Kapitel 3.1.1 - Der letzte Kampf

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„Thomas! Ich brauche dich als meinen Lazarettarzt, du darfst mir nicht wegsterben und schon gar nicht durch die Hand eines Schotten! Ich bring dich ins Lager"
„Nein" protestierte Thomas „wir müssen weiter kämpfen" meinte er und versuchte an der Seite von Alec zu gehen. Alexander grinste
„Ja bestimmt! Du kannst nicht einmal gehen und willst töten?! Witzbold! Ausserdem, der Krieg ist fast zu Ende". Thomas blickte ihn misstrauisch an. „Du glaubst mir nicht? Dann blick nach unten. Hier auf dem Hügel hat es keine Schotten mehr und die Letzten werden gerade von James und seinen Brüdern aufgespiesst". Sie liessen beide ihren Blick über das Schlachtfeld gleiten. Tatsächlich. Die wenigen Schwertklingen, die sie noch vernahmen, kamen von kleineren Gruppen, die von grösseren eingekesselt worden waren. Der Rest des Feldes war übersehrt mit siechenden Gestalten, die nicht mehr ins Reich der Lebenden gehörten. Tote Pferde, zerstörte Wagen und Waffen lagen und steckten überall auf dem Schlachtfeld verteilt. An einigen Orten brannten einige Überreste und eine ungewöhnliche Stille, nach mehreren Wochen Gefecht, legte sich über das Schlachtfeld. Alexander schaffte es Thomas bis zu ihrem Lager zu bringen und übergab ihn Lior und ein paar Ärzten. Er liess sich versichern, dass Thomas die Verletzungen überstehen werde und sie ihn nun verarzten würden. Alexander ging zu seinem Zelt und trat ein, streifte seinen Ringpanzer und den Rest seiner Ausrüstung ab. Er wusch sich am Waschtisch das Gesicht und säuberte die Kratzer, welche er sich im Kampf zugezogen hatte. Der Schlag des Schotten hatte ihm ein Veilchen verpasst und seine Lippe aufplatzen lassen. Die Schnittwunden an Armen und Händen waren nicht allzu tief und müssten nicht genäht werden. Von draussen vernahm er Jubelgeschrei, Trommeln wurden angestimmt und Trompeten bliesen in die Luft. Nun war der Krieg beendet und England und König Henry VIII hatten über Schottland gesiegt. Die anfänglichen Rufe und Stimmen waren verstummt und eine klamme Stille füllte ihre Lücke. Die Trommeln und die Trompeten breiteten sich aus und schienen ein Teil von jedem einzelnen Soldaten zu werden. Die Zeit schien still zu stehen, Wind und Schnee schienen erstarrt und jeder Trommelschlag passte sich dem Rhythmus eines jeden Herzens an. Obwohl er es nicht sah, konnte er sich vorstellen, wie die Tierhäute unter den Holzschlägeln nachgaben und den tiefen dumpfen Ton erzeugten, der durch Mark und Bein zu gehen schien. Er blinzelte, blickte in den kleinen Spiegel über der Waschschüssel. Seine Augen trugen dunkelschwarze Ringe, auf der Stirn hatte er drei getrocknete Blutflecken übersehen und sein Bart war gewachsen. Die scharfen Kanten seiner Wangen erschienen noch markanter als sonst, seine Lippen waren schmal und spröde, sein dunkles Haar hing ihm im Nacken und sein Blick war, wie meist, undurchdringbar. Der Krieg war vorbei. Doch wieso stellte sich nicht wie immer diese Ruhe und Gelassenheit ein, welche er sonst bei einem Sieg verspürte? Lag es vielleicht daran, dass Isabella nicht in seiner Nähe war? Machte ihn dies so ungehalten und fast ein wenig nervös? Er hob die Hand an die Stirn und kratzte die Blutspritzer ab. Irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, ja beschwörte ihn fast, dass es noch nicht vorbei war. Wo zum Teufel steckte eigentlich Rickard? Er hätte doch bereits hier eintreffen sollen, doch in all den Wochen hatte er nichts von seinem Bruder vernommen. Hatte es in Carlisle Schwierigkeiten geben? War er deshalb dort geblieben? Und was war mit Alfred... wieso kam er nicht mit einer guten Nachricht zurück oder zumindest ein anderer Bote? Bisher hatte Alec all diese Gedanken beiseite geschoben, da er mit dem Kampf beschäftigt gewesen war, doch nun... nun hatte er die Gelegenheit darüber nachzudenken und je länger er das tat, umso mehr beunruhigte ihn die Situation.
„Alec" rief jemand von draussen und schon wurde seine Zeltwand auf die Seite geschoben und James kam herein. Alexander legte das Waschtuch in die Schüssel und blickte seinen Freund an „Wir müssen in das Zelt des Königs" sagte er blass. Alec schnappte sich ein frisches Hemd, knöpfte es zu und folgte James. Sie schritten auf das Zelt des Königs zu. Alle Peers und ihre Sergeants hatten sich dort versammelt, als Alec und James in ihre Mitte traten, verstummten sie. Er blickte in die Gesichter der Männer. Wüsste er nicht selbst, dass sie diesen Krieg soeben gewonnen hatten, würde er bei ihren langen Gesichtern glauben sie hätten verloren. Er liess seine Augen über die Menge gleiten und versuchte darunter den König ausfindig zu machen, um eine Erklärung für ihre Missstimmung zu erhalten. Er sah nicht ihn, sondern nur einen einzelnen Stuhl inmitten des Zeltes worauf ein Soldat, ziemlich mitgenommen, des Königs sass.
„My Lords, Gentlemen was ist vorgefallen?" fragte Alec in die Runde, da keiner der Anwesenden Anstalten machte etwas zu erklären. Alle richteten den Blick auf den einsamen havarierten Soldaten auf dem Stuhl.
„Right Honourable, unser König soll tot sein" sagte die Stimme des Marquess of Kent, Lord Ockham hohl. Alexander Schritt nach vorne zum Stuhl des Soldaten. Seine Kehle hatte sich zugeschnürt. Der Duke of Huntingdonshire, Remington Crandell ergriff das Wort
„Der Junge wollte uns gerade berichten, wie es dazu gekommen war". Alexander nickte und erteilte somit dem Soldaten das Wort. Der Soldat blickte erst Alexander, dann die anderen Männer an. Sein Haar klebte an der nassen Stirn, das Gesicht war verdreckt und mit getrocknetem Blut verschmiert. Er umklammerte mit seinen Händen die Beckenhaube auf dem Schoss und kratzte mit seinem Zeigefinger über das Eisen. Obwohl es im Zelt nicht übermässig heiss war, schwitzte der Soldat stark und wischte sich mit dem Unterarm immer wieder über die Stirn. Er begann zu sprechen, doch seine Stimme versagte und er räusperte sich
„Wiiiir versuchtn ihn aufzuhalten, doch König Henry VIII wollte n' Truppe Schottn nachjagen und se niederschlagen. Sen oberster Offizier riet ihm, die Schottn ziehen zu lassen, es war aussichtslos Mylords. König ritt 'nen nach und entfernte sich mit sen' Truppe vom Rest des englischen Heeres" der starke Norfolk Akzent machte ihn undeutlich. Er machte eine Pause und sah sich verzweifelt um „gnau darauf hattn se gewartet! Wir wurden eingekesselt. Sie töteten uns ener nach dm andern. König Henry VIII erkannte die List zu spät, wollte aus 'em Hinterhalt ausbrechn, doch s war su spät". Bedrücktes Schweigen breitete sich unter den Lords aus. Der Soldat atmete ein paar Mal tief ein und fuhr dann gefasster fort „Bogenschützen holten die restlichen Soldaten von ihren Pferden und die Fusstruppen nahmen sich diesen dann an... ich sah wie der König von mehreren Schotten umzingelt wurde und versuchte mich zu ihm durch zu schlagen, doch ich hatte keine Chance. Ich erstach meinen Gegner und versuchte um den Hügel auf die andere Seite zu gelangen, damit ich den Rest der Soldaten zum Schutz des Königs herbeordern konnte" ein murren ging durch die Reihen und aus der Menge kam der Vorwurf
„Lügner! Du wolltest nur dein eigenes Leben retten! Du hast den König verraten! Schande". Alexander liess seine Augen umherschweifen, um auszumachen, woher dieser Vorwurf kam.
„Ruhe!" donnerte er. Der Soldat wurde sichtlich nervöser, wischte sich mehrmals über das Gesicht und blickte aufgeregt in die Menge
„Iiich hab me Bests gegeben Mylord" wandte er sich direkt an Alexander „ich hab versucht, Verstärkung zu beschaffn, doch kenr war in Reichwite!" Die Unruhe zwischen den Männern wurde lauter und Alec warf James einen vielsagenden Blick zu
„My Lords! My Lords!" sagte er energisch und laut in die Runde, bis sie verstummten „Ich verstehe ihre Aufregung, doch ein Mann und allen voran ein Soldat ist unschuldig solange seine Schuld nicht bewiesen ist!" Einige der Peers hatten sich erhoben und Graham Ainsworth, der Earl of Wiltshire trat nach vorne
„Ich sage er gehört gehängt! Er ist feige geflohen und überliess unseren König dem Tod!". Einige der Peers neben ihm nickten zustimmend. Graham war ein lästiger Zwerg. Er stand in der Gunst des Königs, da sein Vater ein einflussreicher Politiker war und nun schien er Angst um seine Stellung zu haben.
„Gentlemen" sagte Alec verständnisvoll „Lord Wiltshire, ich bin mir bewusst, welches Bild sich hier zeigt, doch momentan ist er Beschuldigter und einziger Augenzeuge zugleich. Möchten sie diesen einzigen Zeugen töten?" Ainsworth funkelte ihn an. „Nur zu" meinte Alexander auffordernd, doch Graham fasste sich an sein Hemd und setzte sich wieder. „So meine Lordschaften, wir werden nicht heute klären, ob sich dieser Soldat falsch verhalten hat oder nicht, dass wird ein Richter übernehmen. So lange bleibt er in meiner Obhut" die Peers und ihre Sergeants nickten zustimmend. „Lord Beaufort, Lord de Ferres und Lord Ockham sie werden mich mit einigen ihrer Soldaten begleiten" er sah zu dem Soldaten auf den Stuhl „Geoffrey Rudin wird uns an die Stelle bringen, wo er unseren König zuletzt gesehen hatte". Geoffrey erhob sich und Alec buxierte ihn aus dem Zelt. Eine halbe Stunde später ritten alle in die Richtung, die Geoffrey ihnen wies. Sie ritten zu dem Hügel auf dem Alec Thomas das Leben gerettet hatte. An der Rückseite des grünen Hügels, der mit Leichen übersehrt war, zog Geoffrey seine Zügel an. Alexander und James ritten direkt neben ihn und hielten ihre Pferde ebenfalls an. Sie blickten auf ein weitläufiges Feld, das bis auf ungefähr dreissig Körper die einige Fuss vor ihnen auf dem Boden verstreut lagen, leer da lag. Ein einzelnes Pferd, ein schöner kräftiger Fuchs, graste arglos unweit von den Toten. Alec atmete tief ein, sah zu James und rief über seine Schulter zu zwei seiner Soldaten „Holt mir den Fuchs dort". Sie nickten und entfernten sich aus der Truppe. Er wendete Arac zum Rest „Sucht den König... und nach Überlebenden".

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt