Kapitel 3.5 - William de Clares Kassandraruf

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Als Alec ungefähr fünf Stunden später sein Schlafgemach verliess, um an der Trauerfeier des Königs teilzunehmen, war die Nachricht schon im gesamten Schloss verbreitet worden. Die Bediensteten trugen alle Trauer, die königliche Fahne im Haupteingang hing in der Mitte und es herrschte hektisches Treiben bei der Dienerschaft. Koffer, Taschen und Körbe wurden hineingetragen und Gemächer bereitgestellt. Dies bedeutete, dass schon einige Räte und Herrschaften des Parlaments hier eingetroffen sein mussten. Seine Annahme bestätigte sich, als Alexander in den majestätischen Speisesaal trat und er von allen Seiten freundlich begrüsst und zum Sieg beglückwünscht wurde. Beim gefühlt hundertsten Handschlag, wollte es Alec aufgeben auch nur in die Nähe des Buffets zu gelangen, um sich wenigstens etwas zum Frühstück verschaffen zu können. Da schritt ihm William de Clare zur Hilfe
„Alexander! Was für ein fürchterliches Durcheinander!" sagte er vertrauter und trank aus seinem Kelch Ale.
„William, wie bin ich froh ein bekanntes Gesicht zu sehen". William lächelte
„Genehmigen wir uns etwas vom Buffet und setzen uns?" fragte er und Alexander musste sich nicht zweimal bitten lassen. Sie setzten sich an das andere Ende des langen Tisches, wo sie sich ungestört miteinander unterhalten konnten. „Ich bin vor einer halben Stunde hier eingetroffen und habe erst zu diesem Zeitpunkt das komplette Ausmass der Katastrophe erfahren. Aber wieso seid du und John schon hier?" fragte er überrascht.
„Wir haben den König hierher transportiert" und Alec biss ein Stück von seinem Brot ab. William blickte ihn neugierig an
„Interessant... nun so wie es aussieht, will der kleine Rat dieses Detail wohl eher für sich behalten und ich denke wir sollten es dabei belassen". Alec runzelte die Stirn. „Ich weiss nicht wieso, aber möglicherweise wollen sie dir deinen Sieg über Schottland nicht schmälern?" mutmasste William.
„Inwiefern sollte dies meinen Sieg schmälern?" William zuckte mit den Schultern und begrüsste einen vorbeigehenden Gentleman, bevor er Alec entgegnete
„Das kann ich dir nicht sagen. Aber sie haben bestimmt ihre Gründe dafür und ab heute sind wir im kleinen Rat fast wieder komplett. Dann habe ich hoffentlich auch wieder den Überblick". Sie schwiegen und assen ihr Frühstück. Alec nahm seine Tasse Kaffee, sah William an und stellte dann die Frage, die ihm schwer auf dem Magen lag
„Wie lange denkst du werdet ihr mich hier benötigen?" William blickte ihn nicht an. Er sah in die Menge der Gentlemen, die zusammenstanden, sich unterhielten oder das Buffet inspizierten. Dann antwortete er auf eine merkwürdige Art und Weise
„Wieso, wartet jemand auf dich in Carlisle Castle?" und er richtete seine Augen auf Alec. Obwohl Alec gerade das Gefühl hatte, dass er ertappt und entlarvt wurde, ging er auf das Spielchen von William nicht ein. Er setzte seine Tasse an die Lippen, trank einen Schluck des dunklen Gebräus, blickte in die Menge und antwortete gelassen
„Du weisst doch, dass niemand auf mich in Carlisle wartet William. Nein ich habe seit Wochen nichts mehr von meinem Bruder und einem Boten, den ich zurückgeschickt hatte, vernommen. Vermutlich ist nichts geschehen, doch ich will sichergehen das alles seine Ordnung hat und mein Bruder nicht gefangen genommen und der junge Bote getötet wurde". William wurde ernst und Alec merkte, dass ihm die Anspielung von eben etwas unangenehm war
„Verstehe. Natürlich. Ich werde das bei den Ratssitzungen unterbreiten Alexander". Für einen Moment waren sie noch einmal in kurzes Schweigen gehüllt, bis William sagte „Alexander, wir kennen uns schon sehr lange... ich kannte deinen Vater... unsere Familien" er fand nicht die richtigen Worte, trank einen Schluck Ale und fuhr fort „Was ich sagen will, man weiss von deiner Spionin und man wird dich dazu befragen. Bereite dich darauf vor". Williams Falten zeigten, dass er besorgt schien. Er leerte den Rest seines Ales und erhob sich. „Ich denke ich mache mich auf den Weg". Er nickte Alec zu und liess ihn mit seinen Gedanken alleine am Tisch zurück. Alec wusste, dass wenn jemand erfahren würde, dass William ihm diese Information mitgeteilt hatte, er seinen Posten im kleinen Rat verlieren und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden könnte. Alexander sah ihm nach und liess seine Gedanken schweifen. Wie auch immer der kleine Rat davon erfahren hatte, dieser Umstand erforderte nun aggressive Massnahmen. Alexander musste umgehend in die Stadt. Nach dem Trauergottesdienst würde er eine Postkutsche nehmen, die ihn innerhalb einer knappen Stunde in die Charterhouse Street brächte. Er könnte seine Angelegenheiten rasch regeln und dann wieder hierher zurückfahren.
„Mylord" seine Gedanken wurden unterbrochen. „Mylord eine Nachricht für sie". Ein livrierter Diener reichte ihm eine Nachricht. Er nahm sie an sich und brach das Siegel. Es kam aus Carlisle.


Earl of Cumberland
My Lord ich habe ihre Nachricht erhalten und mir die Korrespondenz ihres Anwaltes durchgesehen. Er hat sich wenig mit Details beschäftigt, lediglich, dass seine Arbeit mit der Erbschaftsregelung ihres Vaters durchaus länger dauern würde, als er ihnen damals Ende Juni versichert hatte. Er würde sich aber dieses unerwarteten Hindernisses annehmen.

Signiert
Constantino Farnese


Die Nachricht war von Tino vor rund einem Monat verfasst worden. Er faltete den Brief und steckte ihn in seine Westentasche. Als Alexander den Speisesaal verliess und in Richtung Kirche gehen wollte, sah er Mister Tattles, der soeben ein paar Dienstboten ob ihrer Livree tadelte.
„Mister Tattles dürfte ich sie einen Moment sprechen?" Er warf den beiden Dienstboten einen finsteren Blick über die Schulter und wandte sich sofort an Alec
„Natürlich Mylord, wie darf ich ihnen behilflich sein?" und neigte seinen Kopf. Hier am Hofe war alles enorm förmlich. Alec würde sich wohl nie damit anfreunden. Alexander senkte die Stimme und deutete damit die Intimität dieses Gespräches an
„Mister Tattles, ich wollte sie um einen Kammerdiener ihrerseits bitten. Nun ich weiss, ich habe dies bei meiner Ankunft verneint, doch leider haben mich gewisse Umstände dazu gebracht, dass ich unverhofft kurz in die Stadt aufbrechen muss... und wie sie wissen sind die Gentlemen in gewissen Clubs ungern dazu bereit Kompromisse einzugehen. Ich benötige ihn nur für den heutigen Tag und die heutige Nacht. Sollte alles nach meinen Vorstellungen ablaufen, sind wir in den frühen Morgenstunden zurück"
„Selbstverständlich Mylord, ich denke da an Mister Ramsey Ferris. Er ist noch sehr jung, aber er ist ein fähiger Mann. Er kann sie begleiten Mylord. Ich schicke ihn nach dem Gottesdienst in ihr Gemach. Kann ich ihnen sonst noch behilflich sein?"
„Das wäre alles Mister Tattles, vielen Dank".
Der kleine Gottesdienst hatte die Mauern der Kirche schon beinahe gesprengt. Bis Elf Uhr war schon eine riesige Menge Gentlemen angereist und diese hatten sich im Tower of London eingerichtet. Sie hatten alle an der Zeremonie in der Kirche teilnehmen wollen, um dem letzten Spross der Plantagenets ihre Anteilnahme zu zeigen. Die Traube von Menschen hatte sich weit bis in den Burghof hinein erstreckt und als der Priester erkannte wie viele Menschen keinen Platz mehr in der Kapelle gefunden hatten, liess er die Tore offen und begann mit seinem Gebet. Den König hatte man in der Mitte vor dem Priester aufgebahrt und mit Wappen der königlichen Familie geschmückt. Nach mehr als einer Stunde beendete Theobald Gurdin die Zeremonie und kündigte eine weitere Messe am Abend an. Morgen um diese Zeit würde der König im Mausoleum der Familie nur im Kreise seiner engsten Bekannten beigesetzt werden. Alexander ging um eine Kurve und erreichte seine Gemächer. Davor lehnte ein schlaksiger grossgewachsener Junge mit feuerrotem Haar und Sommersprossen. Als er Alec erblickte stellte er sich steif wie ein Brett vor seine Tür, liess seine Brust nach vorne schnellen und japste
„Mylord". Alexander konnte sich sein Lächeln nicht verkneifen und sagte
„Keine Angst mein Junge, Mister Tattles ist weit weg". Er griff an ihm vorbei und betrat sein Gemach. Alexander sah, wie die mühsam angehaltene Luft aus seiner Brust quoll und er erleichtert durchatmete. Er schloss hinter Alexander die Tür und blickte immer noch ein wenig skeptisch. Alexander ging an seine Schubladen und öffnete sie
„Also hör zu Ramsey". Er betrachtete Alec verwirrt und schien gespannt was er ihm sagen wollte „was wolltest du schon immer tun?"
„Verzeihung Mylord... ich versteh"
„Du denkst zu viel darüber nach Junge. Hör zu, ich bin in der Armee und kann mich selbst ankleiden. Also benötige ich hier weniger einen der mich ankleidet, mehr einen Vertrauten, verstehst du?" Ramsey war völlig verblüfft und schien seine Haltung etwas zu verlieren. „Also ich reise in die Stadt, da ich wichtige Dinge regeln muss. Dazu muss ich in exklusive Clubs, dort komme ich nur hinein mit ausgezeichneter Kleidung und einem Kammerdiener". Ramsey nickte
„Das heisst sie benötigen einen der die Klappe halten kann Mylord? Verzeihung" meinte er hastig und lief rot an.
„Entschuldige dich nicht". Er warf ihm sein Hemd entgegen und ein Jackett „genau das brauche ich. Pack meine Sachen und sorg dafür, dass du in London einen Schneider findest, der diese Grössen in bester Qualität hat. Ich brauche das Teuerste das du finden kannst. Und nimm deine beste Livree mit"
„Jawohl Mylord" meinte Ramsey und machte sich ans packen. Alexander setzte sich an den Schreibtisch und schrieb eine Notiz für John nieder, die ihm der Diener überbringen sollte. Morgen um diese Zeit wäre er längst wieder hier, aber dafür vorbereitet.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt