Kapitel 54

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Heute war der 6. Januar und im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen, wo das ein Feiertag war, hatte ich heute meinen ersten Tag an der Uni wieder hinter mich gebracht, denn hier in Berlin kannte man Kaspar, Melchior und Balthasar wohl nicht. Mit meinen beiden kleinen Geschenktüten in der Hand stand ich vor Chris seiner Tür in Prenzlauer Berg und betätigte den Klingelknopf. Ja, an meinem letzten Tag in Dortmund hatte ich noch ein kleines nachträgliches Geschenk zu Weihnachten für Chris besorgt. Schließlich hatte er mir ja auch etwas geschickt. Und damit es nicht so blöd aussah, hatte ich auch etwas für Will besorgt. Ehrlicherweise hatte ich mir bei Chris mehr Mühe gegeben. Ich war extra in meinem Lieblings-Teeladen und hatte eine ganz besondere Teemischung und eine hübsche Tasse, Plätzchen und Candis Zucker dazu besorgt. Für Will hatte ich dann einfach ein T-Shirt in diesem Laden mit den flippigen T-Shirts in der Innenstadt gekauft. Er trug ja immer solche Teile mit irgendwelchen komischen Aufdrucken. „Komm rein!" Will hatte mir in der ihm angeborenen höflichen Art die Tür aufgemacht und lief schon wieder vor mir in Richtung Küche, ohne sich weiter um mich zu kümmern. Er war ein echter Charmebolzen.  „Ich wünsche dir auch ein gesundes neues Jahr" Das konnte ich mir irgendwie nicht verkneifen. Er drehte sich um und schaute mich irritiert an. „Ähm ja, danke." Wollte der mich gerade rollen? Ehe ich reagieren konnte, war er auch schon in der Küche verschwunden. Also irgendwie war der Kerl unhöflich und eigenartig. Egal, mein Herz begann schneller zu schlagen, denn ich freute mich schon darauf Chris wieder zu sehen. Und noch mehr freute ich mich darauf mit ihm an neuen Liedern zu arbeiten......na ja und mit Will. Okay, wer das eine wollte, musste das andere wohl akzeptieren. In der Küche hatte sich Will wieder an den Tisch gesetzt und kritzelte irgendetwas auf den Block vor sich. Scheinbar war Chris gerade auf der Toilette, denn ich konnte ihn hier nirgendwo entdecken. Also ließ ich mich einfach auf den Stuhl neben Will gleiten und schaute auf das Gekritzel vor ihm. Mir fiel wieder die Geschenktüte ein, die ich immer noch in der Hand hielt und ich schob sie zu ihm rüber. „Das hat der Weihnachtsmann bei mir für dich abgegeben." Will hob seinen Kopf und starrte mich kurz an. War er von den Zeugen Jehovas und mochte vielleicht keine Geschenke? Oder war er Moslem? Irgendwie kam ich mir jedenfalls gerade ziemlich dämlich vor. „Für mich?" Dem purzelten ja gleich die Augen heraus. Ich nickte und er griff nach der Tüte als erwartete er darin eine Sprengfalle. „Ein T-Shirt." Seine Augen wanderten über den Stoff und dann passierte etwas, was ich noch nie erlebt hatte. Er lächelte. „Das ist ja ein geiler Spruch. Blamiere dich so oft du kannst, du hast nur ein Leben." Las er vor. Ich lächelte höflich zurück und freute mich, dass ihm mein Geschenk gefiel, denn ehrlich gesagt hatte ich es mehr wegen den Farben genommen, als wegen des Spruchs. Ich hatte mir gedacht, dass das Blau gut zu seinen Augen passen müsste. Leute mit blonden Haaren hatten doch in aller Regel blaue Augen. Also bei Chris hätte ich die Augenfarbe gewusst. Ich schaute schnell nach und stellte erleichtert fest, dass sie wirklich blau waren und momentan strahlten. Auch das war etwas total Neues. Normalerweise schauten sie mich eher immer finster an. „Danke!" Will schlüpfte aus seinem T-Shirt, auf dem irgendsoein Pokemon prangte - also jedenfalls glaubte ich, dass es eins war - und zog das von mir über sein Langarmshirt.  Bei der ganzen Aktion rutschte dieses etwas nach oben und gab den Blick auf gut trainierte Bauchmuskeln frei. Das überraschte mich, denn eigentlich wirkte er überhaupt nicht sportlich, sondern eher nerdig und keimig. Nee, diesen Eindruck musste ich definitiv revidieren, denn bei genauerem Hinsehen stellte ich fest, dass heute seine Haare frisch gewaschen aussahen und er scheinbar in der letzten Zeit auch beim Friseur war, denn sie hatten Form und waren etwas kürzer. Okay, sie waren nicht so perfekt gestylt wie die von Chris immer, aber immerhin auch nicht so struppig wie vor Weihnachten. „Wo ist denn Chris?" Ich stellte die zweite Geschenktüte auf den Tisch. „Der musste noch einmal kurz weg." Na das war ja blöd. Aber kurz konnte ja eigentlich nur ein paar Minuten oder höchstens eine halbe Stunde bedeuten. Die Zeit würde ich schon noch alleine mit dem Muffeltier herum bekommen, das mit dem Kopf schon wieder über dem Block hing und mit dem Stift einen Takt klopfte. Ich zog meinen Notenblock aus meiner Tasche und legte ihn auf den Tisch. Chris würde ja sicher gleich kommen. Ich wollte ihm unbedingt die Komposition zeigen, an der ich mich in Dortmund über die Feiertage versucht hatte. Die Melodie war eigentlich ganz eingängig und der Text.... Ja okay, der war ziemlich pathetisch. Ganz vielleicht hatte ich da ein wenig mein Trennungsdrama mit Luca verarbeitet. „Was hast du denn da?" Ohne eine Antwort abzuwarten, zog sich Will mein Notengeschreibsel heran. Sein Blick flog über das Blatt Papier und er machte ein nachdenkliches Gesicht. Im nächsten Moment griff er zu Chris Gitarre, die an die Wand gelehnt da stand. Erstaunt stellte ich fest, dass er auch richtig gut Gitarre spielen konnte. Er spielte die ersten Töne und schüttelte dann den Kopf. „Wenn du da den Akkord änderst, wirkt es kraftvoller." Über die Gitarre hinweg griff er nach seinem Stift und kritzelte auf meinem Blatt herum. Na, ich glaubte ja wohl, es ging los. Der konnte da doch nicht einfach herum kritzeln. Gerade als ich ihm meine Meinung sagen wollte, begann er wieder auf der Gitarre zu spielen. Verflixt, er hatte recht. Das hörte sich wirklich besser an. Mir kam eine Idee. Ich schnappte mir seinen Stift und änderte auch den nächsten Akkord. Will nickte und spielte auch den auf der Gitarre. „Ja, das ist viel cooler." Sein Blick ging wieder auf das Blatt und er verzog sein Gesicht, ehe er auf seiner Unterlippe kaute und mit dem Stift ein paar Zeilen tiefer klopfte. „Also, wenn wir jetzt noch den Akkord ändern, wird das richtig rund." Sofort kritzelte er wieder los. Ja, das sah wirklich gut aus und das, was er spielte hörte sich auch super an. Ich begann leise mit zu summen. „Aber der Text geht da ja gar nicht mehr. Da müssen wir uns etwas positiveres einfallen lassen. Der ist ja viel zu depri für die coole Melodie." Da hatte er durchaus recht, aber dummerweise war mein Leben nun einmal so depri. Aber vielleicht ließ sich ja auch das ändern. Ich schaute auf die Uhr. Seit über einer Stunde hatte ich jetzt hier schon mit Will gesessen. So langsam wurde es Zeit, dass Chris kam und für etwas mehr Fröhlichkeit in meinem Leben sorgte.

Schuss und Treffer im Auswärtsspiel - Teil 9  ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt