Kapitel 2.5 - In memoriam

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Die vielen Worte, die er zu ihr gesprochen hatte, schwirrten in ihrem Kopf umher. Er wollte Alec töten und nur aus dem simplen Grund, dass er sich einen ebenbürtigen Gegner wünschte. Isabella biss sich auf die Unterlippe. Sie hatte gehofft ihn mit Münzen bestechen zu können. Wie sollte sie das nur verhindern? Sie musste ihre Flucht in die Wege leiten, sobald sie dafür die besten Chancen hatten. Auf diese Weise würden sich Alec und Rosco nie begegnen. Ausserdem war sie froh, dass Dustin noch heil war und man ihn begraben konnte. Als sie in das Gefangenenzelt trat erschlug sie der modernde faulige Geruch von totem Fleisch und offenen Wunden. Der Anblick war abscheulich. Die Männer waren wie sie an Pfählen befestigt worden und hingen halb bewusstlos in ihren Ketten. Einer der ersten war Marcus. Sein gesamter Körper war mit Striemen übersät und sie konnte keine Stelle ausmachen, die nicht voller Blut war.
„Marcus" sagte sie mit bebender Stimme. Erst jetzt bemerkten sie die Männer und begannen zu flüstern. Sie musste Marcus mehrmals anstupsen bis er zu sich kam.
„Mylady" sagte er schwach. Sie stand auf und verliess das Zelt in Richtung Brunnen. Sie hievte einen Eimer Wasser nach oben und trug ihn in das Zelt, tauchte ein Tuch hinein und benetze Marcus Stirn damit.
„Mylady" hallte es von anderen Soldaten und Isabella beeilte sich, damit sie allen das kalte Tuch über die Stirn legen konnte und hielt ihnen den Eimer mit frischem Wasser hin. Sie musste den Eimer noch zwei Mal füllen, bis alle Soldaten getrunken hatten. Marcus war mit Abstand am meisten gefoltert worden, sehr wahrscheinlich hatte er sich schützend vor die anderen gestellt. Denn Alec hatte zwar ungefähr dreissig Soldaten zu ihrem Schutz hiergelassen, allerdings waren mit Marcus nur sechs erfahrene ältere Soldaten hiergeblieben und der Rest bestand aus jungen Soldaten, die noch ausgebildet wurden. Sie waren alle, wie Dustin, zwischen vierzehn und siebzehn, da Alec nur diejenigen mitnahm, die bereits das achtzehnte Lebensjahr vollendet und mindestens drei Jahre seine Ausbildung genossen hatten. Isabella hatte ebenfalls mehrere Laibe Brot und Geflügelfleisch aus dem Vorratszelt entwendet und den Soldaten zum Essen gereicht. Erst danach war Marcus kräftig genug, um längere Sätze zu sprechen.
„Mylady... ihr konntet entkommen?" fragte er ungläubig.
„Nein es tut mir leid... ich konnte nur erreichen, dass sie mich zu euch lassen, um eure Wunden zu versorgen" sie schlich zum Zelteingang und spähte nach draussen. Kein Söldner oder einer von Talbots Soldaten war zu sehen. Sie alle waren zu beschäftigt mit dem Abbauen der Zelte. „Hört zu! Ich werde mir eine Fluchtmöglichkeit ausdenken und euch befreien. Ihr müsst allerdings dafür sorgen, dass ihr bei Kräften bleibt. Ich werde versuchen so oft sie es mir erlauben, mich um euch zu kümmern und Essen zu bringen"
„Wie wollt ihr das anstellen Mylady?" fragte ein junger Soldat. „Ich bin William Mylady" sagte er auf ihren fragenden Blick, da sie ihn nicht gleich erkannte.
„William, ich weiss es noch nicht, aber ich werde nicht zulassen, dass sie euch töten" sie versuchte so viel Zuversicht in ihre Worte zu legen, damit sie William und auch die anderen beruhigen konnte. Marcus meldete sich zu Wort
„Mylady... begibt euch nicht in Gefahr. Alec wünscht, dass ihr und das Kind in Sicherheit seid", doch Isabella hielt ihm die Hand entgegen
„Marcus, Alec ist nicht da und ich glaube kaum, dass er froh darüber wäre, wenn all seine Soldaten hier abgeschlachtet würden. Ich habe einen Plan" sagte sie mit Nachdruck und die Männer nickten.
„Dann lasst uns wissen was wir tun können, um euch zu helfen" meinte Marcus entschlossen.
„Weiss jemand, welche Riten die Söldner pflegen? Wie lange sie die Toten aufbewahren, bevor sie diese zur letzten Ruhe betten?" Schweigen. Die Soldaten sahen sich an, doch keiner schien eine Antwort auf ihre Frage zu haben. Wieder war Marcus derjenige der antwortete
„Es tut mir leid Mylady. Das wissen wir nicht. Thomas ist derjenige, der sich in solchen Dingen auskennt"
„Ich werde es herausfinden" sagte sie entschlossen. Sie versuchte die nächste Frage so ruhig wie möglich zu stellen „Weiss jemand wo Dustin... wo sie Dustin hingelegt haben?" Auf die Gesichter der Soldaten trat ein trauriger Ausdruck und sie sahen in die hintere Ecke des Zeltes. Als Isabella nach hinten gehen wollte, sagte Marcus
„Mylady... es ist besser sie sehen ihn nicht an" doch Isabella schritt nach hinten und sah dann einen Körper zusammengerollt an der Zeltwand liegen. Sie atmete tief ein und drehte ihn zu sich um
„Oh mein Gott" sagte sie schwach und kniete sich hin. Der Pfeil steckte noch in seiner Brust, war jedoch abgebrochen. Seine Kleidung war zerschlissen und seine Haut hatte Kratzer und Schürfwunden. Sein Gesicht war fast zur Unkenntlichkeit zerschrammt und voller Dreck. Leise rannen ihr die Tränen hinunter und sie wisperte „Was haben sie ihm angetan?" Ein älterer Soldat in ihrer Nähe sagte
„Mylady, der grosse Söldner hat ihn hinten an seinen Hengst gebunden und ist mit ihm über das Feld galoppiert. Er liess uns alle zusehen". Isabellas Herz blutete. Wie konnten sie seinen armen unschuldigen Körper nur so schänden?! Ihr fehlten die Worte. Sie griff unter die Arme von Dustin und zog ihn nach vorne.
„Was tut ihr mit ihm?" kam es aus einer Ecke.
„Ich werde ihn standesgemäss vor dem Lager begraben. Er hat ein würdiges Ende verdient". Nachdem sie ein Pferd und einen kleinen Wagen besorgt hatte, zog sie Dustin nach draussen. Zuvor hatten sie alle ein kurzes Gebet gesprochen und sich von ihm verabschiedet. Im Nachhinein hatte sie keine Erklärung dafür, wie sie es geschafft hatte Dustins Leichnam auf den Wagen zu hieven. Gerade als sie das Lager verlassen wollte, lief ihr Talbot über den Weg.
„Was zum Teufel treibt ihr hier? Wieso seid ihr nicht angekettet?". Doch Isabella konnte ihre Wut kaum bändigen und baute sich vor Talbot auf
„Ihr mögt mich und meine Männer als Gefangene halten, doch verwehrt mir nicht die Toten zu bestatten! Ein jeder hat das Recht auf eine angemessene Beerdigung. So viel Ehre sollte gar ein Bastard, wie ihr aufbringen können! Und glaubt ihr nicht, die Wut von Alexander de Warenne wird noch grösser sein, wenn er erfährt, wie ihr mit seinen Leuten umgesprungen seid?" Talbot war vollkommen perplex, sein Mund klappte auf, doch er schien keine Worte zu finden, also fuhr Isabella fort „Und falls ihr es noch nicht bemerkt habt, nicht ihr gebt hier die Befehle, sondern Rosco" damit schien sie einen empfindlichen Nerv getroffen zu haben, den sein Blick verfinsterte sich „und Rosco hat scheinbar nichts dagegen, dass ich den Toten beerdige"
„Na schön! Aber eine Wache wird dich begleiten! Beeil dich, wir werden bald aufbrechen!". Talbot machte ein Zeichen und einer seiner Soldaten trat zu Isabella und schritt mit ihr mit, als sie das Lager verliess. Nicht unweit des Lagers fand sie einen kleinen Hügel. Darauf stand ein grosser Bergahorn. Der Himmel war hellblau und weisse Wölkchen tummelten sich an der Himmelsdecke. Sie band den Wagen vom Pferd ab, stellte ihn neben den Baum und liess die Stute grasen. Ihre Wache lehnte an den Baumstamm und machte keinerlei Anstalten ihr zu helfen. Sie brauchte den halben Nachmittag, um eine kleine Grube auszuheben. Dann sammelte sie mit dem Pferd und dem Wagen Steine und brachte sie zum Bergahorn zurück. So sanft sie konnte, legte sie Dustin in das offene Grab, richtete seine Kleider, faltete seine Hände auf seiner Brust, bedeckte seine Augen und strich ihm das letzte Mal über den Kopf. Ein kühler Wind zog um den Hügel und brachte Isabella zum Frösteln. Als sie den Blick hob, sah sie etwas weiter hinten eine einzelne kleine weisse Blume. Sie ging zu ihr hin. Es war ein schottischer Krokus, der zu dieser Zeit noch einsam blühte. Das gab es sehr selten, dass diese Blume im November noch gedieh. Sie buddelte die Blüte aus und nahm sie samt den Wurzeln mit zu Dustin. Behutsam legte sie die Blume neben sich und schüttelte sich den Dreck aus den Kleidern, bevor sie sich vor das offene Grab stellte
„Dustin man sagt, wenn sich Männer durch ihre Taten ausgezeichnet haben, sollte man auch durch Taten ihnen die letzte Ehre erweisen. Ich habe mein Möglichstes getan, um dir meine Ehre zu erweisen. Mir fällt es schwer die richtigen Worte zu finden, um dich zu beschreiben, denn alles was ich sage, kann niemals deinen Mut und deine Tapferkeit ehren. Du hast das höchste menschliche Gut erreicht und dein Leben für das eines anderen gegeben, mich. Zu früh hast du mich und deine Familie verlassen" die Tränen rannen ihr die Wangen hinab, doch sie fuhr fort „Nie werde ich dich vergessen und ich werde dafür sorgen, dass auch sonst niemand deine Heldentat vergisst! Ich wünschte" ihre Knie gaben nach und sie sank auf den Boden „du hättest nicht so edel gehandelt und könntest nun noch an meiner Seite weilen! Ich vermisse dich so sehr!" Isabella krümmte sich und liess ihrer Trauer freien Lauf. Sie weinte, ihr gesamter Körper schüttelte sich und sie versuchte erst gar nicht ihr Leiden zu verbergen. Tage waren vergangen bis sie nun endlich über den Verlust von Dustin weinen konnte. Er hätte niemals sterben dürfen! Er war noch zu jung! Sie wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als sie sich endlich im Stande fühlte aufzustehen. Die Sonne liess ihre Strahlen gerade noch auf den Wipfel des Bergahorns scheinen und seine rotgelben Blätter leuchteten auf. Der Wind streifte durch ihr Haar „Ruhe in Frieden lieber Dustin" und mit diesen Worten begann sie die aufgewühlte Erde auf Dustin zu schütten. Als er, bedeckt von Erde, nicht mehr zu sehen war, nahm sie den schottischen Krokus und bettete ihn in das Erdreich, dort wo ungefähr Dustins Kopf war. Ihre Hände waren schmutzig und sie hatte Schwielen an den Fingern, doch das störte sie nicht. Sie stapelte die gesammelten Steine auf das aufgeschüttete Erdreich und um die kleine weisse Pflanze. Müde und erschöpft spannte sie das Pferd vor den Karren und trottete zurück zum Lager. Die Wache schritt hinter dem Karren her. Als sie näher an das Lager kamen, roch sie Feuer und ihre Sinne waren in Aufruhr „Was ist... passiert?" sagte sie in die Leere und ihre Schritte wurden schneller. Die Söldner und Talbot standen weiter weg und blickten auf das brennende Lager. Einige Söldner liefen mit einer Fackel von Zelt zu Zelt und steckten sie in Brand. Als Isabella auf sie zu rannte, rief Rosco
„Gerade zur rechten Zeit Schätzchen. Nun kannst du deinem Lager Lebewohl sagen" er grinste schadenfroh und ritt mit seinem Hengst an die Spitze seiner Männer.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt