Zwei Tage nach dem ersten Gespräch sass Alexander wieder auf einem Stuhl vor dem langen Tisch im Saal des kleinen Rates und hatte eine Unterredung mit den Peers.
„Ich habe heute soeben ein Schreiben erhalten, dass mir ein Beweisstück zugestellt werden wird, dass meine Aussagen untermauert und die von Lord Talbot als Lügen aufdecken wird" sagte Alexander und deutete auf ein Stück Pergament. Lord Napiers Augen blickten missmutig auf das Stück losen Pergaments in Alecs Hand. „Ich habe bei unserem ersten Gespräch nichts davon erwähnt, da ich mir sicher sein wollte, dass ich Beweise habe" sagte Alec langsam. Die Ratsmitglieder schienen ihm alle gebannt zu zuhören. „Nebendem, dass Lord Westmorland versucht hatte, meine Frau gewaltsam gefangen zu halten, hat er ebenfalls seine Finger im Spiel beim Tod von Duncan und Anne Campbell. Da er als Einziger von ihrem Ableben profitiert hat"
„Nein" hauchte es durch die Menge.
„Isabella Rose, Lady Campbell hat noch einen Onkel und eine Tante. Robert und Maud, die in Frankreich leben. Lord Talbot hat meiner Frau deren Existenz immer verheimlicht, ja sie sogar tot geschworen. Im gleichen Zug hatte er jedoch Briefkontakt mit den genannten Personen gehalten und ihnen berichtet, dass im Jahre fünfzehnhundertundsechs nicht nur Chief Duncan und seine Frau Anne Campbell ums Leben gekommen seien, sondern auch ihre Tochter Isabella. Damit hatte er sie davon abgehalten nach Schottland zu reisen und sich um die kleine Lady Campbell zu kümmern. Lord Talbot hat den Platz eingenommen und versucht die Ländereien an sich zu reissen. Nur leider ohne Erfolg, denn die Schotten, wie ich weiss, mochten ihn nicht besonders. Mit meinem Beweisstück belege ich, dass der Earl of Westmorland ein Lügenkonstrukt gebildet hat, welches nicht der Wahrheit entspricht, da Robert und Maud Campbell noch unter den Lebenden weilen" endete Alec. Viele der Anwesenden waren offensichtlich schockiert, nur Lord Devon schien wenig beeindruckt.
„Das ist ihre Version Lord de Warenne" sagte er brüsk.
„Mein Beweis mit der Existenz von Robert und Maud Campbell wird morgen hier eintreffen, dann kann es keine Zweifel mehr geben Lord Napier." Alec sprach den Namen so scharf aus, wie Lord Napier ihn ansah. „Und in ein paar Wochen, so hoffe ich, werden Robert und Maud persönlich hier in England anlegen" meinte Alec.
„Gut", sagte de Clare und sah Alec an, „Dann sehen wir uns morgen wieder, um elf Uhr?" schlug er vor und die Unterredung löste sich auf. Edmund schritt auf ihn zu und gemeinsam verliessen sie den Saal.
„Alec... endlich kann ich ein paar Worte mit dir alleine wechseln" sagte er rasch und zog ihn ein paar Korridore weiter in eine versteckte Nische. Bisher hatte sich keine Gelegenheit ergeben miteinander zu sprechen. Alec hatte sich auch eher in sein Gemach zurückgezogen. Er wollte sich diesem Trubel, der in den letzten Tagen geherrscht hatte, nicht aussetzen. Edmund schaute sich um und sagte dann hastig
„Du brauchst dir nicht allzu viele Sorgen zu machen, keiner von uns glaubt wirklich, dass du oder deine Frau eine Spionin ist", platzte es aus ihm heraus und Alec sah ihn verdutzt an. „Ich weiss, aber so wie deine Miene in letzter Zeit aussieht, musste ich es dir sagen. Ich mache mir ein wenig Sorgen!" Alexander war überrascht. Sah man so offensichtlich, dass ihn etwas bedrückte?
„Es ist nur" begann er, doch Edmund hob nur die Hand
„Ich verstehe... es ist unheimlich viel geschehen und nun auch noch diese Geschichte und du gehörst ja nicht zu der Sorte Peer, die sich lange in einer solchen Art von Gesellschaft aufhält", lächelte sein Cousin. Alec mühte sich ab ihm entgegen zu lächeln, doch er brachte kein wirkliches Lächeln zu Stande. „Ruh dich aus Alec, wir sehen uns morgen." Er sah zu wie Edmund den Korridor entlang lief und um die Ecke bog. Dann wandte auch er sich um und ging in sein Gemach. Er legte sich auf sein weiches Bett. Allmählich hatte er das Gefühl seinen Verstand zu verlieren. Er musste hier raus! Er musste nach Carlisle! Er musste zu ihr! Und er würde seinen Bruder köpfen lassen dafür, dass er ihm keine Nachricht hatte zukommen lassen und Alfred würde er wohl mal eine Woche lang schuften lassen, damit er wusste was Pflicht bedeutete! Alec war fuchsteufelswild! Er boxte sein Kissen weich und schmorrte über seinen trüben Gedanken.
Alec konnte sich am nächsten Morgen nicht erinnern, wie er eingeschlafen war, aber als er von den hellen Sonnenstrahlen geweckt wurde, stiegen absurde Gedanken und Bilder vor seinem inneren Auge hoch und er verscheuchte sie rasch. Er stand auf und bereitete sich auf seine dritte Unterredung mit dem kleinen Rat vor. Um halb elf hatte noch immer kein Bote an seine Tür geklopft mit einem Dokument, welches seine Beweise enthielt. Alexander wurde langsam ungeduldig, hatte sich Duke Croft nur einen Scherz mit ihm erlaubt? Hatte Alexander gestern womöglich zu hoch gespielt? Eine viertel Stunde später verliess er sein Gemach und machte sich auf den Weg zum Saal. Er müsste wohl den Mitgliedern des kleinen Rates mitteilen, dass sein Dokument Verspätung hatte. Er sah schon den wackelnden Blick von Lord Napier. Dieser würde bestimmt behaupten, dass dies Alexanders Taktik sei. Dies sah natürlich nicht sehr professionell aus, musste sich Alexander eingestehen. Er stand zum dritten Mal vor der doppelflügligen Tür und wartete bis sie von innen geöffnet wurde. Alexander blickte starr auf die Tür. Er hörte die leisen Schritte des Dieners, der sich der Tür näherte und die Flügeltüren erzitterten. Gleichzeitig hörte Alexander harte schnelle Schritte auf dem Korridor um die Ecke und ein
„Verzeihung" dann ein Schlittern und um die Ecke kam William Croft. Jetzt da er sich im Gang von Alexander befand, verlangsamte er seine Schritte, aber er musste vorher unmittelbar gerannt sein. Er trat kräftig mit den Fersen auf den Boden und kam vor Alexander zum Stehen. Die Doppeltür war nun geöffnet. Duke Croft nickte, konnte aber kein Wort mehr erwidern. Er presste Alexander den Brief in die Hand. Alexander sah ihn an und blickte dann in den Saal. Die Ratsmitglieder beäugten die beiden interessiert und Alec schritt allein in den Saal. Er setzte sich auf den Stuhl, der dieses Mal bereitstand und wartete.
„Bitte beginnen sie gleich Lord Cumberland" sagte de Clare und erteilte ihm das Wort. Alexander öffnete den Umschlag und entfaltete ein Dokument. Es wirkte schmuddelig und auf dem Seitenanfang standListe de passager de la coccinelle.
Eine Reihe von mindestens fünfzig Namen reihte sich darunter und fast am Ende der Liste tauchten die Namen Robert und Maud Campbell auf. Alec reichte das Dokument de Clare. Er stutzte. Ihn störte etwas an dem Dokument. Er hatte in seiner Position viele Dokumente gesehen. Es sah ziemlich echt aus. Es wirkte für knapp neunzehn Jahre ziemlich alt. Es sah auch alt aus. Aber als er es in den Fingern gehalten hatte, fühlte es sich nicht alt an. Er hatte es nur einige Sekunden in den Händen gehalten... war es möglich? Er beobachtete de Clare und auch die anderen. Sie betrachteten das Dokument, auch Lord Napier. Sie schienen keine Skepsis zu haben. „Nun" sagte de Clare endlich „Wir alle befinden, dass ihr, Lord Cumberland, genug Beweise für eure Unschuld geliefert habt", sagte de Clare etwas schärfer und fuhr fort, „Wir glauben euch." Alexander war erleichtert und versuchte seine Konzentration darauf zu lenken und zu zuhören. „Es muss eine Reihe unglücklicher Umstände dazu geführt haben, dass ihr euch in dieser Misere befunden haben mögt, aber auch wir sollten uns der Meinung des Königs, auch wenn er zwischenzeitlich verstorben ist, anschliessen und sprechen ihre inzwischen Ehefrau von den Beschuldigungen frei. Natürlich begrüssen wir alle", betonte er, „die Verbindung des ersten Hauptmanns der englischen Krone und einer schottischen Adligen und mögen wir alle hoffen, dass dies ein gutes Omen für eine gemeinsame Zukunft sein mag" sagte de Clare abschliessend. Edmund Tudor grinste breit. Er hielt Alec sein Dokument hin. Er nahm es entgegen und liess es in seine Tasche gleiten.
„Damit sind sie nun endgültig entlassen" meinte Gillian Lumley und alle erhoben sich. Alec verabschiedete sich und verliess den Saal als Erster.
DU LIEST GERADE
Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...