Kapitel 3.2 - Lang lebe der König

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Die Soldaten stiegen von ihren Pferden und machten sich, wie die vier Peers, auf die Suche nach dem König. Dieser Ort machte nicht den Anschein als dass irgendeiner diese Hinrichtung überlebt hätte. Wie hatte dies nur geschehen können?! So kurz vor dem Ende des Krieges? Alec ging zwischen den Leichen der Soldaten hindurch und drehte sie auf den Rücken. Alle waren sie tot. Pfeile steckten in ihren Bäuchen und tiefe Schnittwunden übersäten ihre Körper.
„Hier drüben Alec" rief James und Alexander überstieg zwei Leichen und stellte sich neben James. Der König lag vor seinen Füssen. Die längeren, braunen Haare waren verklebt mit Blut. Die Augen starr und weit aufgerissen. Ohne ihn zu berühren, kannte Alec die Antwort. Er legte seine beiden Finger an die Halsschlagader und fühlte... nichts. Der kalte leblose weisse Körper lag inmitten der Toten und hatte vor Stunden das Zeitliche gesegnet. Ohne Zweifel war das ihr König.
„Verdammte sche...!" fluchte Alec, doch er konnte das letzte Wort noch unterdrücken.
„Bei Gott! Um meinetwillen musst du dich nicht zurückhalten" sagte James, der ebenfalls ziemlich weiss im Gesicht geworden war.
„Verdammt noch eins, da wird ja der Teufel in der Hölle verrückt!" sagte John Beaufort, der auf sie zu trat und den König ansah „Wie konnte das nur geschehen?!" sagte er fassungslos.
„Wir müssen den Rat informieren und das Parlament" meinte Alec und James fügte hinzu
„und dann das Volk"
„Ich werde sofort ein Schreiben für den Rat aufsetzen und wir werden uns so schnell wie möglich mit dem Leichnam des Königs nach London begeben" meinte John „bis dahin... sollten wir den Tod des Königs geheim halten"
„Dem schliesse ich mich an" nickte Alec und James stimmte zu.
„Möglicherweise sollten wir unseren Soldaten hier ein Schweigegelübde abnehmen... nur für alle Fälle" sagte James und sah sich um.
„Ich bezweifle, dass dies viel nützen wird" meinte Alec skeptisch „diese Soldaten hier werden bestimmt kein Wort darüber verlieren, doch bezweifle ich, dass wir unsere gesprächigen Herrschaften und Offiziere davon abhalten können die Nachricht zu verbreiten"
„Das bedeutet" meinte John ernst „wir müssen ihnen zuvorkommen und keine Zeit verlieren". Er drehte sich um und hastete zu seinem Pferd, stieg auf und salutierte. James blickte ungläubig zu Alec
„Aber wie verdammt schaffen wir ihn so schnell es geht nach London?! Er ist nicht gerade ein Leichtgewicht"
„Wir besorgen uns eine Kutsche... einen Vierspänner oder gar Sechsspänner" meinte Alec, er wusste, dass es hier in der Gegend einen Stellmacher gab und den würden sie aufsuchen müssen. „Wir müssen nur dafür sorgen, dass die anderen Peers hierbleiben und beschäftigt sind" sagte Alec geistesabwesend. Geoffrey trat zu ihnen, in seinen Händen trug er den königlichen Helm. Seine Unterlippe war blutleer, da er mit seinen Zähnen auf ihr herum knabberte. Er schien von ihrem Gespräch nichts mitbekommen zu haben.
„Bei allem was mir heilig ist Mylords... ich habe versucht Verstärkung zu beschaffen. Nie wäre ich dem König von der Seite gewichen, hätte ich den Ausgang geahnt" sagte er leise.
„Ich glaube dir Soldat" sagte Alexander verständnisvoll und James nickte zustimmend „doch leider liegt es nicht in meiner Macht, das Urteil des Richters anzufechten... aber ich werde ein gutes Leumundszeugnis für dich ablegen"
„So wie ich" sagte James mit Nachdruck.
„Darum geht es nicht Mylords" sagte Geoffrey „ich meine, ich bin ihnen dankbar für ihren Leumund" meinte er und nahm einen tiefen Atemzug „ich fürchte nicht den Tod... ich wollte sie viel mehr um etwas anderes bitten". James sah ihn überrascht an
„Und das wäre?"
„Bei einer Verurteilung und Vollstreckung durch den Strick, würde meine Familie keine Abfindung erhalten und meine letzten Wertsachen würden verschenkt werden... ich wollte sie darum bitten, meine Wertsachen an sich zu nehmen und meiner Familie zu übergeben... damit sie es zu Barem machen können... und vielleicht" er sah sie beide abwechselnd an „vielleicht bestünde die Möglichkeit, dass meine Familie bei ihnen eine Pacht übernehmen könnte? Sobald meine Söhne alt genug sind können sie meine Frau unterstützen. Meine Eltern sind zwar alt, aber einige Dinge können sie noch gut erledigen" bei den nächsten Worten schmunzelte er etwas verlegen „Meine Frau bäckt die besten Kuchen und Brote weit und breit". Alexander verspürte einen dicken Kloss im Hals. Diese arme Familie stand vor dem Nichts.
„Geoffrey" sagte James „ich bin zwar kein Richter, aber ich glaube kaum, dass einer dich verurteilen und gar hängen wird. Also mach dir keine Sorgen". Alexander blickte Geoffrey an. Diese Antwort schien ihn keineswegs zu beruhigen, doch er setze ein unsicheres Lächeln auf, nickte und bejahte James Aussage. Als er sich schon von ihnen abwenden wollte, ergriff Alec das Wort
„Ich werde mich um deine Familie kümmern" in Geoffreys Augen begann es zu glänzen und er blinzelte mehrmals „sei unbesorgt. Sie werden bei mir Arbeit finden und es wird ihnen gut gehen... allen". Er nickte
„Danke... danke Mylord!"
„Lass eine Bahre holen, damit wir den König ins Lager bringen können". Geoffrey nickte und verliess sie. James sah Alexander fragend an. Alexander zuckte mit den Schultern „Du hast ihm nicht gesagt, was er hören wollte" meinte er und befreite den Leichnam des Königs vom Staub des Bodens. James verwarf die Hände und schüttelte den Kopf. „Er wollte hören, dass seine Familie versorgt ist, wenn er gehängt werden sollte"
„Aber das wird er nicht" meinte James und begann die Pfeilenden, die noch im Körper des Königs steckten, abzubrechen „er müsste schon einen ziemlich unnachgiebigen Richter erwischen"
„Oder einen neuen König, der diesem hier sehr ähnelt... auf jeden Fall wollte er Sicherheit und die konnte ich ihm damit geben, indem ich mich um seine Familie kümmere. Denn das war das Einzige, was ihn interessiert hat"
„Einverstanden, wenn ich auch etwas tun kann... sag es mir" nach einer längeren Pause, indem sie den König etwas hergerichtet hatten, meinte James „Wie werden wir vorgehen?"
„Der Krieg ist vorbei. Die schottischen Gefangenen werden am besten nach London geschafft, damit könnten wir die Peers und ihre Soldaten während unserer Abwesenheit beschäftigen"
„Wer ist in der Erbfolge als nächster an der Reihe?" fragte James vorsichtig.
„Ehrlich gesagt... bin ich mir nicht sicher... hatte König Henry VIII vielleicht uneheliche Kinder? Oder seine Schwester einen Sohn?"
„König Henry VII hat doch seine Tochter damals mit dem schottischen König Jakob IV verheiratet"
„Richtig" er blickte James ungläubig an „du glaubst doch nicht etwa, dass wir dem Parlament einen Schottenkönig als König von Grossbritannien verkaufen können? Es waren zwar nicht viele derselben Ansicht wie König Henry VIII, aber dennoch wirst du fast keinen Engländer dazu bringen einen Schotten als König zu akzeptieren"
„Nun ja... sagen wir es so, ich bin Engländer durch und durch, aber wenn das der einzige männliche Erbe ist, den wir haben, werden sich alle daran gewöhnen müssen" meinte James. Geoffrey und ein paar weitere Soldaten kamen mit der Trage zu ihnen. Alexander wusste durchaus was James meinte, doch glaubte er kaum, dass sie Jakob IV als Herrscher über Grossbritannien vorführen könnten. Vielleicht hatte aber die Tochter von Henry VII einen Sohn geboren und möglicherweise wäre er der Schlüssel für den endgültigen Frieden zwischen Schottland und England.
„War König Jakob IV auch unter den Kämpfenden?" fragte er in die Runde, doch die Soldaten schüttelten den Kopf. James antwortete
„Ja, er soll unter den Kämpfenden gewesen sein, vermutlich ist er bei den Gefangenen. Ich kümmere mich darum, sobald wir dort eingetroffen sind. Du kannst dich solange um unseren König kümmern". Sie hatten den König im Schutze der Dämmerung in sein opulentes Zelt gebracht und Alec machte einen Ausritt in ein kleines Dorf, dass eine gute halbe Stunde entfernt lag. Der alte Mann hatte seine Stellmacherei bereits verlassen und Alec musste ihn im Dorf suchen, doch schon im ersten Wirtshaus fand er ihn und ging mit ihm in seine Werkstube zurück. Er kaufte ihm den Sechsspänner ab und sie zäumten vier Pferde, die Alec mitgenommen hatte, auf.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt