Kapitel 4.10 - Dein Leben für meines

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Einige der Pferde erschraken und sprangen zur Seite. Er liess sich in den Dreck fallen und zog ihren Oberkörper an sich:
„Isabella, Isabella", drängte er und strich mit zitternden Fingern über ihr Gesicht. Seine Stimme brach. Sie durfte nicht tot sein! Doch ihre Gestalt fühlte sich so unnatürlich an. Er presste seine Stirn an ihren Kopf und fühlte, wie heiss sie war. Auf ihrer Haut schimmerten Schweissperlen! Alec legte sein Ohr auf ihren Brustkorb. Er horchte. Nichts! Doch dann entwich ein sanfter Atemzug ihrer Kehle. Er hob sie hoch und stürmte ins Haus. Soldaten schritten soeben die Treppe hinab und schleppten die Leichen nach draussen. Rickard gefolgt von Molly, Carson und den anderen Dienstboten kamen gerade in die Eingangshalle. Einige Dienstmädchen kreischten, ob der Toten. Rickard erfasste Alecs Blick und rannte auf ihn zu:
„Was ist geschehen?", meinte er ängstlich. Alec schüttelte den Kopf:
„Ich weiss es nicht! Lass O'Leary hierher bringen!" Rickard spurtete an ihm vorbei nach draussen zu den Pferden. „Molly, Carson bringt mir Wasser, Riechsalz, Lappen... in mein Gemach." Sie folgten seinen Anweisungen und Alec erklomm alle Stockwerke. Die Türklinke drückte er mit seiner Hüfte nieder und stolperte in sein Gemach. Er legte Isabella auf sein Bett. Zog ihr die Schuhe aus, befreite sie von dem dicken Mantel. Er trat an den Kamin und entzündete sofort das Feuer. Er kam zurück und blickte auf seine Frau nieder. Angst durchfuhr ihn. Sie trug immer noch ihre Handschuhe. Er zog an beiden und warf sie hinter sich auf den Boden. Da bemerkte er es. Ihre rechte Hand schien geschwollen, ja gar rot. Er griff sachte danach und drehte sie um. Er keuchte. Sie hatte eine grosse schwere Wunde. Die Hand war gefährlich heiss und Flüssigkeit lief aus der offenen Verletzung. Wundbrand. Ziemlich weit fortgeschritten. Viele Soldaten im Krieg überlebten eine solche Wunde nicht. Er verdrängte diesen aufkeimenden Gedanken gleich wieder. Er zog sie weiter aus und schob sie dann unter die Decke. Da klopfte es. Molly und Carson traten in das Zimmer und stellten Wasser und Lappen auf den Tisch. Carson reichte Alec das Riechsalz.
„Was ist mit ihr?", fragte Molly äusserst besorgt.
„Wundbrand", sagte Alec bekümmert. Molly hielt sich die Hand vor den Mund. Er kniete sich neben seine Ehefrau auf das Bett. Alec lehnte sich über ihren Oberkörper, pullte die Versieglung weg und hielt ihr das Fläschchen unter die Nase. Er schwenkte es mehrmals hin und her, doch nichts geschah. Isabella blieb in ihren Träumen gefangen und schien nicht wieder aufzuwachen. Alexander senkte verzweifelt den Kopf. Molly trat hinter ihn:
„Mein Lieber, sie wird bestimmt wieder auf die Beine kommen", sagte sie zaghaft und sah Isabella an. Er hätte es wissen sollen. Die Reise war zu anstrengend gewesen. Sie hätte in Carlisle frühzeitig von einem Arzt behandelt werden können!
„Mylord können wir etwas tun?", fragte Carson fürsorglich. Aber Alec schüttelte mutlos den Kopf. Er hörte wie Molly Carson zur Tür schob und sie ihn allein liessen. Wenn er sie nun endgültig verlieren würde, dann hätte all dies keinen Sinn gemacht. Wie konnte Gott so grausam sein?! Sie ihm noch einmal in die Arme geben und dann für immer entreissen! Ein erneutes Klopfen riss ihn aus den dunklen Gedanken.
„Was ist mit ihr?", fragte Thomas sofort und kam an den Bettrand. Alec deutete auf Isabellas Hand und Thomas erstarrte: „Wie um Himmelswillen konnten wir das übersehen?", meinte er und griff sich mit beiden Händen in die Haare. Ausgiebig betrachtete Thomas die Wunde und schluckte.
„Wie schlimm glaubst du ist es?", fragte Alec sehr zögerlich. Sein Freund mied den direkten Blick:
„Ich... ich kann es unmöglich sagen." Er rieb sich die Augen: „Ich hätte sie untersuchen sollen... ich hätte", psalmte Thomas und Alec versank wieder in seinen Gedanken, hörte nicht mehr was er sagte. Er sass nur da, starrte auf das Gesicht seiner wunderschönen Frau, die zerschunden, geschwächt, ausgemergelt und totenbleich in seinen Kissen lag. „Alec", sagte Thomas erneut und er blickte zu ihm. „Elaine, sie ist eingesperrt." Alec nickte, zog den Schlüssel aus seiner Hemdtasche und legte ihn in Thomas Hand. Sofort richtete er seinen Blick wieder auf Isabella und hörte wie sich die Tür schloss. Alexander strich über ihre Arme, berührte sanft ihr Gesicht und sprach auf sie ein:
„Du darfst nicht sterben Liebste! Bitte du musst bei mir bleiben." Seine Verzweiflung war unendlich. Er war dicht an ihren Kopf gerückt, presste seine Stirn an ihre: „Bitte komm zu dir!", flüsterte er unbeeindruckt weiter. „Verlass mich nicht", schluchzte er und brach auf ihr nieder. Er fühlte ihr samtenes Haar, das sein Gesicht berührte. Fühlte die klamme Haut und wie wenig Leben noch in ihr hing. Alec bohrte sein Gesicht neben ihrem Ohr in sein Kissen, strich mit der linken Hand über ihren Kopf und weinte. Alles in seinem Leben würde er für ihres eintauschen, er selbst würde seines geben, wenn sie und das Kind leben könnten. Er hatte alles erreicht und doch verloren... Was hätte er von seinem Leben noch, wenn sie ihn jetzt verliess? Düsternis würde ihn unweigerlich einholen, schlimmer als jene nach dem Tod seiner Mutter. Jenen Schmerz hatte er mit Alkohol betäuben können, doch dieser Schmerz könnte erst mit dem Tod besiegt werden. Er hob seinen Schopf, blickte auf die geschlossenen Lider. Alexander küsste sie und seine Tränen rannen still über seine Wangen. Kein Zucken, kein Stöhnen kam von ihr. Sie lag da und war mit ihren Gedanken weit entfernt von Alec. Sein Verstand vermochte es nicht zu begreifen. Er sah hinab auf ihre zarte Figur und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Es durfte nicht sein! Rasende Wut stieg in ihm auf. Alec konnte nicht mehr dasitzen, er konnte nicht nur zu sehen wie sie immer mehr von ihm weg glitt! Er stand auf, lief wie ein wildes Tier vor dem Bett auf und ab. Ballte die Fäuste, trat erneut an ihr Bett und blickte sie an: „Steh auf!", schrie er, doch sie reagierte nicht. Er schlug mit seiner Faust gegen die Wand, packte den Nachttisch, auf dem die Wasserschüssel und die Lappen standen, schmetterte sie an die Wand gegenüber und schrie: „Gib sie mir zurück!" Seine Knie gaben nach. Alec sank willenlos nieder, verzweifelt durch seine Angst legte er seinen Oberkörper auf die Matratze und wiederholte immer wieder: „Gib sie mir zurück... gib sie mir wieder zurück." Schritte polterten auf dem Flur und die Tür wurde aufgerissen. Alec blieb in seiner Position verharren und er hörte mehrere Personen ins Gemach treten. Sollten es noch mehr Feinde sein, dann sollten sie ihn töten! Eine zarte Hand fasst ihn am Oberarm. Die Gestalt kniete sich neben ihn und flüsterte:
„Liebster Alec." Es war Elaine. Sie drückte ihn, strich ihm über das Haar. Männerstimmen waren zu hören. Er wischte sich sein Gesicht an der Matratze ab und stand auf. Elaine blieb an seinem Arm. Rickard und Thomas erkannte er am Fusse des Bettes. Auf der anderen Bettseite stand Doktor O'Leary und begutachtete Isabellas Hand.
„Bruce", sagte Alec leise, doch O'Leary war mit ernstem Blick bei seiner Arbeit. Er tastete Isabella ab, fühlte ihre Stirn und horchte an ihrer Brust:
„Verzeihen sie", sagte O'Leary an die Herren gewandt und deute auf Isabellas Hemd. Rickard und Thomas wandten sich ab. Alec hielt seinen Blick auf Isabella gerichtet. O'Leary hob ihr Hemd. Der geschundene Körper kam zum Vorschein und Isabellas Bauch.
„Sie ist schwanger?", wisperte Elaine ängstlich und erfreut zugleich. Der Doktor tastete alles ab, bedeckte ihren nackten Oberkörper wieder und brach endlich sein Schweigen:
„Sie befindet sich in einem absolut kritischen Zustand." Sein Bruder und sein bester Freund drehten sich wieder zu ihnen um. „Ihr Körper ist geschwächt, durch die diversen Verletzungen. Möglicherweise sind gar Rippen und andere Knochen gebrochen. Ausserdem hungert die Schwangerschaft ihren Körper aus... sie hat zu wenig Gewicht", sprach O'Leary mit wenig Hoffnung in der Stimme, „und zu all diesem Übel kommt nun noch der Wundbrand. Die Verletzung ist nicht älter als zwei Wochen. Die Wunde ist sehr tief... vermutlich hatte sie diese zuerst mit Alkohol ausgespült, trotzdem hat sie angefangen zu eitern. Ich kann nicht sagen, wie weit der Wundbrand fortgeschritten ist." Er blickte in Alecs Augen: „Ich muss die Wunde aufschneiden, den Eiterherd entfernen und sehen, ob ich die Hand retten kann und selbst dann ist nicht klar, ob sie stark genug sein wird... um zu überleben." Elaine stützte Alec. Er schluckte:
„Tu alles was du kannst Bruce", kamen die Worte steif aus seinem Mund.
„Ich werde helfen", sagten Thomas und Elaine sofort. Alexander stand vor dem Bett und konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden. Elaine war von seinem Arm weggetreten und er hörte wie Bruce ihnen Anweisungen gab. Molly und Carson brachten alle Utensilien, die Bruce für den Eingriff benötigte.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt