen Krone eine Intrige gesponnen, die im schlimmsten Falle die Niederlage Englands hätte bedeuten können. Da alle Beteiligten an diesem Verrat bereits gerichtet wurden, kann ich hier nur die Rechtsprechung eines Mitgliedes über ein anderes Mitglied der Peerage gutheissen und somit bestätigen, dass der Duke of Cumberland das Recht auf seiner Seite hatte." Alexander konnte Mariannes aufgewühlte Augen sehen und wie sich ihre Nasenflügel beben hoben. „Ebenfalls enthebe ich post mortem George Talbot seines Titels. Die Familie Talbot besitzt keinen Anspruch mehr auf die Würde eines Peers und die Grafschaft wird der Krone übereignet." Die Anwesenden begannen sofort zu applaudieren. Marianne Talbot sass stoisch auf ihrem Stuhl. Er war sich nicht sicher, ob sie daran geglaubt hatte das Blatt noch wenden zu können. Der König erhob sich, wie die Richter und sie verliessen den Saal durch eine Hintertür. Langsam erhob er sich. Alec hatte gewusst, dass er hier nicht mehr hätte leisten müssen, allerdings war er selbst überrascht, wie unkompliziert es schlussendlich abgelaufen war. Vermutlich waren die schriftlichen Beweisstücke und die Tatsache, dass Maud und Robert lebten, alles was die Richter und der König gebraucht hatten.
Zurück in seinem Gemach musste er Isabella alles haargenau berichten. Sie würde es nicht zugeben, doch ihr war die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Ihr Name war reingewaschen. Die Nachricht vom Tode ihres Grossvaters traf sie nicht sonderlich schwer. Immerhin war er schon krank gewesen, als sie dort noch festgehalten worden war. Jedoch würde dieses Urteil die morgige Verhandlung von Alice nicht vereinfachen. Im Gegenteil, da Alice Georges Schwester war und ebenfalls ein grausames Verbrechen begangen hatte, würden die Peers auf blutige Rache aus sein. Doch es gab nichts mehr was Alec daran ändern konnte. Dies war auch der Grund warum er in dieser Nacht nicht wirklich Schlaf fand. Die ungewisse Ausgangslage, dass Alice möglicherweise die Höchststrafe erhielt und der Gedanke, wie Elaine damit umgehen würde, kreisten unaufhörlich in seinem Kopf.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt