Kapitel 4.8 - George Talbot und Alice de Warenne

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Ω

Das Haus war still. Er konnte keine Geräusche ausfindig machen. Wo sich die Männer Talbots aufhielten, wenn sie überhaupt noch hier waren, konnten sie nicht erkennen. Mit einer Handbewegung befahl er seinen Männern ihm zu folgen. Sie schlichen in das grosse Esszimmer, dann hinüber zum grünen Salon. Doch kein Zeichen von Talbot und seinen Männern. Als sie das kleine Esszimmer erreichten und sich gerade umsahen, wurde eine Tür geöffnet. Alle erstarrten. Eine Person kam mit dem Rücken voran in das Esszimmer und balancierte wohl ein Tablett. Als sie sich umdrehte und die Männer, schwer bewaffnet im Zimmer sah, stiess sie einen Schrei aus und liess ihr Tablett fallen. Alec biss sich auf die Lippe und atmete steif aus:
„Um Himmelswillen", fauchte er zornig in ihre Richtung. „Amelia sei still!" Ihre Augen wurden gross und sie schien überrascht, dass einer dieser Bewaffneten ihren Namen kannte. Sie stotterte:
„Mylord? Sind sie das?"
„Jawohl. Wo sind Talbot und seine Horde?" Er trat auf sie zu und sie begann zu zittern:
„Ich bin mir nicht sicher", flüsterte sie. „Sie haben sich hier einquartiert, manchmal patrouillieren sie in den Gängen." Sie bückte sich und begann den Scherbenhaufen auf ihr Tablett zu stapeln.
„Geh in die Küche, informier alle Hausangestellten. Sie sollen sich in ihren Zimmern einschliessen, bis alles vorüber ist." Sie nickte, hob ihr Tablett und ging denselben Weg zurück, den sie gekommen war.
„Fremde patrouillieren in unserem Haus", knurrte Rickard und kam an Alecs Seite.
„Gehen wir weiter, vermutlich werden wir sie im ersten Stock antreffen", meinte Alec. Sie erklommen die Stufen und gingen zur Galerie. Die starren Blicke seiner Vorfahren sahen auf ihn und Rickard herab und schienen stumm ihrem Vorhaben beizupflichten das Haus zurückzuerobern. Sie durchforsteten alle Räume. Die Bibliothek, den Blauen Salon, das Arbeitszimmer seines Vaters. Nichts. Als sie jedoch an der Terrasse vorbeikamen sah Alec zwei Schatten, die am Geländer entlang gingen. Sie schlichen zur Tür. Alexander und Rickard voran. Sie traten in die frische Morgenluft und pirschten sich an zwei von Talbots Wachen heran. Rickard hatte seinen zuerst erreicht und stiess ihm sein Schwert durch die Brust. Als die andere Wache sich umdrehte, blickte er in Alecs Gesicht und fand sofort seinen Tod. Sie schleiften die Leichen auf sie Seite, damit sie von den Fenstern im zweiten Stock nicht zu sehen waren. Sie wanderten den Flur zurück bis zur Treppe, dann ganz vorsichtig erklommen sie die nächsten Stufen. Doch keine Wachmänner bewachten den zweiten Stock. Alexander wies seine Soldaten an sich aufzuteilen und in Gruppen die Gemächer des Earls und der Countess zu durchsuchen. Er, Rickard und Jackson folgten dem Gang weiter. Plötzlich hörten sie eine Tür aufgehen und Schritte. Sie alle drückten sich an die Wand und horchten. Die Soldaten warfen einen Blick auf Alec. Dieser drückte seinen Zeigefinger auf die Lippen und deutete dann zur Decke. Jemand hatte ein Zimmer verlassen und war nun auf dem Flur. Sie hörten wie die Schritte zur Treppe im dritten Stock gingen. Die Männer, die man von dort aus sehen konnte, wichen in die Zimmer zurück und spähten durch einen Spalt hinaus auf die Treppe. Der Wachmann kam in den zweiten Stock, hielt inne und wollte dem Flur in Richtung Alexander, Rickard und Jackson folgen. Als er aber an einem Zimmer vorbei ging, öffnete einer von Alecs Männern die Tür, sprang hinter ihn und stach ihm das Schwert in den Rücken. Der Mann fiel auf die Knie und blieb reglos liegen. Wahrscheinlich schliefen einige von Talbots Männern in den Gemächern im dritten Stock. Alec machte erneut eine Geste und deutete einem Teil seiner Männer an, sie sollten das dritte Stockwerk in Augenschein nehmen. Sie drei und sechs weitere Soldaten blieben im zweiten Stock. Sie glitten an den Wänden entlang und kamen immer näher an den Violetten Salon. Der Morgensalon seiner Stiefmutter. Als sie kurz vor der Tür standen vernahmen sie Stimmen, die aus dem Inneren drangen und blieben stehen.
„Um Himmelswillen", hörte er die Stimme von Alice de Warenne, „ich weiss gar nicht warum du dieses Stück Pergament so dringend benötigst." Ihre Art war wie stets arrogant und Alec war überrascht, dass sie selbst in einer solch gefährlichen Situation ihren Hochmut nicht zu verlieren schien.
„Natürlich verstehst du es nicht! Du bist ein dummes Frauenzimmer und hast keine Ahnung. Irgendwo muss es sein... ich weiss, dass es jemand gestohlen hat!", die letzten Worte schrie Talbot.
„Du bist in meinem Haus George! Glaube ja nicht du kannst mich, wie einer deiner Zöglinge behandeln!" Sie hielt inne und fuhr dann etwas ruhiger fort: „Ich habe bisher nicht einmal von der Existenz dieser, dieser Hütte gewusst. Befrag die Dienstboten", forderte sie ihn gelangweilt auf.
„Das habe ich schon", rief Talbot verzweifelt. „Niemand hatte davon gewusst, niemand konnte," sie hörten seine stampfenden Schritte hin und her gehen, „ich bin ruiniert, wenn es in die falschen Hände gerät." Alec hörte ein gekünsteltes Lachen:
„Meine Güte mon petit ami. Das bist du schon jetzt. Oder wie willst du dich aus dieser Überfallsache wieder herausreden?"
„Ach", kam es abfällig von Talbot, „sie ist mein kleinstes Problem. Wenn ich die Dokumente bekomme und sie vernichtet habe, so wird ihr Wort gegen meines stehen. Und wem würde man eher glauben einer Spionin, die den Krieg beinahe gefährdet hätte oder mir?" Er lachte quickend. „Abgesehen davon, was kümmert es dich? Du hast selbst genügend Probleme, wenn dein Geheimnis ans Licht kommt", raunte er zu Alice de Warenne.
„Was soll das heissen?", sagte seine Stiefmutter scharf. „Drohst du mir etwa?" Talbot antwortete erst nach einer kurzen Pause, er schien sich über ihre Nervosität zu freuen:
„Nein liebste Alice, es soll lediglich ein Ansporn für dich sein mir zu helfen das Dokument zu besorgen." Alec sah hinüber zu Rickard, der auch sein Ohr an die Tür gelegt hatte. Beide waren verwirrt. Liebste Alice? Bei des Teufels Hörnern! Unweigerlich kam Alec Elaines Brief in das Gedächtnis. Sie hatte geschrieben, dass ihre Mutter sich merkwürdig verhielt, Feste veranstaltete, von Eltern sprach, die eigentlich nicht mehr lebten... war Talbot ihr Geliebter? Er hätte Alice eigentlich einen besseren Geschmack zugemutet.
„Dass ich nicht lache! Du stürmst in mein Haus, stellst alles auf den Kopf, da du es durchsuchen musst und nun willst du mich bedrohen?!", keifte Alice. Aber Talbot liess sie nicht weiter zu Wort kommen:
„Glaube ja nicht du bist besser als ich! Diesen Fehler haben schon viele gemacht und ich mache bei Blutsverwandten keine Ausnahme. Duu selbst hast auch nicht erreicht, was die beiden geplant hatten, oder?! Und meine Aussichten die Dokumente zu vernichten und dieses törichte Weib los zu werden sind besser als deine, die beiden de Warenne Brüder los zu werden und dir das Vermögen vollends unter den Nagel zu reissen... du hast kläglich versagt." Er lachte nun hysterisch auf: „Nicht mal im Stande einen Sohn zu gebären!" Sie hörten Schritte und dann ein Handgemenge. „Oh nein! Setz dich hin!", schrie Talbot und ein Stuhl prallte auf den Boden. Was bei allen räudigen Bastarden ging hier vor?! „Also noch einmal, wo bei dem verdammten Judas ist das Dokument?!" Alice de Warenne schrie ihre Antwort hinaus:
Ich weiss es nicht!" Erneut polterte ein Stuhl zu Boden.
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass deine Tochter etwas mit dem Verschwinden zu tun hat", sagte Talbot erzürnt. Eine Stille breitete sich aus. Alec war nun auf die Antwort von Alice gespannt. Ihre Stimme schien unmerklich zu zittern:
„Ich glaube nicht, dass Elaine etwas"
„Du glaubst sie hält zu dir, wenn sie die Wahrheit erfährt?! Dummes Weib! Deine Tochter ist die Einzige mit Verbindung zu de Warenne und seiner kleinen ein Pfennig Jungfrau... sie muss es genommen haben. Es ist die einzig schlüssige Erklärung", meinte Talbot nachdenklich.
„Nein, Elaine hat ebenso wenig von dem Garten gewusst, wie ich", sagte Alice de Warenne überzeugt. Über ihnen erklang Lärm und Geschrei. Sie hörten Talbots Stimme:
„Was war das?" Die drei sprengten von der Tür weg und zogen sich in eine Nische zurück. Keine Sekunde zu spät. Talbot riss die Tür auf und rannte in den dritten Stock.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt