Kapitel 4.21 - Rickards Wehleiden

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Doktor O'Leary traf eine Stunde später ein und kam in ihr Gemach. Er liess sich von Miss Stratford und Isabella die Situation schildern, während Alec wieder nervös danebenstand. Als er sich umdrehte und Alec ebenfalls versicherte, es wäre das erste Anzeichen der baldigen Niederkunft, wurde er ruhiger und drückte Isabella an sich. Sie hatte jeden Tag gespürt, wie die Nervosität bei Alexander zunahm. Jedes Mal, wenn Isabella zuckte oder laut schnaufte fragte er sofort, ob es denn nun losgehe. Sie quittierte seine Frage dann jedes Mal mit einem Kuss und versicherte ihm, dass es noch nicht soweit sei. Wie es ihr angeraten wurde, verblieb Isabella weiterhin so oft sie konnte im Bett und beschäftigte sich mit kleinen Ablenkungen. Daher waren ihre Gedanken auch öfters zu Rickard und Penny geflohen. Sie hatte es sich gut überlegt, das Für und Wider abgewogen und hatte schlussendlich einen Entschluss gefasst. Rickard sollte wissen, dass es nun seine letzte Möglichkeit war Penny für sich zu gewinnen. Sie war es ihm schuldig, nachdem er für ihre Sache verstümmelt worden war. Er musste aus seiner selbstzerstörerischen Nische hervorkommen und sich endlich entscheiden. Daher sass Isabella nervös am Rande ihres Bettes und wartete. Es klopfte und die Tür wurde geöffnet. Rickard trat herein. Obwohl die Zeit der Gefangenschaft nun schon einige Wochen hinter ihm lag, so sah er nicht wirklich besser aus. Schwarze Augenringe, ein ausgemergeltes Gesicht und Augen, die verblasst waren.
„Du hast nach mir gerufen", sagte er feststellend. Er stand in ihrem Gemach und sie hatte das Gefühl er würde bald an seiner selbstauferlegten Last zusammenbrechen. Sie winkte ihn zu sich. Rickard beobachtete sie unsicher. Er schritt zu ihr und blieb vor ihr stehen, sah in ihre Augen. Seine Stirn lag in Falten. Isabella erhob sich und legte beide Hände an sein Gesicht:
„Rickard wieso grämst du dich noch? Du hast getan was ich dir befohlen habe."
„Das ist es nicht", meinte er ausweichend, aber Isabella schnitt ihm das Wort ab:
„Du wirst Penny verlieren", hauchte sie schlicht. Da erwachte etwas in seinen Augen. Er sah sie an und trat zurück:
„Wie meinst du das?", fragte er unsicher und dann wissend: „Du meinst an ihren Verehrer Duke Rich."
„Nein... nicht so. Ich meine du verlierst ihre Zuneigung, Rickard", erwiderte sie bestimmt. Rickards Augen schienen sich wieder zu verschliessen.
„So sei es! Ich kann ihr nicht das bieten, was sie verdient." Isabella atmete tief ein:
„Dann sei wenigstens so ehrenhaft und bitte sie um Entschuldigung für das Geschehene auf dem Maskenball. So kann sie ihrer Wege gehen und doch noch ihr Glück finden."
„Hat sie etwas gesagt?", seine Stimme schien leicht zu zittern und klang neugierig. „Ach, aber was spielt das für eine Rolle", meinte er erschöpft. „Wenn du glaubst es wird ihr helfen, ihr Leben glücklich fortzuführen."
„Ja, davon bin ich überzeugt", sprach sie und entliess ihn. Isabella setzte sich in den nahen Sessel. Sie war sich sicher, dass beide, wenn sie nur einmal sprachen, die richtigen Worte finden würden. Sie begann ihren Bauch zu massieren und hoffte, dass die Sonne bald den Horizont erreichen würde und Alec endlich wieder zu ihr kam.

Ω

Alec trat soeben aus dem Arbeitszimmer. Es war schon dunkel und die Lampen flackerten als er an ihnen vorbei ging. Er hatte das Abendessen ausgelassen um die Trauerbriefe für seinen Vater, die noch unbeantwortet geblieben waren, zu schreiben. Seine Füsse führten ihn zur Treppe und dabei warf er zufällig seinen Blick zur grossen Terrasse. Abrupt blieb er stehen. Im Licht des Mondes standen sein Bruder und Penny eng umschlungen und küssten sich. Also hatte das Gespräch, welches Isabella mit Rickard geführt hatte, doch zum Ziel geführt. Sein Mund umspielte ein Lächeln. Rickard hätte mit Penny die richtige Frau an seiner Seite. Er nahm die Treppe und ging in die Küche, schnappte sich etwas zu Essen und setzte sich an den Holztisch. Soeben als er sein Mahl beendet hatte, kam Carson zur Tür hinein und sagte hastig:
„Mylord", er fasste sich an die Brust, „ich habe Sie überall gesucht." Alec war sofort alarmiert, Isabella. „Schon wieder Gäste! Die Kutsche ist soeben vorgefahren." Alec verkniff sich ein unwirsches Wort gegenüber Carson und versuchte sich wieder zu fassen. Er hastete dem Butler hinterher in die Eingangshalle. Ein Diener öffnete die Tür und Alec trat ins Dunkle der Nacht. Eine Kutsche stand im Hof und ein Mann reichte gerade einer Frau die Hand, damit sie aus der Kutsche steigen konnte. In ihrem Arm trug sie ein kleines Kind.
„Edmund! Belinda", entfuhr es Alec, „welche Überraschung." Diener eilten herbei und nahmen von der Kutsche das Gepäck.
„Guten Abend Alec", erwiderte Edmund und reichte ihm die Hand, Alec verneigte sich. „Ich bin noch nicht zum König gekrönt", sagte sein Cousin.
„Soll ich die Kleine nehmen?", fragte Alec Belinda und sie übergab ihm Sophia.
„Sie ist soeben eingeschlafen", flüsterte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Die Kinderfrau trat mit Annabeth aus der Kutsche. Sie alle traten in die Eingangshalle und Alec bot an, dass die Diener der Kinderfrau die Zimmer zeigten, damit sie die Kinder ins Bett bringen konnte. Belinda legte ihren Mantel ab und dann führte sie Alec in den Grünen Salon. Carson brachte Würzwein.
„Es tut uns leid, dass wir so spät an deine Tür klopfen", entschuldigte sich Edmund.
„Du bist der neue König, egal um welche Zeit der König an meine Tür klopft, es ist die Richtige", schmunzelte Alec. Belinda lächelte ebenfalls.
„Alec ich bitte dich, nicht du auch noch. Ich brauche als zukünftiger König Männer, denen ich vertrauen kann und die nicht in meinen du weisst schon kriechen", lachte Edmund. „Wir sind auf der Durchreise, ehrlich gesagt, wir müssen nach London. Unser Leben wird fortan dort sein."
„Aber wir wollten wissen, wie es dir und deiner Frau geht", meinte Belinda herzlich. Alec trank einen Schluck:
„Wir alle erholen uns noch, aber im Allgemeinen geht es uns gut."
„Dem Kind?", fragte Belinda.
„Geht es, denke ich, auch gut. Es kann jederzeit soweit sein", sagte er zufrieden.
„Ich gratuliere euch", meinte Belinda freudig.
„Danke. Wie lange möchtet ihr hier verweilen?", fragte Alec.
„Ich denke drei, vier Tage, dann müssen wir leider weiter", sagte Edmund.
„Ah, John Beaufort und seine Familie sind auch hier. Sie helfen meiner Frau und mir und leisten uns Gesellschaft", meinte Alec.
„Wie wunderbar. Ich freue mich sie morgen zu sehen", erwiderte Belinda. Sie unterhielten sich noch eine Weile und dann gingen sie zu Bett.
Am nächsten Morgen war einiges los im Speisezimmer. Die beiden Familien begrüssten sich und die zwei Mädchen sausten um den grossen Esstisch. Befriedigt stellte Alec fest, dass Penny und Rickard vertraut nebeneinander sassen und sich unterhielten. Aber in dem Lärm und Trubel schien es keinem anderen aufzufallen. Alec war sich auch nicht sicher, wie viel John und Marie davon gewusst hatten was sich zwischen ihrer Tochter und Rickard abgespielt hatte. Gestern Nacht, als er ins Gemach gegangen war, hatte Isabella ungeduldig auf ihn gewartet und er hatte ihr berichtet, dass er die beiden gesehen hatte. Sie schien äusserst zufrieden mit dieser Entwicklung.

Schottisches Feuer und englische Anmut - Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt