Die Nacht kam und ging. Zwischendurch hatte er neue Scheite ins Feuer gelegt, damit das Gemach nicht allzu sehr abkühlte. An Schlaf war die ersten Tage nicht zu denken. Isabella wurde von Alpträumen heimgesucht, wälzte sich in den Laken und murmelte zusammenhanglose Worte, die Alec nicht verstand. Oft schrie sie auch und sprach in Gaelic. Nur einige Worte hörte er aus ihrem Fieberwahn deutlich; Rosco und Talbot. Wenn ihr diese Namen von den Lippen kamen, erzitterte sie oder ihr gesamter Körper verkrampfte sich. Alec versuchte sie zu beruhigen und wisperte ihr ins Ohr. Doch er war sich sicher, dass sie ihn nicht hörte und erneut alleine gegen ihre Dämonen kämpfen musste. Alec nutzte ihre halbwachen Momente, um Isabella mit Flüssigkeit zu versorgen, denn er wusste, dass ihr die Zeit mit jedem Tag, an dem sie nicht aufwachte, davon lief. Er sass zusammen gekauert in seinem Sessel und liess seine Augen nicht von ihr. Molly hatte soeben das Frühstückstablett abgestellt und war ans Bett getreten. Sie küsste Isabella auf die Stirn:
„Mein lieber Junge, es tut mir in der Seele weh Euch in diesem Zustand zu sehen", stammelte sie und wischte sich eine Träne von der Wange. „Ich habe mir immer gewünscht", schluchzte sie, „dass Ihr eine Frau trefft, die euch so viel bedeutet." Alec sah zu Molly auf. Ihr Gesicht schien fleckig und er drückte ihre Hand. Bevor sie ganz die Fassung zu verlieren schien, wandte sie sich ab, drückte Alecs Hand ebenfalls und liess ihn und Isabella allein zurück. Stunden vergingen und Alec verliess das Gemach nur wenn er es nicht vermeiden konnte. Die Stunden und Tage des Wartens zermürbten ihn und jedes Mal, wenn Bruce da gewesen war, hatte er wehmütig den Kopf geschüttelt. Ihr Zustand war immer noch derselbe. Nur ab und an erlaubte sich Alexander in einen kurzen und äusserst unruhigen Schlaf zu fallen. Er glaubte bald den Verstand zu verlieren. Als er an einem Nachmittag das Zimmer verlassen hatte und einige Zeit später den Flur zurück ins Gemach lief, erblickte er Rickard, der soeben leise die Gemachstür schloss und in die andere Richtung verschwand. Alec atmete tief aus. Seit sie Talbot und sein Gesindel erschlagen hatten, hatte sich Rickard nicht mehr vor ihm blicken lassen. Er wusste was in seinem Bruder vorging, doch hatte er jetzt keine Worte oder Trost für ihn. Er gab ihm keine Schuld an dem was geschehen war, obwohl er es ihm Übel nahm, dass sie Isabella zurückgelassen hatten. Er sah, wie sein Bruder auf der Treppe verschwand und öffnete die Tür. Sein Sessel stand immer noch neben seinem Bett. Das Tageslicht drang ins Zimmer, da Molly wohl die Vorhänge aufgezogen hatte, aber der Himmel war milchig grau und schwarze Wolken schienen sich zusammen zu ziehen. Isabella lag, wie all die Tage zuvor, immer noch in derselben Position in den Kissen. Er trat an seinen Nachttisch und nahm die Salbe in die Hand. Als er ihre Haare zurückstrich, hielt er plötzlich inne. Alec senkte seine Hand auf ihre Stirn. Sie war nicht schweissnass und fühlte sich weniger heiss an. Er tastete sie ab. Ihr ganzer Körper glühte nicht mehr. Alexander fasste sie an den Schultern, drückte sie und sagte:
„Isabella... wach auf Liebste." Er gab ihr einen zarten Kuss auf ihre Lippen. Sie waren zierlich und weich, so wie er sie in Erinnerung hatte. Sie blieb reglos in seinen Armen. Sanft bettete er sie zurück in ihr Kissen und wollte sich gerade wieder in seinen Sessel niederlassen, als es an der Tür klopfte. Alec rief:
„Herein." Die Tür schwang auf und Bruce trat über die Schwelle:
„Ich grüsse dich Alec."
„Bruce", Alec reichte ihm die Hand, „ich hatte dich nicht so früh erwartet."
„Ich war gerade in der Gegend und dachte mir, ich untersuche sie jetzt."
„Natürlich. Ich habe das Gefühl, dass ihre Temperatur gesunken ist", meinte Alec hoffnungsvoll als Bruce seine Arzttasche öffnete.
„Tatsächlich?" Alec nickte und Bruce legte sein Ohr auf ihre Brust. „Hmm", machte er, „mir ist als wäre ihre Atmung etwas stärker geworden und auch die Temperatur scheint tatsächlich gefallen zu sein." Alec erhob sich und schluckte trocken:
„Das ist ein gutes Zeichen, nicht wahr?" O'Leary fuhr mit seiner Untersuchung fort:
„Möglich wäre es", sagte er zögerlich und auf Alecs Blick hin meinte er, „ich kann es nicht mit Sicherheit wissen. Sie ist nun schon fast eine Woche in diesem Zustand." Er hob ihr Nachthemd und tastete ihren Bauch ab. „Ich fühle leichte Kontraktionen des Kindes, vielleicht ist es wie seine Mutter in einen tiefen Schlaf gefallen. Wir werden es genauer wissen, wenn sie aufgewacht ist."
„Also glaubst du sie könnte bald aufwachen?"
„Nun ja, da das Fieber sinkt. Ich vermute, dass ich den gesamten entzündlichen Teil entfernen konnte und die Vereiterung nicht weitergewandert ist. Ihre Hand sieht auch besser aus. Die Schwellung ist zurück gegangen... auch dürfen wir nicht vergessen, was sie in den letzten Monaten erlitten hat. Der Schlaf kann auch eine Schutzmassnahme ihres geschundenen Körpers sein und muss an sich nichts mit dem Wundbrand zu tun haben." Bruce lächelte: „Ich denke, sie könnte in den nächsten Tagen ihr Bewusstsein erlangen." Alec blickte klamm nach unten, da er es nicht glauben konnte. Er ergriff die Hand seiner Frau und küsste sie:
„Ich werde sie nicht verlieren? Ich danke dir Bruce." Der Knoten, der sich immer mehr um seine Brust und Lunge geschnürt hatte, wurde lockerer. Bruce beendete seine Untersuchung, packte seine Tasche und Alexander begleitete ihn vor die Haustür. Die dunklen Wolken hingen nun über Surrey und erste Regentropfen fielen auf den Boden. Bruce stieg auf sein Pferd und wendete es:
„Wenn sich etwas ändern sollte oder sie aufwacht, schick einen Boten zu mir, ja?"
„Das werde ich", erwiderte Alec zum Abschied und sah zu wie Bruce den Weg hinab trabte und über die Wiese ritt. Auch wenn sie noch nicht aufgewacht war, so verspürte er nun grosse Erleichterung. Da war Hoffnung. Er kehrte in sein Gemach zurück und lehnte sich in seinen Sessel. Der Regen trommelte soeben gegen das Fenster und drückte das Licht in dem Raum. Carson hatte einige Holzscheite hinzugelegt, damit das Feuer auch den ganzen Raum wärmen konnte. Das Knistern, die Dunkelheit, die sich langsam im Zimmer ausbreitete und der Glaube, dass Isabella auf dem Weg der Besserung war, sorgten dafür, dass Alecs Müdigkeit nun die Oberhand gewann und er vornüber geneigt auf der Matratze einschlief. Er glitt in einen ruhigen Schlaf. Der Nachmittag zog in die Nacht und das Feuer warf Schatten im Zimmer, die bizarr verzogen waren und über den Boden und die Wände tanzten. Alec schlief tief und nahm kein Geräusch wahr. Vor dem Einschlafen hatte er Isabellas Hand gehalten und jetzt lagen sie nebeneinander. Eine Fledermaus flatterte im Schimmer des Vollmondes am Fenster vorbei. Das Haus war still und kaum einer war noch nicht ins Bett gegangen. Sanft und leise bewegte sich die Matratze. Isabellas Hand zuckte. Ein Stöhnen kam von der Kopfseite her und ihre Hand zuckte erneut, dieses Mal stärker. Aber Alexander schlief zu fest, als dass er es bemerkt hätte. Ihre Finger wanderten orientierungslos über die Decke. Bis sie die Hand auf der Bettdecke fanden, die Alec gehörte. Mit den Fingerkuppen wanderte sie über die raue Haut, bis sie die ganze Hand unter ihrer fühlte. Kaum Kraft war in den Fingern vorhanden. Ihre Glieder tippten auf die Hand bis sich Alexander zu regen begann. Er hatte den Kopf nach rechts abgewandt und öffnete verschlafen die Augen. In der Position, in der er eingeschlafen war, hatten sich seine Schultermuskeln unangenehm versteift. Er blinzelte und richtete sich langsam auf. Alec war sich nicht sicher was ihn aufgeweckt hatte. Er blickte verschlafen zur Tür, doch niemand hatte das Zimmer betreten. Dann spürte er eine warme Hand auf seiner ruhen. Sie strich sanft über seine Haut. Sofort riss er sein Haupt herum und sah zum Kopfende. Die grünen Augen funkelten ihn an und ein Lächeln lag auf ihren weichen Lippen.
„Isabella!", rief er und sprang auf. „Ich... ich dachte", stammelte er. Sie schloss ihre Augen erneut, aber öffnete sie wieder:
„Alec", wisperte sie schwach. Er setzte sich nah zu ihr auf das Bett:
„Sprich nicht, du solltest dich nicht überanstrengen", mahnte er und ohne viel darüber nachzudenken lehnte er sich nach vorne und nahm sie in eine kraftvolle Umarmung. Er fühlte ihre Arme, die sich um ihn schlangen. Er sah sie an und küsste sie immer wieder, ohne ein Wort von sich geben zu können. Dann erhob er sich rasch, lief zur Tür und schrie in den Flur: „Lasst O'Leary herbringen! Sie ist wach." Seine Worte blieben nicht ohne Reaktion. Er hatte so laut gerufen, dass sämtliche Türen im dritten Stock aufschlugen und Menschen in ihren Morgenmänteln in den Gang stolperten. Aber Alec war schon wieder in seinem Gemach verschwunden und setzte sich erneut zu Isabella.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...