Kapitel 4.12 - Doktor O'Learys Anweisungen

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Er kletterte neben sie ins Bett und nahm sie in den Arm. Sie kuschelte sich an seine Brust und schloss ihre Augen. Alecs Herzschlag war kräftig und seine Brust wärmte sie. Sie hoffte, dass nun alle schlimmen Dinge hinter ihnen lagen und sie ihre gemeinsame Zeit geniessen konnten. Er strich ihr zärtlich übers Haar und küsste ihren Schopf. Talbot war nicht mehr. Er hatte diese Welt verlassen und schmorte hoffentlich in der Hölle für seine Taten, die er unschuldigen Menschen zugefügt hatte. Bald könnte sie erneut in den Schlaf sinken und sie seufzte tief. Als sie näher an Alec rutschte, fühlte sie ein merkwürdiges Ziehen. Sie stöhnte auf und krümmte sich. Sie legte ihre Hände auf die Seiten ihres Bauches. Alec war sofort beunruhigt. Er sprang auf:
„Was ist los?" Doch Isabella konnte nicht antworten. Heftige Krämpfe überfielen ihren Leib. Sie atmete stossweise aus. Da ihr das Liegen unangenehm war, wippte sie an den Rand und liess ihre Beine über den Boden baumeln. Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte einen erneuten Krampf zu überstehen. Alec kniete sich vor sie. Sein Gesicht war voller Sorgenfalten und er wirkte sehr nervös. „Was kann ich tun?", fragte er verzweifelt. Isabella kniff ihre Augen zusammen und hörte das Pochen an der Tür nicht. „Liebste?", flehte er an Isabella, aber sie konnte nichts erwidern. Die Schmerzen hatten sie in ihren Bann gezogen. Nun waren zwei Männerstimmen zu hören. „Ich weiss es nicht... gerade war alles noch", hörte sie Alec sagen. Isabella hatte den Kopf auf den Boden gerichtet und kniff ihre Augen zusammen.
„Mylady hören Sie mich?" O'Learys Stimme drang an ihre Ohren. Sie riss ihre Augen auf und sah ihn vor sich Knien. „Lassen Sie mich kurz fühlen", meinte er und streckte seine Hände zu ihrem Bauch. „Verzeihung, ich habe kalte Hände", meinte er entschuldigend. Isabella schluckte und verzog erneut ihr Gesicht vor Schmerz. „Es sind frühe Wehen... leider stärker als gewöhnlich", sagte der Doktor mit besorgter Stimme.
„Sie hatte schon einmal solche Schmerzen", warf Alec ein. „Vor ein paar Monaten. Ich habe einen Arzt holen lassen, bevor", er brach ab. Sie wusste, was danach geschehen war.
„Wir müssen sie entspannen lassen. Hilf mir", sagte O'Leary an Alec gewandt. Er ergriff ihre Beine und Alec nahm sie von oben. „Legen wir sie auf den Rücken." Sie hielt in ihrer Haltung inne, presste beide Hände an ihren Unterleib. Die beiden Männer legten sie auf den Rücken und hielten ihre Füsse in die Höhe. Alec baute einen Turm aus Kissen und Decken, dann legten sie ihre Beine darauf ab. O'Leary setzte sich auf eine Seite und auf die andere Alec. „Versuch sie auf andere Gedanken zu bringen", meinte O'Leary und Alecs Gesicht erschien in ihrem Sichtfeld:
„Liebste... ich", stotterte er, „ich habe mir grosse Sorgen gemacht... um dich, um das Kind... Möglicherweise war ich wütend auf Rickard, aber glaub mir ich... ich habe ihm verziehen", haspelte er und warf immer wieder einen Blick auf O'Leary. Sie spürte wie O'Leary mit seinen Händen über ihren Bauch strich. Er nahm eine ölige Flüssigkeit und verteilte sie auf ihrer runden Wölbung. Sie stiess immer noch scharf die Luft zwischen ihren Zähnen hervor. O'Leary begann ihre Rundung zu massieren und Alec sprach ununterbrochen weiter.
„Entspannen Sie sich", mahnte O'Leary. Isabella schloss die Augen und versuchte ruhiger ein- und auszuatmen. Die monotonen Bewegungen O'Learys Hände schienen langsam ihre Schmerzen zu lindern. Sie konnte befreiter Atmen und allmählich glättete sich ihre Stirn. Die brennenden Blitze in ihrem Unterleib verblassten, bis sie fast verschwunden waren. Sie war nass und durchgeschwitzt. Als Isabella die Augen öffnete, blickte Alec besorgt und O'Leary schmunzelte zufrieden: „Das waren soeben die ersten Wehen", meinte der Doktor völlig ungerührt. Alec wischte sich den Schweiss von der Stirn und sah überrascht aus:
„Du meinst das Kind kommt jetzt?", seine Stimme klang ängstlich.
„Nein", meinte der Arzt bestimmt, „aber wir müssen diese Kontraktionen ernst nehmen. Ich verschreibe zwingend Bettruhe und keine Aufregung, wenn Sie sich nicht daranhalten", sagte er zu Isabella, „werden wir riskieren, dass das Kind zu früh kommt. Und angesichts dessen was Sie durchgestanden haben, halte ich es für das Beste, wenn das Kind so lange es nur möglich ist im Mutterleib verbleibt. Keine Anstrengungen... das schliesst Gehen mit ein." Er drückte Alec eine kleine Flasche in die Hand: „Reibe ihr damit den Bauch ein. Vor allem wenn es erneut zu Kontraktionen kommt. Und sie, Lady Cumberland, müssen versuchen sich zu entspannen, auf keinen Fall dürfen Sie jetzt schon den Wehen entgegen drücken." Er klappte seine Tasche auf und Alexander half Isabella wieder unter die Bettdecke. „Ich werde Sie nun genau untersuchen." Er besah sich Isabellas Zustand. „Die Anstrengungen", sagte er als er ihre wunden Stellen abtastete, „die Ihr erlitten habt und die Schwangerschaft, zerren an Euren Kräften. Ihr müsst sehen, dass Ihr genügend esst, sonst könnte die Geburt äusserst schmerzhaft werden. Dies hier war nur ein kleiner Vorgeschmack", sagte er zu Isabella. Nun hob er die Bettdecke und lächelte sie freundlich an. Isabella sah zu Alec und er wandte seinen Blick nicht von ihr. O'Leary betastete sie und untersuchte ihr Ungeborenes. Sie spürte, wie er seine Hand unter der Bettdecke hervorzog, sie bedeckte und sie sich wieder entspannt in die Kissen legen konnte.
„Wann sollte es soweit sein?", fragte Alexander neugierig. Doktor O'Leary besah sich Isabellas Bauch:
„Schwer zu sagen. Durch das Hungern in der Zeit ihrer Gefangenschaft konnte sich das Kind nicht richtig ausdehnen. Aber da sie jetzt schon solche Vorwehen hat, vermute ich, es könnte noch ungefähr einen Monat dauern."
„Nur noch einen Monat?!", entfuhr es Alec und seine Stimme zitterte. Er setzte sich in den Sessel neben dem Bett.
„Ja bald wirst du deinen Erben oder deine Tochter in den Armen halten", lächelte O'Leary. Er packte seine Tasche und wollte sich verabschieden. Da fasste Isabella ihren gesamten Mut:
„Doktor O'Leary", sie lief rot an und holte tief Luft, „ich... das ist mein erstes Kind." Sie sah aus den Augenwinkeln wie Alec aufsah. „Ich weiss nicht, was mich genau erwartet und... ich fürchte mich ein wenig." Sie ballte ihre Fäuste zusammen und presste sie in die Bettdecke. Alec stand auf und setzte sich neben sie, legte seinen Arm um ihre Schultern und sagte:
„Verzeih mir Liebste... ich habe nicht daran gedacht... du warst so lange alleine mit deinen Ängsten." Sie sah in seine dunklen Augen und lächelte zart.
„Natürlich", meinte O'Leary, „ich selbst habe auch nicht darüber nachgedacht Mylady. Für mich ist es eine Routine geworden." Er setzte sich auf den Sessel. „In der Regel gibt es mehrere Anzeichen, dass die Niederkunft kurz bevorsteht. Einige Mütter haben teilweise Tage zuvor einen kleinen Blutverlust, was nicht zu Verunsicherung führen sollte. Ein weiteres Anzeichen ist das Platzen der Fruchtblase. Dies zeigt an, dass die Geburt in den nächsten Stunden beginnen wird und in der Regel kommen dann die ersten unregelmässigen Wehen. Diese Eröffnungsphase dauert am längsten", er hielt inne. Isabella drückte Alecs Hand. „Sie kann einige Stunden dauern bis sich die Wehen in einem regelmässigen Rhythmus gefunden haben", er räusperte sich. „Die Wehen dauern an bis... bis sich die Öffnung genug vergrössert hat, um das Kind in die Welt zu entlassen."
„Das ist der gesamte Geburtsvorgang?", fragte Isabella skeptisch. O'Leary wurde etwas rot, doch er antwortete:
„Nun ja, nachdem die Mutter niedergekommen ist, kommen weitere Wehen, welche die Secundina aus dem Mutterleib hinausbefördert. Zudem wird die Nabelschnur, die Mutter und Kind verbindet, gekappt." Isabella atmete aus. Bisher klang alles sehr abstrakt. Alec hielt sie fest:
„Was soll ich währenddessen tun?", fragte er unsicher. O'Leary lachte:
„In der Regel wartet der werdende Vater im Salon, bis die Niederkunft vorbei ist. Die werdende Mutter sollte sich mit ihren Freundinnen und der Hebamme um die Niederkunft kümmern. Denn die meisten Väter sind der Aufgabe nicht gewachsen", meinte er lächelnd an Alec gewandt. Isabella blickte in Alecs Gesicht und sah wie bleich er geworden war.
„Fürchtest du dich?", fragte Isabella amüsiert und seine Angst schien ihre zu vertreiben.
„Ein wenig", meinte er trocken. O'Leary erhob sich:
„Ich werde eine geeignete Hebamme suchen und sie hierher senden. Sie sollte sich mit Ihnen, Mylady, vertraut machen. Aus meiner Erfahrung verläuft die Geburt am reibungslosesten, wenn sich die Gebärende so wohl wie möglich fühlt. Deshalb solltet Ihr Euch so einrichten, dass hier ein Ort der Besinnlichkeit und Entspannung herrscht." Er verabschiedete sich und Alec begleitete ihn zur Tür. Sie hörte ihren Ehemann leise fragen:
„Bruce, sag mir was ich für sie tun kann. Jetzt und währenddessen?"
„Versuch alle unangenehmen Dinge von ihr fernzuhalten. Sorg dafür, dass euer Kind alles hat was es braucht, wenn es die Welt erblickt. Schau zu, dass deine Frau nette Gesellschaft hat und Freundinnen, die sie während der Geburt begleiten. Vertraute Gesichter beruhigen die Gebärenden. Die Geburt musst du wohl oder übel alleine überstehen. Deine Frau wird dann alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Möglicherweise lenken dich ein paar Gäste ab?", sagte O'Leary lässig und trat aus der Tür: „Und ach ja Alec, keinen Beischlaf bis nur Niederkunft. Es könnte die Geburt beschleunigen."
„Daran hatte ich auch nicht gedacht... ich bin nur erleichtert, dass ich sie wieder um mich habe." Sie hörte wie O'Leary den Gang entlang ging und die Treppe erreichte. Alec schloss die Tür. „Wie fühlst du dich?", fragte er und reichte ihr ein Glas Met.
„Ich bin nun nicht mehr voller Angst. Es wird schmerzhaft werden, dass wusste ich, aber... in den letzten Wochen haben mich fürchterliche Alpträume über die Niederkunft heimgesucht und ich wusste nicht", sie senkte ihren Blick, da das Gefühl, welches sie damals hatte, in ihr erneut empor stieg, „ob du dann bei mir sein würdest. Die Vorstellung das Kind im Lager dieser Barbaren und unter Talbots Fängen zu gebären war schrecklich." Alec setzte sich zu ihr und nahm ihre Hände in die seinen:
„Isabella, ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen was du, ihr, durchmachen musstet."
„Ich habe es mir so sehr ersehnt dann an deiner Seite zu sein", sie schmunzelte. „Mein Wunsch ist in Erfüllung gegangen." Er küsste ihre Hände:
„Isabella... meine wunderschöne Frau." Er strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr: „Ich tue alles was du von mir willst. Sag es und ich werde alles Mögliche unternehmen, damit du dich wohl fühlst." Isabella zog ihn zu sich heran:
„Im Moment möchte ich einfach nur an deiner Seite einschlafen." Daraufhin streifte er sein Hemd ab und schlüpfte zu ihr unter die Decken. Er zog sie nah an sich heran und sie kuschelte sich an seine vertraute Brust. Seine Wunde, die ihm Rosco zugefügt hatte, verheilte gut. Sie strich sanft darüber und Alec zuckte etwas zusammen. „Schmerzt es noch immer?"
„Nein nicht wirklich. Die Stelle ist nur sehr empfindlich." Sie legte ihren Kopf ab und lauschte seinem Herzen. „Träume wohl meine Ehefrau und sei dir gewiss, dass dir nun nichts mehr geschehen kann."

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt