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Isabella hielt inne und lauschte. Sie wartete bis eine der Wachen am Zelt der Gefangenen vorbeimarschiert war und fuhr dann in ihrem Flüsterton weiter
„Heute Nacht ist es soweit" sie steckte ein kleines Messer in den Saum von Rickards Hose und ein zweites in die zerschlissene Innentasche von Marcus' Hemd. „Hört mir nun aufmerksam zu" sagte sie streng, da Rickard eine Miene machte, als wolle er ihr gleich widersprechen „heute Nacht werden sehr wenige Soldaten hier sein... vermutlich nur diejenigen von Talbot. Die Söldner brechen auf, um ihre Toten endlich zu begraben und ich nehme an, dass die meisten mitgehen werden... vor allem Rosco. Mit den Messern könnt ihr eure Stricke durchschneiden... es wird dauern, aber ihr habt genügend Zeit alle Männer zu befreien". Sie verstummte abermals, als ein weiterer Wachposten am Zelteingang vorbeischritt. „Euer Zelt ist eines der letzten, nehmt die Rückwand" sie nickte nach hinten „und steigt dort hinaus... huscht in den Wald... er ist nur einige hundert Yards entfernt. Dann sucht Schutz in den Bäumen. Seid schnell... denn der Schnee wird euch verraten. Er liegt tief. Wenn ihr euch etwas rechts haltet, solltet ihr an eine kleine Mauerruine gelangen" sie schluckte „dort hat es Waffen". Rickard wollte gerade etwas sagen, doch Isabella schnitt ihm das Wort ab. „Nicht viele Waffen... Dolche, kleine aber nützliche... zur Verteidigung". Alle schwiegen und blickten sich an. Obwohl alle sehr mitgenommen von den letzten Monaten schienen, so erblickte Isabella doch in ihren Augen noch das Feuer und sie wusste, dass alle bereit waren die Flucht anzutreten und sich bis nach Carlisle durchzuschlagen. Sie schluckte.
„Was ist los Isabella?" Sie blickte hoch. Rickards grünblaue Augen, die sehr blass wirkten, schienen sie zu durchbohren.
„Wir werden uns zu einem späteren Zeitpunkt treffen müssen" wisperte sie, so dass nur Rickard und Marcus, die gerade vor ihr knieten, sie hören konnten.
„Nein" sagte Rickard halblaut und auch Marcus schüttelte energisch den Kopf.
„Pssst" zischte Isabella und warf rasch einen Blick zum Zelteingang. „Doch" insistierte Isabella stur „es muss sein"
„Nein Isabella, mein Bruder würde mich vierteilen!" sagte er brüskiert.
„Aber dein Bruder ist nun mal nicht hier!" Isabella schien selbst überrascht, dass ihre Stimme so verbittert klang. Sie gab Alec keine Schuld. Er war im Krieg. Sie biss sich auf die Unterlippe „Wir werden uns trennen müssen, weil mein Zelt mitten im Lager liegt. Ich kann mich unmöglich hierhin stehlen, ohne aufzufallen. Ich muss einen anderen Fluchtweg ergreifen... verstehst du?!"
„Aber Mylady das ist unmöglich!" sagte Marcus erschüttert, der genauso wenig gewillt war sie alleine hier zu lassen, wie Rickard.
„Wenn ihr beide das nicht einsieht, werden wir alle sterben" sie machte eine ausladende Handbewegung auf die Männer im Hintergrund und auf ihren Bauch. „Es ist unsere einzige Chance... Rickard" sie kniete vor ihn hin. In ihren Augen brannten Tränen. Sie sah, dass Rickard seine Backenzähne aufeinanderpresste und sie verbissen ansah. „Rickard, ich will nicht, dass noch jemand sterben muss! Bitte es ist unsere einzige Hoffnung". Rickard drehte seinen Kopf weg. Doch so schnell wollte sie nicht aufgeben. Sie umfasste mit beiden Händen sein Gesicht und zwang ihn sie anzusehen „Rickard... bitte" sagte sie verzweifelnd „Ich möchte nicht, dass Alecs Kind hier geboren wird... es ist dein Neffe... willst du, dass Talbot das Kind tötet?" Sie sah, wie Rickards Widerstand bröckelte und seine blassen Augen bebten. Er schloss sie und atmete schwer aus
„Was ist dein Plan?" fragte er zähneknirschend.
„Ihr lauft in den Wald, holt die Waffen... ich werde einen anderen Fluchtweg einschlagen... Es ist meine Heimat... ich bin hier praktisch aufgewachsen. Ich weiss nicht welchen Umweg ich gehen muss, aber mein Ziel ist es einen Schlenker zu machen, am Loch Lomond entlang bis nach Carlisle zu gehen. Möglicherweise kann ich bei Schotten Zuflucht finden und mir ein Pferd leihen". Rickard wirkte zwar alles andere als beruhigt, aber er schmetterte ihren Vorschlag nicht ab. „Und ihr solltet Glasgow meiden und ebenfalls den Weg nach Carlisle einschlagen... ich vermute Talbot rechnet erst nicht damit, dass wir wieder nach England reisen. Ich schätze er denkt, wir gehen weiter nach Norden zu mir nach Hause... Aber zur Sicherheit sollten wir Landstrassen meiden und eher nachts reisen" endete Isabella. Nach einer längeren Pause, sagte Rickard
„Ich bin davon nicht begeistert Isabella... es kann dabei so vieles schief gehen". Sie sah ihn und Marcus an
„Wir haben keine andere Wahl" sagte sie schlicht. Es war beschlossen. Nachdem sie die Gefangenen versorgt hatte, hatte man sie wieder in ihr Zelt geführt. Keiner der Söldner oder Talbots Männer hatte eine Ahnung was in wenigen Stunden geschehen würde. Es war höchste Zeit gewesen, dass diese Zeremonie endlich stattfand und sie diese Gelegenheit erhielten. Denn wenn sie noch länger in der Obhut dieser Barbaren bleiben würden, hätte Isabella bald keine Männer mehr, die sie Alexander zurückbringen könnte. Nebst den Folterungen und dem schimmligen Essen, hatte sich vor ein paar Tagen ein weiterer schrecklicher Vorfall ereignet. Früh morgens hatte Rosco sie aus ihrem Zelt gezerrt, über den Platz geschleift, um sie vor einem zusammenkauernden Söldner auf den Boden zu stossen. Verwirrt hob sie den Kopf und blickte erzürnt zu Rosco hinauf und fragte sich, welche Gemeinheit er nun wieder für ihre Männer bereit hielt. Doch er deutete auf den Söldner vor ihr. Sie erhob sich mühsam, langsam wurde ihr Bauch ein Hindernis, doch das würde sie vor diesen Männern niemals zugeben.
„Was ist mit ihm?" sagte er angewidert und nickte zu dem Mann am Boden. Erst jetzt fiel ihr das ungewöhnliche Verhalten des Söldners auf. Er lag im Matsch des Schnees. Völlig verkrampft wand er sich am Boden und zuckte. Isabella konnte erst nur seinen Rücken sehen. Er lag in einer merkwürdigen Position am Boden. Die linke Kopfseite und Körperseite presste der Söldner auf den Boden, sein linker Arm lag hinter seinem Rücken und sah eigenartig verdreht aus. Er ballte die Hände zu Fäusten und doch standen einige Finger krallenartig ab. Isabella trat einen Schritt näher und betrachtete seine Haut. Sie war eigenartig fahl und aschgrau. Sie wirkte wie gegerbtes Leder, welches auf Knochen zu kleben schien. „Was ist?" murrte Rosco scharf hinter ihr, doch sie antwortete ihm nicht. Eine dunkle Vorahnung machte sich in ihr breit und sie umrundete den zuckenden, vor Schmerzen sich krümmenden Söldner. Er hechelte und schnappte nach Luft. Der sich auf und abschlagende Kopf und der rechte Arm, welcher zuckend nach vorne auf den Boden klatsche, waren grausig anzusehen. Doch der Blick des Söldners war unbeschreiblich. Seine Augen waren weit aufgerissen, so dass man fast nur noch das blutunterlaufene Weiss in seinen Augen sehen konnte. Die Pupillen waren zu winzig kleinen Punkten geworden. Die Muskeln in seinem Gesicht waren grausam verzerrt. Die Mundwinkel waren stark nach unten gezogen. Sein Gesicht, wie auch viele andere Stellen seiner Haut waren übersehrt mit Kratzern. Als der Söldner das nächste Mal gurgelte bildete sich vor seinem Maul eine Art Schaum, der auf sein Kinn rutschte und dort hängen blieb. Isabella hob den Kopf. Aus ihrer Vorahnung war nun Gewissheit geworden. Rosco stampfte neben sie „Verdammt! Hilf ihm, was ist mit ihm los!?" Isabella sah ihn an und hob eine Braue
„Ich fürchte es kann ihm keiner mehr helfen Rosco". Er packte ihr Handgelenk und schüttelte sie
„Was soll das heissen?!" brüllte er.
„Er leidet an fibin! Er ist praktisch schon bei den Toten" sagte sie, dass Gesicht schmerzverzerrt.
„Rabies?" donnerte er. Isabella war überrascht, er kannte das schottische Wort. Er warf einen Blick auf den Söldner „Hilf ihm". Isabella blickte ihn entnervt an
„Ich kann ihm nicht helfen... niemand kann ihm helfen... es ist zu spät". Er liess ihre Hand los und stiess den Söldner mit der Stiefelspitze an
„Pete, Soggy Pete! Steh auf!" bestand er, doch Soggy Pete konnte niemanden mehr hören. „Duuu!" und er packte Isabella, schüttelte sie und stiess sie zu Boden. Isabella fiel hart auf den nassen Grund, doch sie wagte es nicht gleich wieder aufzustehen. Ihre Kehle fühlte sich eng und verschlossen an. Der Ausdruck auf Roscos Gesicht hatte ihr gar nicht zugesagt. Er hatte sich abgewandt und war verschwunden. Die Umstehenden, auch Talbot und einige seiner Männer hatten sich versammelt, blieben stehen und betrachten Isabella und Soggy Pete weiterhin. Dann hörten sie Rosco und die Stimme eines anderen Mannes, der am Boden durch das Lager geschleift wurde. Isabella wurde es übel. Die Männer machten Rosco platz und er kam vor ihr zum Stehen und stiess einen Mann neben ihr auf den Boden. Es war der alte Ben, einer von Alexanders Ausbildern. Isabella presste ihre Lippen aufeinander. Ben richtete sich auf, doch Rosco drückte ihn auf die Knie „Daaa bleibst du" murrte seine Stimme und seine Augen schossen auf Isabella. „Wenn du einem meiner Männer nicht helfen willst, so wird auch einer deiner Männer leiden". Isabella stützte sich auf ihre Knie
„Ich kann ihm nicht helfen" sagte sie verzweifelt und sah in Bens Augen, doch Ben blickte sie nur gutmütig an. „Wer an fibin leidet in diesem Stadion ist des Todes! Er muss schon vor Wochen gebissen worden sein... von einem hundswütigen Tier! Möglicherweise kann eine Ausbreitung verhindert werden, wenn sofort nach dem Biss ein Ausbrennen der Wunde vorgenommen wird, doch nicht einmal dies ist gewiss!"
„Ich habe dich gewarnt! Keine Spielchen mit mir!" Isabella fühlte, wie die Wut in ihr zu kochen begann, doch es würde ihr nur mehr Schaden zufügen als nützen.
„Ich weiss, diese Krankheit ist möglichweise nicht sehr verbreitet, dort wo ihr euch normalerweise aufhaltet, doch in den Wäldern der Highlands ist es den Bauern sehr vertraut. Man muss gewisse Vorsicht walten lassen und" doch er blickte sie nur an und seine kalten Augen schienen zu triumphieren. Ihre Stimme versagte ihr. Ben kniete vor ihm, im nassen matschigen Boden mit seinem zerschlissenen dreckigen Hemd, die gefesselten Hände baumelten vor seiner Taille. Im hellen Tageslicht erkannte man noch stärker, wie viel die Männer in den Wochen ihrer Gefangenschaft abgenommen haben mussten und wie stark sie gefoltert wurden. Die spitzen Knochen seiner Schulterblätter stachen hervor und hoben das Hemd eigenartig grotesk von seinem einstmals stämmigen Oberkörper ab. Doch Bens Augen sahen Isabella liebevoll an und blinzelten verständnisvoll. Er sah dann zu Rosco hinauf und sagte respektvoll, wie man es in einer solchen Situation nicht erwarten würde
„Bereiten sie mir einen ehrenvollen Tod Sir... ich habe mein Leben lang gedient" dann blickte er erneut hinab, nickte und sagte zu Isabella „Mylady, sagen sie meiner Frau, dass ich sie über alles liebe und auch unsere Kinder" und dann machte er sich steif und sah gerade aus. Isabella konnte nichts erwidern.
„Klappe!" sagte Rosco „Ich bestimme wer hier, wie von uns geht!" er hielt seine Hand nach hinten und einer seiner Söldner reichte ihm sein Schwert.
„Nein!!" schrie Isabella, doch Rosco grinste über sein gesamtes Gesicht
„Daran seid ihr ganz alleine schuld". Er stellte sich hinter Ben, der immer noch kerzengerade im weichen Boden kniete und leise vor sich betete. Rosco schwang sein Schwert. Isabella versuchte aufzustehen, doch bevor sie es schaffte, versetzte Rosco Ben einen Fusstritt in den Rücken. Er fiel mit seinem Gesicht vorn über in den schlammigen Boden. Er wollte sich wieder aufsetzen, aber Rosco stand ihm auf den Rücken, so dass Ben nur sein Gesicht auf die Seite drehen konnte, um nach Luft zu schnappen. Roscos Grinsen wurde dadurch nur noch breiter. Er beugte sich nach unten zum Ohr von Ben und flüsterte ihm etwas zu. Dabei sah er mit seinen finsteren Augen Isabella an. Ben stöhnte unverhohlen und Rosco richtete sich auf, setzte sein Schwert auf den Rücken von Ben und stach es nieder. Ein letztes Zucken durchfuhr den aufgespiessten Ben und Stille trat ein. Sie konnte es nicht zurückhalten. Sie beugte sich auf die Seite und übergab sich. Verschwommen nahm sie wahr, welche Worte Rosco ihr zu warf. „Für jeden meiner Söldner ist einer deiner Männer dran" dann rief er seinen Männern zu „Erlöst Soggy Pete, wir nehmen seine Leiche Samstagnacht mit... und den da, werft in den Wald... dann können ihn die Hundswütigen haben". Er liess Isabella liegen und die Söldner befolgten seine Befehle. Isabella hörte im Hintergrund noch in einem Moment das Schnauben und Gurgeln von Pete und dann nichts mehr. Sie wusste, dass es keinen Sinn hatte Rosco zu bitten Bens Leiche begraben zu dürfen.
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Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2
Historical FictionNachdem Alec Isabellas Geheimnis gelüftet hat, bereitet er sich mit seinen Männer auf den bevorstehenden Krieg gegen Schottland vor. Enttäuscht über Isabellas Versteckspiel suhlt er sich in der Verletztheit seines männlichen Egos. Der Krieg beginnt...