Er ging zu seinem Wandschrank, nahm zwei Gläser hinaus und eine Flasche Whisky. Er befüllte die Gläser, trank seines gleich leer und füllte es erneut. Alexander sah ihn neugierig an und Larraby setzte sich wieder auf seinen Sessel „Ich weiss nicht, wie ich beginnen soll Sir. Die Unterlagen ihres Vaters, waren gelinde gesagt eine Katastrophe. Seine Frau hat sich wohl nicht wirklich darum gekümmert seit er erkrankt war. Nun denn... nach dem ich mehrere Wochen damit zugebracht hatte die Unterlagen zu ordnen, fielen mir gewisse von Hand geschriebene Schriftstücke auf. Es stellte sich heraus, dass es Briefe ihres Vaters waren. Eine Art Tagebuch, wenn sie so wollen. Er hat anscheinend damit begonnen als ihre Mutter, Gott hab sie selig, gestorben war. Viele Schriftstücke fehlten und waren auch nicht vollständig, oft gab es auch grosse Lücken. Beispielsweise damals als er seine zweite Frau ehelichte" er räusperte sich. „Nun er schrieb über Dinge... Dinge, die er bereute, die ihm leid taten... Dinge, die er hätte tun sollen, doch sie nicht konnte. Er sprach über sie" er sah Alec direkt in die Augen „er sprach von ihnen... wie sehr sie ihrer Mutter im Wesen doch ähnelten und ihn dieser Schmerz fast zu zerreissen drohte". Nun war es an Alec das Glas voller Whisky hinunter zu spülen. Damit hatte er nun nicht gerechnet. „Später schrieb er, dass er wüsste, dass er sie aus dem Haus getrieben hatte, mit seiner steinernen Art. Doch er hatte nicht mehr gewusst, wie er mit seinen Söhnen hätte sprechen können, nach all der langen Zeit". Larraby machte eine Pause und fuhr langsam fort „dann wurde es merkwürdig... die letzten Briefe, die ihr Vater schrieb, als er noch bei Sinnen war. Er schrieb so, als dass er wüsste was mit ihm geschehen würde und beinahe so als hätte er es verdient. Die letzten drei Briefe gingen alle in dieselbe Richtung und als ich den Letzten gelesen hatte, da... da wollte ich Nachforschungen anstellen". Er goss sich noch einmal ein Glas ein.
„Nachforschungen wozu?" fragte Alexander, der nicht ganz verstand worauf Larraby hinaus wollte.
„Earl of Cumberland, ihr Vater schrieb in seinem letzten Brief, dass er wüsste, dass man ihn... umbrächte". Alexander sprang aus seinem Sessel
„Wie bitte?! Ich will diesen Brief sehen!" Larraby stand erschüttert auf, ging um Alexander herum auf die andere Seite, klappte eine Reihe Bücher nach unten und entblösste einen Wandtresor. Mit geschickten Handgriffen öffnete er ihn und packte ein Bündel Briefe auf seinen Schreibtisch, zog einen vom Stapel und zeigte Alexander die Stelle, die er ihm soeben genannt hatte. Tatsächlich.
...Ich weiss, dass jemand mich vergiftet und mir den Tod wünscht... ich weiss nicht wer dieser Jemand ist, doch ich habe dieses Schicksal verdient... meine Söhne und meine wunderschöne Elaine sollen in Frieden leben. Ich wünsche ihnen das Beste.
„Das waren die letzten Zeilen ihres Vaters... ich glaube, er dachte einer von" doch Larraby beendete den Satz nicht. Alexander war klar, was er sagen wollte. Sein Vater hatte vermutlich geglaubt, Rickard oder er hätten ihn vergiftet und er hätte dieses Schicksal durch ihre Hände verdient. Alec kniff die Seite des Pergaments zusammen und schloss seine Augen. Konnte es denn wahr sein? Wie könnte so eine abscheuliche Tat nur unter seinen wachsamen Augen geschehen?!
„Wie sicher ist der Verdacht meines Vaters?" fragte er Larraby, doch Alec schien sich selbst schon die Antwort gegeben zu haben.
„Ich muss ehrlich sagen, ich habe nie daran geglaubt, dass sie Lord de Warenne oder ihr Bruder diese Tat getan haben könnten... deswegen meine Reisen nach London. Ich wollte Klarheit. Ich habe begonnen" er öffnete eine Schublade an seinem Tisch und zog einen Stapel Dokumente hervor. „Zeugen zu befragen und ehemalige Hausangestellte bei ihnen. Meine Beweisführung ist noch nicht abgeschlossen" sagte er nach längerem Zögern. Alexander setzte sich wieder in seinen Stuhl.
„Konnten sie die Personen eingrenzen? Haben sie Beweise für eine Vergiftung meines Vaters gefunden?" Der Anwalt atmete tief ein und sah Alec an, als er antwortete
„Lord de Warenne, ich möchte ungern meine Ermittlungen gefährden... so weit bin ich noch nicht. Die Beweise sind noch nicht eindeutig, immerhin hatten wir bis vor kurzem noch Krieg und der König ist tot. Das kostet alles Zeit, ausserdem fehlt mir eine wichtige Aussage eines Dienstmädchens. Ich konnte sie nicht ausfindig machen. Sie scheint wie vom Erdboden verschluckt"
„Wie heisst sie?" wollte Alexander wissen.
„Rose Grey" sagte Larraby nachdem er auf einer seiner Listen nachgesehen hatte. Alexander lächelte, nach einer gefühlten Ewigkeit wieder und sagte
„Das sollte keine Schwierigkeiten darstellen. Sie ist meine Ehefrau". Larraby runzelte die Stirn und Alec klärte ihn umgehend auf
„Isabella Rose Campbell" und Eagan Larraby verstand. „Sobald ich sie wieder in meiner Obhut habe und ich weiss, dass sie und das Kind sich in bester Gesundheit befinden, werde ich sie zu uns einladen, dann können sie meine Ehefrau als Zeugin befragen. Bis dahin werde ich wohl alle unter besondere Beobachtung stellen" meinte Alec nachdenklich. Larraby überblickte seine Dokumente und fragte dann
„Haben sie den Brief ihrer Schwester zufällig dabei?"
„Ja" antwortete Alec zögerlich.
„Würden sie mir den Brief womöglich bis auf weiteres überlassen?"
„Natürlich, ich habe ihn bestimmt schon hunderte Male gelesen" er übergab Larraby den Brief seiner Schwester. Draussen hatte sich die Dunkelheit über die Strassen von London gelegt und die Arbeiter der Stadt entzündeten die Öllampen. „Ich glaube ich habe nun ihre Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen Mister Larraby und danke ihnen für das spontane Gespräch"
„Selbstverständlich Lord de Warenne, immer wieder gerne und ich freue mich ihre Ehefrau kennenzulernen". Er begleitete Alec bis zum Haupteingang. Das Hausmädchen, sie schien die einzige Angestellte in Diensten zu sein, reichte Alec seinen Mantel. Das Gespräch bei Mister Larraby hatte weit mehr als zwei Stunden gedauert. In Surrey House brachte ihm Weston sein Essen ins Ankleidezimmer. Alec war soeben fertig damit, als Ramsey anklopfte.
„Mylord, ich habe ihre Garderobe erstellt. Es ist alles bereit für heute Abend" sagte er stolz und verneigte sich.
„Sehr gut. Ich werde mich jetzt zurückziehen und ein Bad nehmen, welches mir Mister Weston bereitgestellt hat. Später kannst du mich einkleiden. Sieh zu, dass du bis dahin selbst gewaschen bist und deine beste Livree angezogen hast und sorg dafür, dass Mister Weston einen Kutscher für sieben Uhr vorfahren lässt".
Um Punkt sieben Uhr stand eine dunkelbraune Kutsche vor Surrey House und Alexander schritt vornehm gekleidet mit Ramsey im Schlepptau aus dem Haus. Ramsey hielt Alexander die Wagentür auf und sagte zum Fahrer
„In die Sankt James Street zum Whites Club", dann schloss er die Tür, stieg auf den Bock neben den Fahrer und die Pferde setzten sich in Bewegung. Die Kutsche holperte durch die Gassen und Alexander blickte auf seine Kleidung. Er trug ein weisses Seidenhemd mit silbernen Knöpfen an Hals und Armen, darüber hatte er ein dunkelblaues Wams, welches aufwändig bestickt war, ebenfalls mit silbernem Faden. Die Ärmel seines Seidenhemdes waren etwas weit, aber Ramsey hatte ihm versichert, dass dies gerade in Mode war. Das Wams schmiegte sich eng an seine Brust. Enger als er es sich mit seiner Rüstung gewohnt war und Alec schien nur im Entferntesten zu erahnen, was die Damen wohl in ihren Korsagen aushalten mussten. Die schwarzen Kniebundhosen lagen wie eine zweite Haut auf der seinen. Dann die weissen Strümpfe, die in seinen fast schwarz gegerbten Lederschuhen und ihren kleinen Schnallen auf den Seiten verschwanden. Er breitete seinen schwarzen Fellmantel über seine Knie aus und zog seine Lederhandschuhe an. Er hatte alles geplant. Nichts würde schief gehen. Diese Art von Vergnügungen waren relativ neu in London. Obwohl Henry VIII wohl einer der unbeliebtesten Könige gewesen sein musste, so wusste er was Vergnügen bedeutete. Er hatte den Weg für neue Belustigungen gefördert und somit waren Gentlemen Clubs entstanden. Jeder Club hatte eine andere Art von Klientel. Einige hatten politische Ausrichtungen, wiederum andere hatten literarische Ausrichtungen. Es spielte absolut keine Rolle für was man sich begeisterte. Je einflussreicher, mächtiger und reicher man war, desto besser für den Club. Die Mitglieder der Clubs bestimmten wen sie aufnahmen und nur so kam man in den Genuss der Mitgliedschaft. Viele der Clubs waren eingerichtet wie ein Haus. Es hatte Übernachtungsmöglichkeiten, Rückzugsgebiete, Bibliotheken und sie hatten ihre eigene Dienerschaft. Die meisten, wie auch der Whites Club, veranstalteten Glückspiele und lockten somit viele übermütige Spieler in ihre Hallen. Genau darauf spekulierte Alexander. Da er jedoch selten Wert auf die Gesellschaft in London gelegt hatte, war er nur in diesem einen Club Mitglied. Nun hoffte er, dass diese Person, die er suchte, heute Abend ebenfalls dort auftauchen würde. Er war allerdings überzeugt davon, da sich derjenige nie eine Gelegenheit auf ein Spielchen entgehen liess. Der Kutscher hielt an und Ramsey öffnete die Wagentür. Von aussen wirkte das Gebäude wie ein ganz normales Haus eines Peers. Vor dem Eingang mit den Flügeltüren stand ein Diener in prächtiger Livree. Ramsey nannte Alexanders Namen und Titel und die Eingangstür wurde ihnen geöffnet. Schwere rote Vorhänge aus Damast hingen vor den Fenstern. Im gesamten Foyer waren Kandelaber und Kerzen entzündet, was dem Haus einen besonders verruchten Eindruck gab. Dies schien auch Ramseys Gedanken zu beschäftigen.
„Mylord, ist das hier ein Bordell?" flüsterte Ramsey zu Alexander als einer der Diener des Hauses sich von ihnen entfernt hatte, um ihre Mäntel auf zu hängen.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...