Kapitel 4.4 - Omnia vincit amor

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Rickard hatte sie gestützt, doch sie musste kurz zuvor zu Boden gesunken sein, denn sein Bruder hatte sich soeben gebückt und wollte sie hochheben. Alexanders Hände zitterten als er sein Schwert in die Scheide schob. Mit grossen Schritten war er bei den beiden und Rickard hielt inne. Isabellas Augen waren nicht geschlossen, sie hatte sie direkt auf ihn gerichtet. Ohne Worte ging Alec auf sie zu. Sie versuchte sich zu erheben und er half ihr dabei. Ihre Hände waren eiskalt. Als sie vor ihm stand umarmte er seine Liebste und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals. Trotz ihres schlimmen Zustandes war ihre Umarmung voller Kraft. Nach einer scheinbaren Ewigkeit lösten sie sich sanft voneinander. Seine Männer hatten begonnen das Chaos aufzuräumen und das an sich zu nehmen was noch zu gebrauchen war. Ihre Wangen waren feucht und in ihren Augen schimmerten noch immer Tränen. Er fuhr sanft mit seiner Hand an ihre Wange und sie drückte sich an sie:
„Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen", sagten sie beide und Alec schmunzelte. Er fuhr mit seiner Hand nach unten und legte sie sanft auf ihren Bauch. Er musste seine Augen schliessen, damit ihn seine Emotionen nicht überwältigten.
„Ich glaube es geht uns beiden gut", wisperte sie. Ihre Stimme war schwach. Seine Augen suchten erneut die ihren und nun fühlte er wie Isabella schwankte. Er hob sie auf seine Arme:
„Ich werde mich erst zufriedengeben, wenn ein Arzt da war." Er pfiff und hörte wie Arac wieherte. Als sein Pferd bei ihnen angekommen war, hievte er sie so sanft es möglich war auf den Rücken von Arac. Er stieg hinter ihr auf und drehte Arac in Richtung Carlisle: „Jackson", Thomas hob den Kopf, „ich reite mit Isabella zurück. Ich schicke euch ein Zugpferd, dann könnt ihr die brauchbaren Dinge aufladen. Ach ja, verbrennt die Toten, ich will kein Ungeziefer auf meinem Land." Thomas nickte und lächelte Isabella zu. Alec war sich nicht sicher, ob Isabella dies mitbekam. Er fühlte wie sie in sich zusammensackte und sich an ihn lehnte. Er liess die Zügel locker und Arac schritt aus dem zerstörten Lager der Söldner.
„Alec!", rief sie plötzlich aufgeschreckt. Sein Herz hämmerte, denn er glaubte sie würden erneut angegriffen, aber Isabella packte ihn am Kragen und ihre Augen hatten sich geweitet: „Talbot!", murmelte sie verzweifelt.
Den werden wir auch finden meine Liebe", erwiderte er besänftigend, doch Isabella war nicht beruhigt. Sie schüttelte stur ihren süssen Kopf:
„Nein, Talbot ist in Surrey!" Bei diesen Worten versteiften sich Alecs Eingeweide. „Er ist vor gut einer Woche nach London aufgebrochen! Deine Schwester und deine Mutter sind in höchster Gefahr!" Alec blickte in ihre aufgebrachten Augen.
„Liebste beruhige dich. Wir werden uns einen Plan ausdenken", meinte er und bettete ihren Kopf an seine Schulter: „Lass mich dich erst nach Carlisle bringen." Sie sah ihn aufmüpfig an, doch schwieg sie. Er gab Arac frei und dieser brauste los in Richtung Burg. Als sie den Hügel erreichten, spürte er wie sie ihren geschwächten Kopf hob und die Burg ansah:
„Endlich, ich dachte ich würde es nie wieder betreten", sagte sie lächelnd.
„Es ist dein Zuhause", bestätigte Alec und liess Arac in Trab fallen. Das Tor wurde aufgezogen und sie ritten hindurch. Im Innenhof wartete schon Constantino. Alec stieg ab und zog Isabella vom Pferd.
„Gibt ese Verletzte?", fragte Tino und kam neben sie.
„Ja ein Paar. Lass weitere Pritschen in der grossen Halle aufstellen und such nach einem Arzt. Schick einen Boten zu Lord Derby. Er sollte noch im Tower of London weilen, damit er weiss, dass es überstanden ist." Tino nickte:
„Nobildonna ese ist mir eine Freude sie wiederzusehen." Isabella hielt sich schwach auf den Beinen. Alexander hob sie wieder auf seine Arme und trug sie in die Burg.
„Ich dachte", sagte sie mit einer weichen, ihr fremden, Stimme, „ich", sie brach ab und ihre Augen flatterten. Alec hielt sie fest auf seinen Armen:
„Ich möchte, dass du dich nun ausruhst und wieder zu Kräften kommst." Sie klammerte ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn. Er küsste sie sanft zurück und stieg die Treppe im Haus hinauf. Er lief durch mehrere Gänge bis er vor der Turmtreppe angekommen war.
„Es ist so schön... bei dir", meinte sie erschöpft. Er stieg die geschlungenen Stufen hinauf und öffnete die grosse Eichenholztür. Sein herrschaftliches Himmelbett stand in der Mitte und dunkelrote Vorhänge hingen von den vier Stangen hinab. Hinter ihnen erklangen Schritte. Alec drehte sich um und sah sechs Dienstboten die Eimer mit Wasser hinauf schleppten. Er trat von der Tür weg und setzte Isabella in einen bequemen Sessel.
„Mylord", sagte der eine, „Mister Farnese meinte sie würden sich gerne ein Bad gönnen." Er und seine Kameraden gingen an ihm vorbei und füllten den Waschzuber, der im Ankleideraum stand. Einer der Dienstboten kniete sich zum Kamin und entfachte Feuer.
„Habt Dank", meinte Alec und schloss die Tür hinter den Dienstboten. Als sein Blick zu Isabella glitt, sah er, dass sie zusammen gesunken da sass. Zerschunden wie ihr Körper war und wie schwach sie aussah, hatte er beinahe das Gefühl der Tot kreiste bereits über ihrem Kopf. Er schritt zu ihr und sie hob ihre Augenlider:
„Ich bin so müde Liebster", flüsterte sie.
„Ich weiss. Ich werde dich waschen und dann in unser Bett legen."
„Ich habe es nie gesehen", schmunzelte sie kurz und deutete auf sein Gemach. „Es ist königlich." Er hob sie hoch und brachte sie in das Ankleidezimmer. Er befreite sie vom Fetzen, das einmal ein Kleid gewesen war. Ihm verschlug es den Atem. Der gesamte Rücken, ihre Arme und ihre Beine waren übersät mit blauen, grünen und gelben Flecken. Blass und kränklich schimmerte ihre einst so zarte Haut im Schein des Lichtes. Ihr Bauch wölbte sich bizarr von der zerschundenen Gestalt ab. Ihre Schlüsselbeine zeichneten sich knochig ab. Er stellte sie in den Zuber und sie sank nieder, legte ihren Kopf auf den Rand und schloss ihre Augen. Er wusch sie mit einer Seife und befreite ihr Haar vom Dreck, der sich in den letzten Monaten angesammelt hatte. Isabella schien kaum etwas davon zu bemerken. Sie lag still da. Ab und an lächelte sie ihm müde zu und sagte seinen Namen. Als er den Verband an ihrer rechten Hand löste, sah er eine tiefe Schnittwunde. Ihre Ränder waren gerötet und die Haut schien leicht geschwollen. Als er sie so gut wie möglich gewaschen hatte, hob er sie aus dem Wasser und hüllte sie in ein Tuch. Sie zitterte am ganzen Leib und fühlte sich kalt an. Er streifte ihr ein langes Hemd von sich über und trug sie zum Bett, steckte sie unter die Decke und zog zur Sicherheit noch ein Fell über sie. Sauber und frisch duftend lag sie in den weissen Lacken und schien in der Traumwelt Zuflucht zu finden. Erst jetzt merkte er, dass er sein Wams, Ringpanzer und das Schwert noch trug. Der Ringpanzer war zerstört, er müsste erneuert werden. Als Alec sein Wams ablegte, fühlte er einen starken Stich an seiner Seite. Er blickte hinab. Seit er Isabella hierhergebracht hatte, hatte er die Verletzung kaum wahrgenommen. Er war so darauf konzentriert gewesen Isabella in Sicherheit zu bringen, dass er die Wunde, die dieser Bastard ihm zugefügt hatte, vollkommen ausgeblendet hatte. Seine Seite war aufgeschlitzt und Blut schimmerte scharlachrot. Die Wunde an seinem Bein war nicht viel mehr als ein Kratzer. Er warf einen Blick auf Isabella. Sie schlummerte in ihren Kissen. Er verliess das Turmgemach leise und machte sich auf den Weg in die grosse Halle. Dort versorgten mehrere Helfer Verwundete und einige neue trafen soeben ein. Constantino wies ihnen die Pritschen zu und forderte einige Dienstboten auf Wasser zu holen. Als Tinos Blick auf Alec fiel, kam er sofort auf ihn zu:
„Kann iche etwas... ihr seid verletzt", sagte er fassungslos und winkte einen Helfer herbei. Alecs Leinenhemd klebte an seiner Brust. Ein paar Stofffetzen waren in die Wunde gekommen. Der Helfer zerriss Alecs Hemd und legte die Wunde frei.
„Tino, bitte schick einen Wagen zu den Männern an der Küste." Er nickte und verliess die Halle. Der Helfer tupfte soeben die Wunde ab und Alec zuckte zusammen.
„Tut mir leid Mylord", sagte er schuldbewusst und begann die offene Wunde zu verbinden. Sofort widmete sich der Helfer den nächsten Verwundeten. Mit einem letzten Blick auf die Verletzten verliess Alec die Halle und ging ins Badehaus. Keiner war hier. Er entkleidete sich und wusch sich, ohne die frisch verbundene Wunde zu benetzen. Er zog sich ein neues Hemd über und schlüpfte in angenehme Beinlinge. Als er wieder nach draussen trat, kamen gerade Rickard und weitere Männer in den Hof. Unter ihnen war auch Alfred. Rickard stieg ab und befehligte sie in die grosse Halle.
„Es ist nichts mehr übrig. Der Wagen ist gerade an uns vorbeigezogen. Thomas und ein paar Soldaten werden mit ihm zurückkehren", meinte er. Ein besorgter Blick trat in seinem Gesicht auf: „Wie geht es ihr?" Alec sah seinen Bruder ernst an:
„Ich bin mir nicht sicher. Sie hat viele Wunden und ist schwach. Ich bin erst zufrieden, wenn ein Arzt sie untersucht hat", meinte er.
„Und das Kind?", fragte Rickard noch zaghafter, als würde er sich vor der Antwort fürchten.
„Ich weiss es nicht", sagte Alec tonlos. „Wir müssen heute Abend, wenn alle wieder hier sind und sich etwas ausgeruht haben, eine Besprechung einberufen Bruder."
„Warum?", fragte Rickard sofort.
„Talbot... er ist in Surrey." Rickards Augen weiteten sich und er flüsterte nur:
Elaine." Alec nickte verbissen. Er hoffte, dass Talbot dort kein Gemetzel angerichtet hatte. Er liess seinen Bruder mit denselben düsteren Gedanken zurück, die ihn ebenfalls quälten. Er bahnte sich einen Weg in die Küche, schnappte sich Brot, Fleisch, Käse und eine Brühe. Damit ging er ins Turmzimmer zurück und fand Isabella immer noch schlafend vor. Leise stellte er das Tablett auf den Tisch. Sie sah so friedlich aus, wie sie da in den warmen Laken und zwischen den Fellen versunken lag. Er streifte sich die Kleider ab und legte sich unter die Decken zu seiner Frau. Er zog sie an seine Brust und sie seufzte erleichtert. Nichts und Niemand kam mehr zwischen sie.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt