Sie blickte hinab auf ihre Hand, in der ein goldener Ring und eine filigrane Halskette mit einem Kreuz lagen. Als die Söldner mit Soggy Pete beschäftigt waren, war sie zu Ben heran gerutscht und hatte ihm seinen Ehering und seine Kette abgenommen. Sie würde seine Gegenstände seiner Familie überreichen, damit sie wenigstens etwas hatten, um sich von ihm zu verabschieden. Immer wenn in den letzten Stunden noch einmal Zweifel aufkamen, betrachtete sie diese beiden Dinge und erinnerte sich an diesen Nachmittag. Sie musste Alecs Männer in Sicherheit bringen, es gab keine andere Möglichkeit. Bens Opfer sollte nicht umsonst gewesen sein. Der Samstagabend brach an und sie hörte, wie die Söldner sich bereit machten. Isabella legte sich auf ihre Pritsche. Sie schloss ihre Augen und hoffte inständig ihr Plan möge aufgehen, als erneut ihr Zelt gestürmt wurde. Rosco stand in voller Montur im Eingang und betrachtete sie lüstern. Ihr Blick wurde steif. Sein Schwert sass im Schaft und stach hervor.
„Zieh deinen Mantel an" sagte er und lächelte boshaft. Isabella bewegte sich nicht.
„Wozu?" fragte sie argwöhnisch.
„Du bist nicht hier, um Fragen zu stellen Weib! Oder hast du vergessen was ich mit dem lieben Ben angestellt habe?" Er schien mit Freude zu sehen, wie er sie im Griff hatte und sie marionettenhaft aufstand, ihren dicken Fellmantel ergriff und ihn sich überwarf. Er führte sie vor sich her und wuchtete sie auf sein Pferd. Isabella schauderte etwas. Er schwang sich hinter ihr hinauf und die Söldner setzten sich in Bewegung. Mit Befriedigung stellte sie fest, dass alle Söldner an dieser Prozession teilnahmen und keiner zurück im Lager blieb. Talbot und seine Männer würden auf sich allein gestellt sein. Ungefähr eine Stunde ritten sie bis sie einen Wald erreichten. Er war sehr dicht und die Bäume wirkten kränklich. Nach einer weiteren halben Stunde erreichten sie ein Moor. Eine marode Hütte stand am Rande eines Teiches und Schilfgras rankte sich an der Teichseite der Hütte empor. Nebel lag auf der gesamten Lichtung und nur das Mondlicht warf einen silbrigen Lichtstrahl auf den Teich. Rosco hielt an und stieg von seinem Pferd. Ein Kautz schuhute über ihren Köpfen und das scharren der Pferdehufe liess den Nebel aufwirbeln. Rosco schritt zu der alten Hütte und polterte an die Tür. Nach einer Weile öffnete sich die Haustür einen Spaltbreit und eine verhutzelte alte Frau kam zum Vorschein.
„Was wollt ihr?" blaffte sie ihn an.
„Ich will meine Männer begraben" hörte Isabella ihn sagen und dann erwiderte die Frau etwas, dass Isabella nicht verstehen konnte. Die Tür wurde geschlossen und Rosco wandte sich um „Macht die Pferde fest" befahl er seinen Männern „und dann alle hinter die Hütte". Er kam auf Isabella zu, nahm sein Pferd und ging zu einem Baum. Zäunte die Zügel fest und packte Isabella an der Taille „Du kommst mit mir" raunte er ihr ins Ohr.
„Was habt ihr vor?" sagte sie mit allem Mut, den sie noch in sich zusammenkratzen konnte. Er lächelte nur und schleifte sie hinter die zerfallende Hütte. Ein Feuer brannte dort und ein Kessel war darüber aufgehängt worden. Die alte Frau aus dem Haus stand davor und warf verschiedene Dinge hinein. Isabella konnte nicht erkennen was es war und spürte leichte Panik. Die Frau vor dem Kessel war alt. Isabella war sich nicht sicher, jemals eine solch alte Frau gesehen zu haben. Ihr schneeweisses Haar war hüftlang. Es wirkte zerzaust und buschig. Sie war recht gross und dürr, aber aufgrund ihres Alters musste sie sich gebückt bewegen.
„Holt die Kisten da hinten" sagte sie an Rosco gewandt. Rosco gab den Befehl weiter und zwei seiner Söldner brachten sie der alten Frau. „Macht mehrere kleine Feuer in einem Kreis um den Kessel, darin verbrennen wir ein spezielles Kraut" von den Kisten ging ein sehr gewöhnungsbedürftiger Geruch aus, den Isabella bisher noch nie gerochen hatte. Die Söldner machten in einem grösseren Kreis um den Kessel mehrere kleine Feuer und entzündeten sie. Einiges weiter weg trugen andere Söldner grosse Holzscheite zusammen. Isabella erzitterte. Es erinnerte sie ein wenig an eine Hexenverbrennung, wenn sie diese grosse Feuerstelle betrachtete. Als die Söldner mit der grossen Feuerstelle zufrieden waren, hievten sie die Leichen von den Wagen und legten sie auf den Boden nebeneinander. Mit Soggy Pete waren es genau sieben tote Söldner, die in weissen Lacken vor den Holzscheiten lagen. Es war auch langsam Zeit geworden, dass die Toten begraben wurden. Sie hatten mittlerweile ausserhalb des Lagers abgelegt werden müssen, da sie einen enorm starken Totengeruch verbreitet hatten und einige schon so arg verwest waren, dass Maden sich in ihrem Fleisch festgesetzt hatten. Sie war schon ziemlich neugierig warum die Söldner ihre Gefallenen nicht, wie üblich vor Ort, verbrannt, sondern alle aufbewahrt hatten und sie erst hier an diesem Ort beerdigten. Die Alte wich von ihrem Kessel zurück und rief „Alles bereit Rosco?" Er nickte ihr zu. „Dann entzündet die Feuer". Sie lief zu den kleinen Feuern und warf das Kraut aus den Kisten hinein. Sofort stieg Rauch auf und ein merkwürdiger Duft, der Isabella in der Nase juckte, verteilte sich im Moor. Erst jetzt schien die alte Frau Isabella zu bemerken oder ihr ihre Aufmerksamkeit zu schenken, aber wie sie Isabella ansah, gefiel ihr nicht. Sie wich zurück. „Kommt und tretet an die Feuer" rief sie den Söldnern zu. „Atmet die Geister eurer toten Kameraden ein!" Ihr Blick blieb an Isabella haften. Sie blieb allerdings bei ihrem Kessel stehen. Die Söldner, auch Rosco versammelten sich um die kleinen Feuer und atmeten die Rauchschwaden ein. Die alte Frau warf immer wieder das Kraut aus den Kisten hinein und eine neue Rauchwolke stieg auf. Isabella beobachte aus sicherer Entfernung was geschah. Sie sah, wie sich das Verhalten der Söldner änderte. Ihre steife Haltung wurde lockerer, ihr Gang wiegender und auf ihrem Gesicht da trat fast ein glückseliger Ausdruck. Als die alte Frau etwa zum zehnten Mal das Kraut nachgeworfen hatte, sagte sie „Nun lasst uns mit der Zeremonie beginnen... holt euch die Stücke eurer gegangenen Kammeraden, dort wo sie getroffen wurden". Isabella erbleichte. Sie drehte sich um, sie musste hier weg. Stimmten den diese Gerüchte doch?! Aber bevor sie ausser Hörweite war, drang an ihr Ohr „Rosco und du bringst mir sie". Isabella hörte seine schnellen Schritte und dann packten Arme sie und es war zu spät.
„Nein!" schrie sie „Lasst mich los!", doch nichts half. Auch wenn sie spürte, dass Rosco durchaus benebelt sein musste durch dieses Kraut, so war er dennoch Herr seiner niederen Triebe. Als er sie runter liess, stand sie vor der alten Frau, inmitten der Rauchschwaden. Sie lächelte sie an und Isabella starrte zurück.
„Ohh Rosco du hast mir eine befruchtete Blüte gebracht!" jubilierte die Alte äusserst entzückt. Sie streckte ihre langen dünnen Finger nach Isabellas Bauch aus „Das ist für unsere Zeremonie noch besser als eine Jungfrau". Als Rosco sich entfernte und Isabella bei der alten Frau alleine stand, sagte sie
„Bitte lassen sie mich gehen". Die Augen der Alten schienen zu glühen, als sie erwiderte
„Gehen lassen? Um Himmelswillen, wieso sollte ich das tun?" Die Dämpfe des Rauches und die Hitzeschwaden des Kessels machten Isabella selbst etwas dusselig. Sie sah alle Söldner in einem Halbkreis um den Kessel stehen. Die Alte packte Isabellas Hand und hob sie in die Höhe. Einige hatten, Isabella zuckte zusammen, Stücke von den Toten in ihren Händen. „Meine Lieben, heute Nacht werden die Seelen eurer Kameraden in die Freiheit entlassen und fahren dorthin wo alle Söldner ihre ewigen Jagdgründe vorfinden werden! Mit dem Blut einer Frau, einer jungen Frau, werden sie dieses Tor durchtreten und dieses Mal werden sie es mit dem Blut einer besonders fruchtbaren jungen Frau tun! Dies wird ihnen mehr Kraft verleihen und sie unbesiegbar machen!" Ein beunruhigendes Grummeln ging durch die Söldner. Noch bevor Isabella ihre Hand wegziehen konnte, blitzte das Messer der alten Frau auf und sie setzte es an Isabellas Handinnenfläche und zog einen langen tiefen Schnitt durch ihre ganze Hand. Die Männer johlten alle auf und Isabellas Aufschrei ging im Tumult der Menge unter. Sie konnte ihre Hand nicht aus dem Klammergriff der Alten ziehen, da sie ihre Hand fest und über den Kessel hielt. Isabella wagte einen Blick und sah, wie ihr Blut in den Kessel rann. Die Alte liess das Blut hineinfliessen und erst als sie anscheinend der Meinung war, es sei genug, liess sie Isabellas Hand los. Isabella fiel zurück. Benebelt von dem Duft dieses Krautes und des Schmerzes in ihrer Handfläche, kroch sie von dem Kessel weg. Weg von der Alten und der Menge der Söldner. Sie hörte die Gruppe aufheulen und wie das Wasser im Kessel plätscherte. Die Alte rief „Jedes Stück eurer Gefallenen soll im Sud des Fleisches kochen". Isabella kroch weiter, versuchte ihre vernebelten Gedanken zu ordnen. Sie erreichte die Hütte und tastete sich auf die andere Hausseite. Die Stimmen verblassten. Sie lehnte sich an die Hüttenwand und atmete flach. Nach einer Weile öffnete sie ihre Augen und sah das Mondlicht auf sie niederstrahlen. Ganz sanft öffnete sie ihre Hand. Sie biss sich auf die Lippe, da der Schmerz stark war. Das Blut rann ihr den Unterarm hinab und sie konnte erst nicht erkennen, wie tief und wie gross der Schnitt war. Sie zog an ihrem Rock und riss ein Stück Stoff ab. Er war bereits zerfetzt. Sie drückte das Stoffstück auf die Wunde und es saugte sich sofort mit Blut voll. Der Schnitt reichte vom kleinen Finger bis über ihren Daumenballen. Schnell presste sie wieder den Stofffetzen darauf. Mit ihren Zähnen riss sie ein zweites Stück Stoff aus ihrem Rock und band es um ihre Hand, verschnürte es so gut es ging und liess es los. Das musste reichen. Isabella wusste diese Art von Schnitt konnte tödlich sein. Wenn sie nicht schnell die Wunde versorgen konnte, würde dies ein grosses Problem werden. Sie blickte hinauf zum Mond. Es war Vollmond und Isabella hoffte, dass ihren Männern im Lager die Flucht soeben gelingen würde. Einige Zeit später war es stiller geworden und Isabella spähte um die Hausecke. Sie sah, wie einige Söldner nun vor dem grossen Feuer standen. Die Alte warf Kräuter ins Feuer und weitere dicke Rauchschwaden erhoben sich in den nachtschwarzen Himmel. Zweifellos würden die Reste der Leichen dort verbrannt werden... sie hoffte es inständig. Aber eine Bewegung in der Nähe des Moores liess sie innehalten. Dort standen weitere Söldner machten seltsame Schwingbewegungen, als würden sie etwas werfen. Sie fühlte, wie es ihr kalt den Rücken hinab lief. War es möglich? Warfen sie weitere Leichenteile in das Moor? Isabella hatte genug gesehen. Sie lehnte sich erneut an die Wand und schloss die Augen. Sie fühlte ein unangenehmes Kribbeln. Wenn sie daran dachte, wie sehr sie das Moor bei sich zu Hause geliebt hatte! Nun mit der Vorstellung Leichenteile würden dort vor sich hin modern, weil Söldner in Mooren ihre Riten abhielten, sah sie diese nun mit anderen Augen. Wie bizarr! Sie würde lange benötigen bis sie diesen Ausflug hier vergessen würde. Sie legte ihren Kopf an die Wand und versuchte ihre Augen zu schliessen, an etwas anderes zu denken. Von hinter dem Haus drangen immer noch die Stimmen der Alten und das Grummeln der Söldner. Das Kraut muss eine unheimliche Wirkung haben, wenn man es direkt einatmete, dachte Isabella.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...