Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett plumpsen. Heute hatte ich den ganzen Tag Nachhilfe bei Genia und mein Kopf brummte nur so von den ganzen Formeln, Ableitungen und Beweisen. Endlich hatte ich das Gefühl alles verstanden und auf meiner Festplatte gespeichert zu haben. Erleichtert atmete ich auf und schloss meine Augen. Jetzt musste ich morgen nur noch diese dämliche Prüfung bestehen und dann war wieder alles voll am Laufen. Wenn nicht.......da wollte ich lieber gar nicht dran denken. Das war keine Option, denn das hieße Systemcrash auf ganzer Linie. Wenn ich noch einmal bei dieser Prüfung durchfiel, dann war Feierabend mit meinem Studium und das deutschlandweit. Okay, ich könnte noch irgendetwas anderes studieren, aber Informatik und Mathematik waren dann durch. Nee, damit sollte sich mein Gehirn jetzt nicht beschäftigen. Genaugenommen eigentlich nie. Die letzten Wochen hatte ich so viel mit Genia gepaukt, dass es klappen musste. Die Stille im Haus meiner Eltern umgab mich. Stille war hier normalerweise nicht zu Hause, denn eines meiner Geschwister war in aller Regel am herumbrüllen. Und wenn es nicht eines der Kleinen war, dann war es garantiert Papa oder Mama. Manchmal hatte ich schon überlegt eine Gegensprechanlage für jedes Zimmer zu konstruieren, damit das Geblöke endlich einmal aufhörte. Dabei konnte sich niemand konzentrieren. Aber meine Familie war der Meinung sie hätten alle ein eigebautes Megaphon und konnten sich von jedem Punkt des Hauses miteinander unterhalten. Ich genoss die Stille, so lange meine Familie noch auf Ibiza in Urlaub war. Das erste Mal ohne mich. Leichte Enttäuschung machte sich in mir breit. Ich liebte diese Insel. Tja, wie viel leichter war das Leben noch als Schüler. Als Student gab es zwar eine vorlesungsfreie Zeit, aber die hatte nichts mit Semesterferien zutun. Nee, da wurde erwartet, dass man Prüfungen ablegte oder Praktika und Seminare absolvierte. Die einzigen Semesterferien waren die paar Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, an denen man wirklich frei hatte. Also ehrlich gesagt hatte ich mir das Studium ein wenig mehr wie Schule vorgestellt. Manno, wie gerne wäre ich jetzt auf Ibiza und würde meinen Körper von der Sonne wärmen lassen. Ja, mir war kalt. Kein Wunder bei 15 Grad im Ruhrgebiet anstatt 26 auf den Balearen. Anstelle vom Rauschen der Wellen hörte ich nur das an die Scheibe Klatschen der Regentropfen. Kurzentschlossen sprang ich wieder aus meinem Bett und lief ins Bad. Ich drehte den Wasserhahn auf eine angenehme Temperatur und wühlte in meinem Lieblingsfach nach der passenden Badekugel für meine Stimmung. Karibische Träume hörte sich doch genau richtig an. Während das Wasser plätscherte und die Kugel durch die Badewanne trieb, lief ich noch schnell in mein Zimmer und holte mir ein paar Duftkerzen. Ich stellte sie auf den Badewannenrand und entzündete sie. Sofort entfaltete sich ein leichtes Vanillearoma in der Luft. Perfekt. Wenn ich keinen Urlaub machen konnte, dann holte ich ihn mir halt nach Hause. Meine Sachen ließ ich auf die Erde fallen und glitt in die Badewanne. Ja, so war das schon viel besser. In meinem Kopf tauchte eine Ableitung auf. Ich musste grinsen. Wenn die mir hier in dem entspannten Zustand einfiel, dann würde sie das auch morgen in der Prüfung. Meine Gedanken wanderten zu Genia. Sie war ein echtes Mathegenie. Unglaublich, dass sie das nie genutzt hatte, sondern lieber dem Modeltraum hinterhergejagt war. Das hatte sie erst dazu gebracht sich zu prostituieren und dann auf der Straße zu leben. Eigentlich war das unglaublich. Bevor ich sie kennenlernte, dachte ich immer, das wären alle nur Loser, die keinen Bock zu nichts hatten, geschweige denn Bildung. So konnte man sich irren. Umso mehr freute es mich, dass ich sie mit dem Geld für die Nachhilfe unterstützen konnte, damit sie es schaffte sich ein neues Leben aufzubauen. Das war auch bitter nötig, damit ihr Baby, das in ein paar Wochen kam, in eine schöne Umgebung hinein geboren wurde. Ja, was das anging, konnte ich mich absolut nicht beschweren. Meine Eltern hatten immer dafür gesorgt, dass es uns an nichts haperte. Klar war das ja auch kein Kunststück mit ihren Ressourcen. Um so mehr bewunderte ich aber Genia, die das aus eigenen Stücken schaffen musste. Ich atmete tief das Duftgemisch der Duftkerze und der Badekugel ein und entspannte mich noch mehr. Mit meinen Händen schichtete ich etwas Schaum vor mir auf. Diese Stille war echt himmlisch. Genussvoll schloss ich wieder die Augen und träumte vor mich hin. Ja, ich träumte mich an den Strand von Ibiza, den ich schon von klein auf kannte. Sogar das Wellenrauschen konnte ich hören. „Bist du denn irre?" Ich spürte kalte Hände an meinen Schultern, die mich über die Wasseroberfläche zogen. „Willst du hier ertrinken und das Haus abbrennen, Biene!" Ja gut, vielleicht war ich wirklich bis zu den Ohren ins Wasser abgetaucht, aber..... „Ich wollte mich nur etwas entspannen", rechtfertigte ich mich bei meinem Freund. Luca schaute mich empört an „Wovon denn? So zerwühlt wie dein Bett aussiehst, hast du doch sowieso nur wieder den ganzen Tag darin verbracht und nicht für die Prüfung gelernt." Er schüttelte den Kopf. „Ich verstehe dich echt nicht. Wie willst du jemals mit dem Studium fertig werden, wenn du nichts dafür machst?" Frust stieg in mir auf. Ich hatte den ganzen Tag gelernt, genau wie die letzten Tage und Wochen. Das war absolut unfair. Nee, war es nicht. Denn ich hatte ihm ja nichts von der Nachhilfe erzählt. Das war mir viel zu peinlich. Außerdem würde er dann noch mehr Druck machen, dass ich lernen musste. Luca hatte da nicht das geringste Verständnis für, dass man Probleme im Studium hatte. Nee, er hatte alles genau durchgetaktet und bestand eine Prüfung nach der anderen. Natürlich mit super Noten. Ja, das hatte sich bei uns seit der Schule genau umgekehrt. Da war er der, der immer mit Ach und Krach alles geschafft hatte, während es mir flüssig von der Hand ging. Und jetzt im Studium......da konnte man bei mir nicht einmal von mit Ach und Krach reden. Mir fehlte einfach dieser geordnete Unterricht, wo einem alles mehrfach erklärt wurde. Luca kam viel besser damit zurecht sich die ganzen Sachen alleine zu erarbeiten. Das nannte man wohl Erwachsenenbildung. Und scheinbar war ich noch nicht erwachsen genug dafür. Oder einfach zu dumm. Ich schaute in Lucas empörtes Gesicht. „So kann das einfach nicht weitergehen, Biene!" Ja, da hatte er vollkommen Recht. „Stimmt, das ist nämlich mein Leben. Und das geht dich überhaupt nichts an", feuerte ich also los. „Nicht? Gut zu wissen." Er kniff wütend seine Lippen zusammen. „Ich dachte wir machen das für unsere gemeinsame Zukunft. Oder was meinst du, warum ich mir den Arsch so aufreiße?" Weil du beweisen willst, dass du viel besser bist als ich, hörte ich meine zynische Stimme in meinem Kopf. „Du stellst immer nur die Forderungen", giftete er schon weiter. „Du willst hier ausziehen. Du willst heiraten. Du willst Kinder. Und wovon wollen wir das alles bezahlen?" Er schnaubte kurz. „Da musst du schon auch was zu beisteuern. Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt, dass du einen guten Studienabschluss machst und dir auch einen Job suchst, der uns hilft das gemeinsam zu finanzieren." Dann waren wir ja wieder bei unserem liebsten Streitthema. Juhu! Klar wollte ich hier ausziehen, genau wie meine anderen Geschwister. Ich war die einzige, die von uns älteren hier noch wohnte. „Papa kauft uns garantiert auch eine Wohnung, wenn ich ihn frage. Und deine Eltern beteiligen sich bestimmt auch." Ja, meinen beiden Brüdern hatte er eine geschenkt. Nur Tessa hatte mit ihrem Leo das Haus, in dem sie wohnten alleine gekauft. Und Lucas Eltern waren ja auch nicht verarmt. „Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich das nicht will. Ich will es alleine schaffen." Luca funkelte mich wütend an. Warum mussten wir unbedingt den schweren Weg gehen, wenn es auch einen leichten gab? Außerdem würde ich mit dem Studium niemals vorwärts kommen, wenn hier ständig der Radau von den Kleinen war. Ich brauchte meine eigene Wohnung mit einer gewissen Ruhe. Klar, würde ich die kleinen Terroristen vermissen, die ständig zu mir ankamen, weil sie eine Frage für die Schule hatten oder wegen der Jungs. Ja, Stella und Luna waren mit ihren 12 Jahren so langsam in dem Alter, wo sie sich entwickelten und Jungs und ihr Verhalten ziemlich seltsam fanden. Ich musste daran denken, wie ich damals Luca auf Ibiza kennengelernt hatte. Da war ich auch gerade einmal 15. Wahnsinn. Das war erst vier Jahre her. Mir kam es schon wie eine Ewigkeit vor, dass wir uns dort heimlich in der Eisdiele abends getroffen hatten. Und dann war alles ganz schnell gegangen. Wir waren unzertrennlich. Manchmal wünschte ich mir diese Zeit zurück. Besonders in solchen Momenten wie jetzt. Ich wollte einfach keinen Streit. Ich wollte Harmonie und jemanden, der mich einfach in den Arm nahm und mir sagte, dass wir das alles schon schaffen würden.
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Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9 ✔️
Teen FictionMaja hat ihre große Liebe in Luca schon sehr früh getroffen. Jedenfalls glaubte sie das. Mittlerweile ist sie sich da nicht mehr ganz so sicher. In letzter Zeit kommt es immer öfter zum Streit und nicht selten ist das Studium der Auslöser. Hat sie w...