Kapitel 4.14 - Alices Geheimnis

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Jeden Tag kamen Molly und Elaine nun zu ihrer Erheiterung in ihr Gemach. Jedoch fiel Isabella bald auf, dass sie mit ihr nur über relativ belanglose Dinge sprachen und immer, wenn sie wissen wollte was vor sich ging oder warum Alice de Warenne immer noch eingesperrt war, erhielt sie nur ausflüchtige Antworten. Selbst aus Alexander brachte sie kein Wort heraus. Er blieb stumm und war der Ansicht, sie sollte sich nicht aufregen. Sie spürte, dass Elaine verstimmt war und Alexander aus dem Weg zu gehen schien. Selbst als sie Alexander darauf angesprochen hatte, weigerte er sich ihr mehr über die Geschehnisse zu berichten. An diesem Nachmittag war Elaine nicht in ihrem Gemach erschienen und Isabella hatte darum Molly gebeten nach ihr zu sehen. Sie sass in ihre Kissen gelehnt und versuchte die aufkeimende Frustration ihrer Situation zu unterdrücken, als die Tür geöffnet wurde. Isabella sah sofort auf, da sie dachte Molly oder Elaine wären zurückgekehrt. Doch sie waren es nicht. In der Tür erschien Alice de Warenne. Die Eleganz, die sie bisher umgeben hatte, schien verfallen. Ihre Haare waren offen und nicht ordentlich gekämmt. Das braune glatte Haar war matt und ihre eisigen blauen Augen hatten ihr Funkeln verloren. Sie trug ein schwarzes Kleid mit einem goldenen Gürtel um ihre Taille. Die Ärmel waren etwas weiter und hingen hinab. Über den schwarzen Stoff zog sich in etwas hellerem Schwarz, von ihrer Taille abwärts, eine Stickerei. Obwohl sie nicht mehr ihre volle Erscheinung besass, so war sie doch immer noch die hochmütige Herrin von Surrey. Ihr kantiges Gesicht hatte einen verächtlichen Blick und ihre Lippen waren zu schmalen Schlitzen zusammengepresst. Sie drückte die Tür mit ihrem Rücken zu und drehte dann den Schlüssel um. Isabella konnte die Feindseligkeit fühlen, die sie ihr entgegenwarf, noch bevor sie ihr die ersten Worte entgegenschleuderte.
„Wie könnt Ihr es wagen all meine Anstrengungen zunichte zu machen?! Was seid Ihr schon!", zischte sie und bewegte sich langsam und graziös auf Isabella zu. „Mir gehört Surrey und der Titel einer Countess! Ihr wisst nicht mit wem Ihr es zu tun habt", keifte sie. Isabella starrte sie an, unsicher was sie antworten sollte. „Wie viele von Euch schottischen Huren werden noch mehr englische Gentlemen mit ihrem Zauber verhexen und für sich beanspruchen?"
„Ich will Ihren Titel und Surrey nicht", entgegnete Isabella erbost.
„Natürlich nicht mon amie! Ihr habt ja Cumberland, welches Euch zu steht, nicht wahr?"
„Ich habe Alexander nicht deswegen geheiratet", warf Isabella zurück. Alice begann zu lachen:
„Nicht deshalb?! Geheiratet! Wie amüsant, Ihr glaubt wirklich eine schnell geschlossene Ehe im Krieg macht Euch zur Frau eines de Warenne?! Wie dumm müsst Ihr sein dies zu glauben... Ihr seid nur eine gewöhnliche Metze, nichts was Beachtung verdient!" Alice de Warenne stand nun direkt vor dem Himmelbett und ihre Augen blitzten ihr entgegen. Isabella versuchte sich aufzurichten, damit sie Alice nicht über sich hatte.
„Verlassen Sie sofort mein Gemach", befahl sie, doch Alice gackerte laut:
„Ha, dass ich nicht lache, du dreckiges Biest willst hier Befehle erteilen? Du bist hier nur ein gewöhnliches Dienstmädchen." Alice trat nah ans Bett und Isabella schlug die Decke zurück. Sie wollte sich nicht in einer unterwürfigen Position befinden, falls Alice de Warenne sie angreifen sollte. Sie erhob sich auf der gegenüberliegenden Seite von der Matratze. Doch Alice kam auf die andere Seite und versperrte ihr den Weg. „Du nichtsnutzige Hure", keuchte sie überrascht, „du hast dir einen Bastard machen lassen." Alice de Warennes Gesicht war weiss geworden. Zorn funkelte in ihren Augen. Aber Isabella war nicht minder wütend:
„Wie könnt Ihr es wagen in mein Gemach zu stürmen und mich und den zukünftigen Erben von Alexander de Warenne so schändlich zu beschimpfen? Glaubt ja nicht ich würde es dulden"
„Dulden?! Du warst schon als Dienstmädchen eine unverschämte Plage! Denk ja nicht, du hättest einen Anspruch... dieser Bastard wird als ein Bastard aufwachsen und du wirst nach Schottland zurückkehren!" An der Tür waren Stimmen zu hören und aufgeregtes Klopfen. Isabella hörte Alexanders Stimme.
„Lassen Sie mich vorbei", sagte Isabella bestimmt, doch Alice de Warenne dachte nicht daran. In ihren Augen funkelten plötzlich Tränen:
„Ich habe nicht alles geopfert, damit eine dahergelaufene Schottin das erhält, was mir und meiner Tochter zusteht!", sagte Alice zitternd und warf einen Blick zur Tür. Jemand schien gerade dagegen zu krachen und das Holz splitterte leicht. Isabella durchfuhr Mitleid:
„Alec würde niemals zu lassen, dass Elaine nicht eine angemessene Mitgift erhält. Sie wird immer ein Teil seines, unseres Lebens sein", erwiderte sie versöhnlicher. Alice sah sie verachtend an:
„Du glaubst damit sei alles geklärt?! Ich habe meine Jugend geopfert... meine Seele", hauchte sie. In diesem Moment krachte es und die Tür brach aus ihren Angeln. Alexander, gefolgt von seinen Männern, stürmte in den Raum. Alice warf einen giftigen Blick zu ihnen.
„Nehmt sie fest", sprach Alec so kalt, dass sich sogar Isabellas Nackenhaare aufstellten. Seine Miene war mörderisch. Alice de Warenne wehrte sich gegen ihre Bewacher und versuchte ihre Arme wegzureissen, doch sie waren zu stark.
„Ich bin", stöhnte sie, „eure Mutter!" Die Soldaten zerrten sie zur Tür. Sie hatten alle Mühe, denn Alice zappelte und sperrte sich mit aller Kraft. Alec schloss seine Lider und sagte nur knapp:
„Sorgt dafür, dass sie still ist." Seine Männer verliessen mit ihr das Gemach und brachten sie weg. Isabella starrte immer noch zur Tür. Rickard und Thomas standen reglos im Rahmen und warfen einen verstohlenen Blick auf Alexander. „Lasst uns allein", meinte Alec, immer noch um Fassung bemühend. Die beiden verliessen das Zimmer. Die Tür hing noch an einer Angel und Isabella sah, dass die Vorderseite von der Kraft eines Aufpralles, eingedrückt war. Isabella stakste auf ihn zu:
„Alexander", flüsterte sie und umarmte ihren Mann. Er hatte seine Augen immer noch geschlossen und legte sanft seine Arme um sie. Sie spürte, wie sich seine angespannten Muskeln langsam entkrampften. Isabella hob den Kopf und sah in das ihr so geliebte Gesicht. Er hatte einen dunklen Schatten um sein Kinn und Augenringe. Alec sah müde und fast ein wenig kränklich aus. Was ging hier nur vor? „Alec was geht hier vor? Wieso ist Alice de Warenne eingesperrt?" Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht:
„Es ist nichts meine schöne Rose", schwindelte er.
„Alexander, sag mir die Wahrheit. Verheimliche nichts vor mir", bat Isabella. Seine Miene verzog sich und er sah gequält aus:
„Du solltest dich entspannen, Ruhe finden, dich wohlfühlen"
„Aber Alec, Liebster... es beunruhigt mich mehr, wenn du dich mir nicht anvertraust. Und nach diesem Vorfall, glaubst du wirklich, ich kann so tun als wäre nichts geschehen?" Er presste seine süssen Lippen schmal zusammen und starrte mit seinen fast schwarzen Augen in ihre. Der hellblaugraue Schimmer flackerte und Isabella strich mit ihrer Hand an seiner Wange entlang. Er nahm ihre Hand und küsste die Fingerkuppen:
„Alice de Warenne hat George Talbot gekannt", sagte er seufzend.
„Niemals!?", entfuhr es ihr.
„Doch. Als wir hier ankamen, belauschte ich zufälligerweise ein Gespräch zwischen ihr und Talbot. Ich wurde nicht ganz schlau aus der Sache und dann folgte eines nach dem anderen. Ich habe sie in ihren Gemächern eingeschlossen. Sie wird bewacht, bis ich mir im Klaren darüber bin, was dies bedeutet", schloss er und sah sie an. Isabellas Phantasie überschlug sich. Woher sollten sich diese beiden kennen? Und was bedeutete es! Sie schüttelte den Kopf und liess von Alec ab. Nervös nahm sie eine ihrer Locken zwischen die Finger und zwirbelte sie umher. Sie lief vor Alec auf und ab und er beobachtete sie.
„Nein...", sagte sie, mehr zu sich selbst als zu Alec, „das ergibt doch überhaupt keinen Sinn! Woher... warum", spekulierte sie.
„Es würde mindestens erklären, warum Talbot hier kein Massaker angerichtet hat... denn ich war ehrlich gesagt überzeugt davon, dass er nicht zimperlich sein würde." Isabella hielt inne und sah ihren Ehemann an. Er hatte recht. Diese Frage hatte sie sich ja selbst gestellt. Die Locke zwischen ihren Fingern drehend, kam sie zu einem Entschluss:
„Talbot ist Tod. Ihn können wir nicht befragen... aber Alice", meinte sie und sah ihren Mann fragend an.
„Allerdings... aber wir tun hier gar nichts. Ich werde sie befragen", meinte er ruhig.
„Aber es geht um meine Angelegenheit", protestierte Isabella. „Ich sollte es tun." Alexander schüttelte den Kopf:
„Seit diesem Tag im Kommandozelt, als ich dich geehelicht habe, ist es auch meine Angelegenheit. Du solltest deinen Platz einnehmen und dich deiner Aufgabe, unserem ungeborenen Kind, widmen. Es gibt keine Einzelkämpfe mehr Isabella. Ich bin es, der diese Familie beschützt", sagte er barsch. Das traf sie. Sie liess ihre Locke fallen und entgegnete seinem Blick. Es hatte keinen Sinn Widerworte zu leisten. Sie wusste, dass er in dieser Angelegenheit unter Druck stand und es sein stures störrisches Wesen war, welches hier durchdrang. Sie wandte sich von ihm ab und kletterte zurück ins Himmelbett. Er stand noch einen Moment unschlüssig da, aber dann drehte er sich um und verschwand aus der kaputten Tür. Sie hatte wohl keine Widerworte geleistet, aber sie wollte ihm auch klar machen, dass sie seine Worte gekränkt hatten. Er kam in dieser Nacht nicht zurück in ihr Bett. Sie bereute ihre abwehrende Haltung fast. Sie wusste, dass er sie und ihre Familie beschützen konnte und daran zweifelte sie keinen Moment, doch er konnte nicht erwarten, dass sie ihre Individualität aufgab. Im Innersten wusste sie, er würde sie nicht entmündigen, sodass sie keine eigenen Entscheidungen mehr treffen konnte. Die Situation schlug ihr dennoch aufs Gemüt und Isabella hatte an diesem Tag keine grosse Lust auf Gesellschaft, aber sie wollte Molly und Elaine nicht kränken. So sass sie einfach schweigend im Bett und hörte ihnen zu.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt