Kapitel 3.6 - Eagan Larraby

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Die Kutsche holperte über die Pflastersteine von Londons Strassen. Nachdem sie vom Kingsway in die Fleetstreet gebogen waren, nahm der Kutscher nun die Seitenstrasse in die Old Bailey Street und fuhr an ein paar Spelunken und sehr offenen Weibsbildern vorbei. Alexander hatte seinen Vorhang als Vorsichtsmassnahme vorgezogen. Er wollte vermeiden, dass gewisse Personen von seinem Aufenthalt hier allzu früh erfuhren. Als sie den Smithfields Park erreichten und dann in der Charterhouse Street Nummer neunundzwanzig zum Stehen kamen, trat Alec, noch bevor Ramsey die Tür öffnen konnte, aus der Kutsche. Er bezahlte den Kutscher und blickte zum roten Backsteinhaus. Ein feuchter, fieselnder Regen setzte ein und benetzte Alec und Ramsey, die vor dem Tor stehen geblieben waren, während der Kutscher die Peitsche zischen liess und die Pferde sich in Gang setzten. Die Ecken des Hauses waren aus hellem Backstein und der Eingangsbereich wirkte wie ein kleiner Turm. Ramsey räusperte sich
„Verzeihung Sir, warten wir auf etwas bestimmtes?" Alexander schüttelte den Kopf und stiess das kleine Tor aus Eisen auf, welches ihm bis zur Hüfte reichte. Seit ewigen Zeiten war er nicht mehr hier in Surrey House gewesen. Er hatte schon fast vergessen, dass es in ihrem Familienbesitz war. Bevor Alec die erste Steinstufe berührt hatte, öffnete ein älterer Herr die Tür
„Mylord" sagte er überrascht und hocherfreut zugleich „Welcher Ehre haben wir es zu verdanken, sie hier willkommen zu heissen?" sagte er und Alec liess sich seinen Mantel abnehmen.
„Mister Weston. Es freut mich sie in bester Gesundheit wiederzusehen. Sie müssen mein unangekündigtes Eintreffen entschuldigen, doch leider blieb mir keine Zeit einen Boten voraus zu senden". Tyron Weston machte eine verneinende Geste, doch Alec wusste, dass dies für ihn, wie für alle Butler und Hausangestellten eine Katastrophe darstellte, wenn die Hausherren unangekündigt eintrafen. „Sie brauchen auch kein Gemach für mich herzurichten, leider kann ich nicht lange bleiben. Mich führen dringende Geschäfte hierher und in der Früh muss ich wieder aufbrechen. Ich benötige lediglich ein Ankleidezimmer, ein Bad und die Bibliothek"
„Selbstverständlich Mylord" sagte Weston und übergab Alexanders nasse Sachen einem Dienstmädchen. Alexander drehte sich um und blickte Ramsey an, der neugierig Surrey House von innen bestaunte.
„Das ist Ramsey Ferris. Er ist mein Kammerdiener während meines Aufenthaltes hier. Möglicherweise benötigt er gewisse Hilfe während er meine Garderobe für heute Abend bereit stellt, ich hoffe sie Weston können ihm dabei helfen?"
„Natürlich, ich werde ihm behilflich sein Mylord. Sollten sie noch etwas benötigen, klingeln sie". Als Alec mit Ramsey im oberen Stockwerk ankam, ertönte sanft die Holzräderuhr in der Mitte des Flurs. Sie war kunstvoll geschnitzt und ihre Zeiger deuteten auf zwei Uhr. Die feinen Glocken bimmelten hell und Alecs Spiel begann nun. Ramsey schickte er los, um seine Garderobe zusammen zu stellen und er selbst kleidete sich um. Er legte seine auffällige Kleidung nieder und schlüpfte in ein Leinenhemd und dunkle Hosen. Er stülpte sich seine alten schwarzen Stiefel über und schwang sich in seinen schwarzen weiten Mantel. Er betrachtete seinen Anblick im Standspiegel im kleinen Ankleidezimmer, welches für ihn hergerichtet worden war. Der Mantel hing auf seinen Schultern und umhüllte ihn ganz. Er war bereit. Zu Fuss begab er sich auf den Weg in die Geschäftsviertel, begegnete zahlreichen Herren, die ebenfalls dringende Geschäfte zu erledigten hatten. Der Regen schien sie nicht davon ab zu halten. Als er die Edward Kings Street erreichte, reihte sich ein Geschäft nach dem anderen aneinander. Ein Hutmacher neben einer Schneiderin für Damenmode. Gleich daneben ein Spielzeugmacher, der kleine Kinderspielsachen aus Holz schnitzte. Ein Schuhmacher auf der anderen Strassenseite klopfte das Leder in der Seitenstrasse und stellte seine besten Exemplare zur Schau. Trotz des Regens hatten sich einige Herrschaften in der Strasse eingefunden und zu einem Einkaufsbummel hinreissen lassen. Einige Damen liessen sich in den Geschäften beraten und die Herren unterhielten sich draussen. Die Kindermädchen bemühten sich die Kinderschar der feinen Gesellschaft in Schach zu halten und mahnten sie immer wieder zur Disziplin. Alexander bahnte sich einen Weg durch die kauffreudigen Leute und bog in die York Lane, in welcher bedeutend weniger los war. Er passierte drei Häuser und klopfte beim vierten Reihenhaus an die Tür. Ein Hausmädchen öffnete ihm.
„Guten Tag Miss, ich bin gekommen, um Mister Larraby zu sprechen. Mein Name ist Alexander de Warenne". Sie schien ziemlich schüchtern zu sein, denn sie hatte kein Wort erwidert, nickte nur verhalten, trat zur Seite und bat ihn hinein. Das Hausmädchen verschwand und einige Zeit später kam sie zurück und führte ihn in das Arbeitszimmer von Larraby. Er war noch nicht da. Alec legte seinen Mantel über die Stuhllehne und sah sich um. Das Zimmer war einfach, besass einige Regale in denen Larraby Bücher und Kunstgegenstände aufgestellt hatte. Die Tür glitt auf
„Lord Cumberland, welche Überraschung" sagte Larraby und kam in sein Arbeitszimmer. Sie begrüssten sich und Mister Larraby setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er war ein kleiner untersetzter Mann und trug einen Chaperon auf dem mit grauen Haaren verzierten Kopf. „Entschuldigt, dass ich euch so lange warten liess. Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet. Eine Erfrischung?"
„Sehr gerne". Das scheue Hausmädchen trat ein und Larraby sprach mit ihr in einer fremden Sprache.
„Sie ist Griechin, deshalb hat sie kein Wort von sich gegeben. Sie ist der englischen Sprache nicht mächtig und aus diesem Grund stellt sie sich stumm, wenn sie Gäste bedienen muss. Ich bitte um Verzeihung" meinte Larraby mit einem Lächeln. Alec warf ihm einen neugierigen Blick zu und Larraby lehnte sich in seinen Sessel zurück „Ach ja. Sie wissen schon, ihre Mutter eine gute Freundin, hat mich gebeten sie in London auszubilden und ihr die englische Sprache beizubringen. Das konnte ich ihr nicht abschlagen... die Gute liegt im Sterben". Hinter dieser Aussage lagen so viele versteckte Informationen, die Alexander eigentlich gar nicht wissen wollte. Er sah zur Tür als das Hausmädchen mit einem Tablett wieder eintrat. Sie goss ihnen zwei Gläser Wein ein und verschloss dann hinter sich die Tür.
„Nun Mister Larraby ich dachte, da ich mich gerade in der Stadt aufhalte, könnte ich ihnen einen kurzen Besuch abstatten und wir könnten uns über die Briefe unterhalten, die sie mir im Laufe des letzten Jahres zu kommen liessen. Ausserdem habe ich noch eine andere dringende Angelegenheit, um die wir uns kümmern müssen". Eagan Larraby war ganz ernst geworden und blickte Alexander aufmerksam an. Alec griff in seine Brusttasche und nahm ein gefaltetes Blatt Pergament hervor. Er hielt es Larraby hin und dieser lehnte in seinem Sessel nach vorne und entfaltete das Pergament vorsichtig auf seinem Tisch. Aufmerksam studierte er die Zeilen, die sich vor seinen Augen ausbreiteten und blickte völlig überrascht auf. Dann sah er noch einmal auf das Pergament und sagte vollkommen verblüfft
„Sie sind verheiratet?" Alexander hob seine Augenbrauen zum gespielten Erstaunen und presste seine Lippen mit einem Lächeln zusammen. Er nickte. Larraby faltete das Pergament wieder zusammen, gab es Alec, legte seine Arme auf die Lehnen und lehnte wieder zurück „Ich nehme an sie haben ihre Gründe, warum sie es bis jetzt geheim gehalten haben?"
„Die hatte ich und habe ich noch immer, das heisst bis ich wieder im Tower angekommen bin. Danach wird es wohl nicht länger ein gut gehütetes Geheimnis sein"
„Ich verstehe" meinte Larraby und nahm einen Schluck von seinem Wein.
„Da ich nun ein verheirateter Mann bin, will ich, dass meine Ehefrau abgesichert ist und ihr, im Falle meines Todes, all mein Besitz zukommt. Ich weiss, dass dies unsere Gesetze nicht unbedingt vorgesehen haben, doch sie sind nicht umsonst seit Jahren der Anwalt unserer Familie". Larraby sass ruhig auf seinem Sessel und hörte Alec aufmerksam zu. „Und dies ist noch nicht alles... meine Frau wird in Kürze niederkommen und ich will auch, dass für das Kind gesorgt ist. Egal ob es sich um einen Erben oder um eine Tochter handeln sollte". Alec machte eine Pause, nahm einen Schluck Wein und fuhr dann fort „Mein Bruder hat einen eigenen Erbanteil von unserem Vater... Ich habe entschieden, dass er ihn zur Gänze erhalten soll. Es ist sein Besitztum, nicht meiner. Zahlen sie Rickard aus". Mister Larraby kam nach vorne, schnappte sich eine Füllfeder, tauchte sie in das Fässchen und begann alles was Alexander sagte niederzuschreiben. „Zudem möchte ich, dass sie die Grafschaft Surrey, das Haus und den Titel meinem Bruder überschreiben". Larraby hielt inne und blickte Alexander überrascht an
„Lord de Warenne, es ist seit Generationen vom Vater auf den ältesten Sohn übertragen worden und der König muss zudem eine Erklärung dazu abgeben". Alexander sah ihn an
„Larraby, sie kennen mich. Wir werden wohl mit den Traditionen brechen müssen. Der König ist tot, sobald jedoch seine Nachfolge geregelt ist, werde ich mich um dieses Einverständnis bemühen". Larraby blickte Alexander noch einen Augenblick lang schockiert an, nickte dann und setzte seine Feder wieder auf das Pergament und schrieb. Alexander fuhr fort „Also, Rickard erhält den Titel Earl of Surrey. Elaine wird wie vorgesehen bei mir und meiner Frau in Carlisle Castle aufwachsen. Ausserdem werden wir uns später in diesem Jahr mit dem Finanzverwalter treffen, damit ich Vorkehrungen für ihre Mitgift treffen kann, die ich ihr übergeben möchte, wenn Elaine heiratet oder die sie erhält, falls sie alleine bleibt". Alexander atmete tief ein „Alice de Warenne bleibt das Recht vorbehalten, sich im Haus meines Bruders aufzuhalten, wenn für ihn nichts dagegenspricht. Möglicherweise möchte sie aber auch in eines der anderen Häuser in Surrey umziehen". Alec bemerkte wie Larraby beim Schreiben die Augenbrauen skeptisch zusammenzog und genauso wenig wie er daran glaubte, dass seine Stiefmutter aus dem grossen Haus in ein kleineres umziehen würde. „Surrey House hier in London bleibt in meinem Besitz. Die Kosten sind zu hoch, um sie alleine mit den Einnahmen aus Surrey zu decken... damit sind wir am Ende, denke ich"
„Nun nicht ganz Lord Cumberland, wie hoch war die Mitgift ihrer Frau?" fragte Larraby, während er seine Feder in das Fässchen tunchte.
„Ihre Familie ist, bis auf einen Onkel und eine Tante, vollkommen ausgelöscht. Ich bin mir nicht sicher, ob ihre Eltern eine Mitgift angelegt haben. Talbot hat es bestimmt nicht getan". Larraby legte seine Feder nieder, erhob sich und ging zu seinem Bücherregal. Er murmelte
„Clanstämme... wo habe ich sie... Clanstämme... ach ja da" er griff nach einem dicken, in rotes Leder gebundenes Buch und kam damit zurück zu seinem Schreibtisch „Bei schottischen Clans erben die weiblichen Familienangehörigen genau zu gleichen Teilen wie die Männlichen. Das bedeutet, das Vermögen und der Besitz ihrer Eltern ist nun euer. Ihr Familienname, kam mir ziemlich vertraut vor... irgendwo... irgendwo in diesem Verzeichnis, habe ich diesen Namen schon einmal gelesen" meinte er und blätterte in dem alten Buch umher „Cunningham... woher genau stammt sie? Highlands oder Lowlands?" fragte er, aber sein Blick wich nicht vom Buch.
„Ich glaube Highlands" sagte Alexander neugierig.
„Aha, Chattan Clan... Cameron Clan... Aaa da, Clan der Campbell Familie" sagte er und presste seinen Stummelfinger auf die Stelle an der er den Namen gefunden hatte. Er drehte das Buch zu Alexander und zeigte es ihm „Er gehört zu den einflussreichsten Clans in den Highlands... oder wohl eher hatte gehört. Nun je nachdem, wo die Grenze nach den letzten Clankämpfen gezogen wurde, gehört ihnen ein beachtlicher Teil der schottischen Highlands" lachte Larraby und Alexanders Miene verfinsterte sich. Er als englischer Eroberer besass beachtliches Land in den schottischen Gefilden. Das dürfte den geschlagenen Schotten nicht unbedingt gefallen.
„Nun, da ich mir nicht sicher bin, wie sich die Grenze in den Highlands um ihren Besitz zieht und es sich um den Besitz meiner Ehefrau handelt, werden wir diese Aufteilung mit meiner Ehefrau gemeinsam in einem Testament festhalten. Sie soll entscheiden was damit geschehen soll und wie sie es vererben möchte". Der Anwalt der Familie nickte, beendete noch seine Notizen und legte dann seine Feder beiseite. Er sah Alexander auffordernd an
„Kann ich sonst noch irgendetwas für sie tun Lord de Warenne?" Alexander nickte langsam und schwerfällig
„Im November erhielt ich einen merkwürdigen Brief von meiner Schwester Elaine. Darin berichtete sie mir, dass sie die Dokumente meines Vaters gesammelt und geordnet hätten, mehrmals nach London gereist wären und dann nicht mehr nach Surrey zurückkehrten... sie schien ziemlich beunruhigt. Dann erhielt ihre Mutter, Alice de Warenne, einen Brief von ihnen, der sie anscheinend ziemlich in Rage brachte, da sie den Brief verbrannte und sich anscheinend seit diesem Zeitpunkt unpassend aufführt... Leider hatte ich bis jetzt keine Möglichkeit mich dieser Problematik anzunehmen und nun dachte ich, ich frage sie, Mister Larraby, was denn nun vorgefallen sei?". Eagan Larrabys Gesicht war blasser geworden, er schluckte trocken und erhob sich
„Dafür benötige ich etwas stärkeres Lord de Warenne und ich denke sie auch"

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt